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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Andrej Kurajew

Der Erzdiakon Andrej Kurajew ist ein besonderer Vertreter der Russisch-Orthodoxen Kirche. Er ist in der Öffentlichkeit stark präsent und eckt mit seinen kritischen Positionen häufig in der Kirchenhierarchie an. Im Jahr 2013 deckte er einen Missbrauchsskandal auf und wurde in der Folge aus mehreren Ämtern entlassen. Seine rege Publikationstätigkeit und seine öffentlichkeitswirksamen, kritischen Auftritte führt er trotzdem weiter.

Eine Gestalt im schwarzen Priesterrock und mit langem Bart flitzt auf einem Motorroller durch die Moskauer Straßen. Der korpulente Fahrer fürchtet offensichtlich kaum die Reihen martialischer Geländewagen, wie sie nur in Moskau zu sehen sind. Er drängt sich souverän nach vorne – schließlich hat er noch einige Termine in Rundfunk- und Fernsehstudios oder muss noch dringend einen Kommentar bei Livejournal posten. Ob das alles einem Diener der eifrigsten Hüterin der Sitten und Tradition in Russland – der Russisch-Orthodoxen Kirche – zusteht, ist seit Jahren ein Diskussionsthema. Andererseits trägt Kurajew aufgrund seiner medialen Präsenz in Analogie zum offiziellen Titel des Oberhaupts der Kirche „Patriarch der ganzen Rus“ den Spitznamen „Diakon der ganzen Rus“.1 In jedem Fall steht fest: Diakon Andrej Kurajew gehört schon heute zu denjenigen Figuren der neuesten Geschichte der Öffentlichkeit Russlands, die eben diese Geschichte (mit-)schreiben.

Foto © Blog Andrej Kurajew

Kurajews Biographie ist symptomatisch für eine Zeit der Umbrüche, wie es die Zeit nach der Perestroika eben war: Geboren 1963 in einer Familie bekennender Atheisten, studierte er Geschichte und Theorie des wissenschaftlichen Atheismus an der Moskauer Staatlichen Universität. Nach eigenen Worten fand er durch die atheistische Literatur über die Orthodoxie zum Glauben und ließ sich noch während des Studiums taufen.

In der ersten Phase seiner Tätigkeit, die mit der Zeit eines religiösen Booms in Russland zusammenfällt, agierte Kurajew als Missionar und gleichzeitig als Kritiker der damals neu entdeckten und im Volk populären theosophischen2 sowie der meist aus dem Westen angeschwemmten neuen religiösen Bewegungen – er wandte sich sogar gegen liberale Orthodoxe wie den Priester Alexander Men.

Öffentliche Auftritte als Glaubenslehrer

In den 2000ern beschäftigte Kurajew sich primär mit Lehrtätigkeit und öffentlichen Auftritten als Glaubenslehrer: Er reiste mit Vorlesungen und Vorträgen durch Russland und ins Ausland und verblüffte manchmal das Publikum mit seiner provokativen Metaphorik. Seine lebensnahe und lebendige Auslegung des christlichen Glaubens und seiner Praxis verschaffte ihm eine große Gefolgschaft. In dieser Zeit wurde ihm von der Kirchenleitung die Verfassung des Lehrbuchs Die Grundlagen der orthodoxen Kultur für den Religionsunterricht in russländischen Schulen anvertraut, was man als Anerkennung seiner Autorität in der Kirche deuten kann. Das Buch wird bis heute im Unterricht verwendet.

Obwohl Kurajew sein ganzes mediales Kapital für die Kandidatur des Metropoliten Kirills eingesetzt hatte, wandte er sich nach Kirills Wahl zum Patriarchen im Jahr 2009 allmählich von ihm ab. Als Grund dafür gab Kurajew an, dass Kirills Kirchenpolitik nicht mehr christozentrisch sei: In seinen Reden und Predigten verdrängten politische Themen die Glaubensthemen und anstatt der Heilsgeschichte bediene Kirill sich historischer (Heils-)Mythen aus dem aktuellen patriotischen Diskurs Russlands.

Kritik an der Kirchenführung

Auch an den administrativen Reformen des neuen Patriarchen, sei es die Gründung neuer Diözesen oder konsultativer Organe und Kommissionen, übte Kurajew Kritik. Durch sie sollte zwar angeblich die Mission der Kirche vorangetrieben werden, doch laut Kurajew führten sie letztendlich dazu, dass das Handlungsfeld des einfachen Klerus und der Laien stark eingeschränkt und die Entscheidungskompetenz in den Händen des Patriarchen Kirill konzentriert wurde.

Im Skandal rund um das Punk-Gebet von Pussy Riot forderte Kurajew eine allein pastorale Reaktion, warnte vor Verfolgung der Aktivistinnen und stand damit in Opposition zur orthodoxen – und sich beleidigt fühlenden – Öffentlichkeit. Ende 2013 veröffentlichte Kurajew in seinem Blog Briefe von Seminaristen, die über sexuelle Belästigung durch Vertreter des Lehrkörpers im Priesterseminar Kasan klagten. Dass auf diese und viele ähnliche – auch anderweitig dokumentierte – Vorfälle keine Reaktion der Kirchenleitung folgte, sondern die Fälle verschwiegen und verschleiert wurden, veranlasste Kurajew, mehreren Bischöfen Amtsmissbrauch vorzuwerfen: Die Vorgesetzten verleiteten junge Männer zu sexuellen Handlungen – oft im Austausch für einen Karriereschub.

Verlust der öffentichen Ämter

Die Reaktion des Moskauer Patriarchats ließ nicht lange auf sich warten: Kurajew verlor seine Professorenstelle an der geistlichen Akademie Moskau und wurde aus der Theologischen Synodalkommission ausgeschlossen.3 Im Folgenden wurde sein Lehrauftrag an der Moskauer Staatlichen Universität nicht verlängert, was Kurajew auf eine Initiative des Patriarchen zurückführte.

Das alles hielt Kurajew nicht davon ab, weiter seine kritische Meinung zu vielen, auch politischen Angelegenheiten öffentlich zu äußern. Nach dem Beginn der Ukraine-Krise verurteilte er öffentlich den allgegenwärtigen Jubel in Russland hinsichtlich der Krim-Annexion und warnte vor den langfristigen negativen Folgen sowohl für die einfache Bevölkerung Russlands als auch für die russische Kirche. Da sein Blog zu einem der meistgelesenen in Russland gehört und er als beliebter Redner bei (vor allem liberalen) Medien gefragt ist, kann Kurajew auch ohne seine zuvor zahlreichen Ämter öffentlich wirksam sein. Außerdem dient er weiter als Diakon in einer Moskauer Kirchengemeinde.


1.Zwar trägt er seit 2009 den Ehrentitel „Erzdiakon“, welcher normalerweise einem Diakon für besondere Verdienste oder nach fünf Jahren Dienst verliehen wird. Im alltäglichen Gebrauch wird die Bezeichnung Diakon bevorzugt.
2.Hiermit sind insbersondere die theosophischen Ideen von Elena Blawatskaja und Nikolaj und Elena Roerich gemeint.
3.Ökumenisches Forum für Glauben, Religion und Gesellschaft in Ost und West: Russland: Erzdiakon Andrej Kurajev seiner Ämter enthoben

 

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