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Russland und der Kolonialismus

Kolonialimperien – das sind immer die anderen. Und doch hat Russland über eine Vielzahl an Völkern geherrscht und sein Territorium seit dem 16. Jahrhundert auf das 22-Fache vergrößert. Von der Eroberung Sibiriens bis zur angeblichen „Brüderlichkeit der Sowjetvölker“ wird die Kontinuität des russischen Kolonialismus im Krieg gegen die Ukraine besonders deutlich. Die vor diesem Hintergrund erstarkende Idee einer Dekolonisierung Russlands versucht der Kreml mit allen Mitteln zu unterdrücken. 

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Olga Skabejewa

Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt. 

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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Prostitution in Russland

Die Spannbreite, wie Prostitution in der russischen Gesellschaft moralisch bewertet wird, ist riesig. Historisch betrachtet liegt diese Bewertung zwischen extremen Polen: Einerseits betrachtete man Prostitution als sündige Tätigkeit, die aufgrund traditioneller Moral zu verurteilen war, als „Geschwür auf dem Körper einer gesunden Gesellschaft“. Prostituierte wurden in der Sowjetzeit gar zu Klassenfeinden erklärt und dementsprechend in großer Zahl verfolgt. Andererseits entwickelte sich etwa in der russischen Literatur (zum Beispiel in Dostojewskis Schuld und Sühne) ein Bild der Prostituierten als Heilige und Märtyrerin.

Im zeitgenössischen Russland hat sich noch kein eindeutiges Verhältnis zur Prostitution und Prostituierten herausgebildet. Trotz des offiziellen Verbots sind unterschiedlichen Einschätzungen zufolge ein bis drei Millionen Menschen, vorwiegend Frauen, in diesem Bereich tätig, die faktisch außerhalb des Gesetzes leben und arbeiten.

Dass es Prostitution in der Gesellschaft gibt, wurde in der UdSSR bis Mitte der 80er Jahre geleugnet. Dabei existierte sie latent – offen sichtbar jedoch nur in Hotels, die für Ausländer bestimmt waren. Prostituierte wurden als Klassenfeinde bezeichnet und waren juristischer Verfolgung und auch Bestrafungen ausgesetzt. Prostitution war in der UdSSR kein Massenphänomen. Der sowjetische Durchschnittsbürger hatte so gut wie keinen Zugang zu sexuellen Dienstleistungen. Während der Perestroika und in postsowjetischen Zeiten änderte sich die Situation jedoch radikal.

Viele Tabus verschwanden

Prostitution entwickelte sich nach dem Zerfall der Sowjetunion vor allem, weil sexuelle Moralvorstellungen sehr viel freier wurden und zahlreiche Tabus verschwanden („in der Sowjetunion gibt es keinen Sex“) und sich außerdem das Leben kommerzialisierte („alles hat seinen Preis“). In der Gesellschaft entstand ein neues Bild der Prostituierten: Eine junge Frau, die ein schönes Leben lebt, die gleichzeitig Neid und Missbilligung erntet.1

Ein ebenso starker Katalysator waren auch soziale und ökonomische Gründe – die Instabilität des Wirtschaftssystems insgesamt,2 die ungleiche Verteilung von Wohlstand, die aktive Migration innerhalb des Landes und zwischen den Republiken der ehemaligen Union, das entwickelte System der Schattenwirtschaft, der ungleiche Zugang für Männer und Frauen zu würdiger Arbeit und Bildung, die soziale Schutzlosigkeit einzelner Bevölkerungsschichten.

Das „schnelle Geld“

Für viele wurde die Prostitution eine Alternative zu legaler, aber schlechtbezahlter Arbeit in Bereichen, in denen es keiner Qualifikation bedurfte.3 Armut ist immer noch ein wichtiger Faktor, Arbeit im Bereich der Prostitution aufzunehmen, doch nicht immer: Über die Jahre wächst die Anzahl an Frauen, die in der Megapolis (vor allem in Moskau und St. Petersburg) einen Arbeits- oder Studienplatz haben und sich das „schnelle Geld“ über Prostitution verschaffen.4

Laut Einschätzungen des stellvertretenden russischen Innenministers könnten über eine Million Menschen im Bereich der Prostitution tätig sein,5 andere Experten sprechen von über drei Millionen6. Dies sind in der Regel Frauen und Mädchen. Sie bilden den Hauptanteil derer, die gegen Bezahlung sexuelle Dienstleistungen erbringen.7

Heute ist Prostitution in Russland offiziell verboten, doch die Strafen für Anbieter von Sex-Dienstleistungen sind gering und im Vergleich zu den Verdienstmöglichkeiten vernachlässigbar. Die Kunden werden sogar überhaupt nicht belangt, solange es nicht um den Kontakt mit Minderjährigen geht.

Schärfer geahndet wird die Zuhälterei: Dafür sind Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren oder Zwangsarbeit vorgesehen. Allerdings ist es ziemlich schwierig zu beweisen, dass jemand in Prostitution involviert ist. Viele Bordelle laufen offiziell als legale Massage-Salons, Striptease-Bars oder Nachtklubs. Nicht selten treffen Polizisten Absprachen mit Zuhältern und drücken gegen Entgelt ein Auge zu bei illegalen Bordellen in ihrem Dienstgebiet.

Bordells in Privatwohnungen

Neben der Straßenprostitution gibt es in Russland eine ausgeprägte „Eliten“-Prostitution in Verbindung mit teuren Agenturen, Hotels und Saunas. In den Großstädten jedoch entwickelt sich die Prostitution mittlerer Ebene am schnellsten: Bordells in Privatwohnungen, Agenturen, die Sex-Dienstleistungen „außer Haus“ anbieten und individuelle Prostitution über Internetseiten. In diesem Sektor variiert der Stundenpreis in der Regel zwischen 1500 und 3000 Rubel (circa 20 bis 40 Euro).

Das Sex-Geschäft in Russland ist durch einen starken Wettbewerb gekennzeichnet – sowohl um Kunden als auch um Prostituierte. Zuhälter bemühen sich, ihren Damen „vorteilhafte“ Konditionen zu bieten: flexible Arbeitszeiten, Auszahlung bei Schichtende oder sogar im Voraus und eine Unterkunft. Die Attraktivität der Prostitution hängt damit zusammen, dass legale Arbeitgeber solche Konditionen oft nicht bieten können.


 


 

1.vgl.: „Pri anonimnom anketirovanii staršich školʹnikov v Rige i Leningrade v 1989 g. valjutnaja prostitucija okazalasʹ v desjatke naibolee prestižnych professij. Pri oprose moskovskich školʹnikov i učaščichsja PTU, provedennom "Literaturnoj gazetoj", otnositelʹno naibolee prestižnych i dochodnych professij, prostitutki razdelili s "direktorami" i "prodavcami" 9-11 mesta, operediv žurnalistov, diplomatov i taksistov, ne govorja uže o professorach i akademikach", in: Kon, Igor (1997): Klubnicka na bereže: Seksualnaja kultura v Rossii, Moskau [„Bei einer anonymen Meinungsumfrage unter SchülerInnen der oberen Klassenstufen in Riga und Leningrad im Jahr 1989 kam heraus, dass Prostitution als einer der zehn prestigeträchtigsten Berufe gilt. Bei einer von der Literaturnaja Gazeta [im selben Jahr – dek] durchgeführten Befragung von Moskauer SchülerInnen und BerufsschülerInnen, in der nach den prestigeträchtigsten und lukrativsten Berufen gefragt wurde, rangierten Prostituierte zusammen mit „Direktoren“ und „Verkäufern“ auf den Plätzen 9-11 und lagen damit noch vor Journalisten, Diplomaten und Taxifahrern, ganz zu schweigen von Professoren und Akademikern“, Übers. dek]
2.In den 90er Jahren gaben mehr als 70 Prozent der von Soziologen befragten Prostituierten an, dass die Entscheidung, dieser Tätigkeit nachzugehen, mit ihrer schwierigen finanziellen Lage verbunden ist, sh.: Merenkov, A. V. / Nikitina, M. N. (2000): Socialʹnyj portret sovremennoj prostitutki, in: Žurnal sociologičeskich issledovanij, Nr. 5, S. 48
3.Ilʹin V. I. (2007): Byt i Bytie molodeži rossijskogo megapolisa: socialʹnaja strukturacija povsednevnosti obščestva potreblenija, Sankt Petersburg, S. 242
4.sh. Šeregi, F. Ė. / Gorškov, M. K. (2010): Monitoring obščestvennogo mnenija, Nr. 4 (98), S. 217, 219
5.Vz.ru: MVD podsčitalo čislennostʹ prostitutok v Rossii
6.Izvestia: MVD: V 2014 godu čislo zadersannych prostitutok vosroslo na 22 %  
7.Der Anteil an Mädchen und Frauen liegt bei knapp 70 Prozent, sh. Šeregi, F. Ė. / Gorškov, M. K. (2010): Monitoring obščestvennogo mnenija, Nr. 4 (98), S. 218
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