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Russland und der Kolonialismus

Kolonialimperien – das sind immer die anderen. Und doch hat Russland über eine Vielzahl an Völkern geherrscht und sein Territorium seit dem 16. Jahrhundert auf das 22-Fache vergrößert. Von der Eroberung Sibiriens bis zur angeblichen „Brüderlichkeit der Sowjetvölker“ wird die Kontinuität des russischen Kolonialismus im Krieg gegen die Ukraine besonders deutlich. Die vor diesem Hintergrund erstarkende Idee einer Dekolonisierung Russlands versucht der Kreml mit allen Mitteln zu unterdrücken. 

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Olga Skabejewa

Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt. 

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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Meeting am 10. Dezember auf dem Bolotnaja-Platz

Nach den umstrittenen und unregelmäßigen Parlamentswahlen vom 4. Dezember 2011 fanden am 10. Dezember landesweite Demonstrationen in etwa 100 Städten statt, die größte davon auf dem Bolotnaja-Platz im Zentrum von Moskau. Hier versammelten sich bis zu 150.000 Menschen, womit das Meeting zur größten Demonstration in Russland seit zwei Jahrzehnten avancierte. Die unerwartet hohe Teilnahme gab der Protestwelle 2011/12 enormen Auftrieb, begriffen sich doch nun viele Regierungskritiker erstmals als Teil einer größeren Bewegung. Man sprach auch von der „Geburt der russischen Zivilgesellschaft“.1

 

Zu den Besonderheiten des Meetings am 10. Dezember zählte, dass sich, ungewöhnlich bis dahin für Russland, sehr breite Bevölkerungsschichten beteiligten, von (bisher) unpolitischen einfachen Arbeitern bis zur oberen Mittelschicht, von Studenten bis hin zu Rentnern.2 Auch politisch war die Zusammensetzung der Protestierenden, von linken Anarchisten bis rechten Nationalisten, sehr heterogen, aber das gemeinsame Ziel fairer Wahlen überwand selbst tiefste ideologische Gräben. Auch zahlreiche Prominente nahmen an dem Meeting teil, darunter der Schriftsteller Boris Akunin, der Journalist Oleg Kaschin, der inzwischen ermordete einstige Vize-Premier Boris Nemzow, außerdem der liberale Oppostionspolitiker Grigori Jawlinski, aber auch die Pussy Riot-Musikerin Nadeshda Tolokonnikowa und die Fernsehmoderatorin Xenija Sobtschak.

Die zentrale Forderung war Neuwahlen, was die Demonstranten mit ihren Parolen „Für saubere Wahlen“, aber auch optisch mit dem Weißen Band oder weißen Luftballons, die sie bei sich trugen, ausdrückten. Weiterhin forderten sie die Absetzung des umstrittenen Wahlleiters Wladimir Tschurow, den sie als Hauptverantwortlichen für die Wahlmanipulationen ausmachten, die Freilassung aller politischen Häftlinge und die Zulassung aller Oppositionsparteien. Die Demonstranten setzten der Regierung ein zweiwöchiges Ultimatum, die Forderungen ihrer Resolution umzusetzen und kündigten andernfalls erneute Großdemonstrationen für den 24. Dezember an.

Nachdem die Regierung nicht auf die Forderungen eingegangen war, fand am 24. Dezember die angekündigte Demonstration statt. Es entwickelte sich eine große Protestwelle, die erst mit der gewaltsamen Auflösung des „Marsches der Millionen“ endete: Regierungskritiker protestierten am 6. Mai 2012 gegen die Inauguration Putins, dabei wurden zahlreiche Personen festgenommen und etwa drei Dutzend Aktivisten wurden im sogenannten Bolotnaja-Prozess der Anstiftung zu Massenaufruhr beschuldigt und verurteilt.


1.Viktor Jerofejew in Die Zeit: Die Sumpfrevolution
2.für weiterführende Informationen siehe: Gabowitsch, Mischa (2013): Putin Kaputt? Russlands neue Protestkultur, Berlin
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Der Bolotnaja-Platz befindet sich zwischen dem Kreml und dem alten Kaufmannsviertel Samoskworetschje im Zentrum Moskaus. Er hat im Mittelalter zunächst als Handelsplatz gedient, später kam ihm immer wieder eine wichtige politische Bedeutung zu, zuletzt während der Proteste gegen die Regierung in den Jahren 2011/12.

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Regelmäßig gibt es schwere Fälschungsvorwürfe bei Wahlen in Russland. Um den Amtsinhabern Wahlsiege zu garantieren, gibt es tatsächlich viele Möglichkeiten. Jan Matti Dollbaum über Mittel und Wege zur Wahlmanipulation.

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Das weiße Band ist eines der Hauptsymbole der Protestbewegung von 2011/2012. Es bringt die Kritik an den manipulierten Dumawahlen im Dezember 2011 und den Präsidentenwahlen im März 2012 zum Ausdruck und steht sinnbildlich für die in diesem Zusammenhang entstandene Forderung „Für saubere Wahlen“.

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Als Farbrevolutionen bezeichnet man eine Reihe friedlicher Regimewechsel in post-sozialistischen Ländern. Diese wurden unter anderem durch gesellschaftliche Großdemonstrationen gegen Wahlfälschungen ausgelöst. Aufgrund der Farben beziehungsweise Blumen, mit denen die Bewegungen assoziiert werden, ist der Sammelbegriff Farbrevolutionen entstanden. Stellt der Begriff für die politische Elite in Russland eine Bedrohung ihrer Macht dar, verbinden oppositionelle Kräfte damit die Chance auf einen Regierungswechsel.

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Boris Nemzow

Er war einer der bekanntesten Politiker Russlands und galt als scharfer Kritiker Wladimir Putins. In zahlreichen Publikationen machte er auf Misswirtschaft und Korruption in Russland aufmerksam, was ihm viele einflussreiche Gegner einbrachte. Eduard Klein über den Oppositionspolitiker, der am 27. Februar vor acht Jahren ermordet wurde.

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Anti-Krisen-Marsch „Frühling“

Im Zuge der wirtschaftlichen Rezession, der militärischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine und der westlichen Sanktionen rief ein breites Oppositionsbündnis für den 1. März 2015 zu landesweiten Demonstrationen auf. Der Anti-Krisen-Marsch Frühling sollte in 16 Städten zugleich stattfinden und dem Widerstand gegen die Politik Wladimir Putins Ausdruck verleihen, die nach Meinung der Initiatoren zu dieser Krise geführt hatte.

Zu den offiziellen Forderungen der Demonstranten zählten u. a. ein Ende des Konflikts mit der Ukraine, freie und faire Wahlen, Bekämpfung der Korruption und die Aufhebung der staatlichen Zensur.

Wenige Tage vor der Protestaktion wurde mit Boris Nemzow einer der Hauptinitiatoren ermordet. Anstatt des geplanten Anti-Krisen-Marschs fand in Moskau ein Trauermarsch statt, an dem etwa 50.000 Menschen teilnahmen.

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Dimitri Bykow

Der Schriftsteller und Intellektuelle Dimitri Bykow wurde 2019 wahrscheinlich von denselben Mitarbeitern des FSB vergiftet wie später Nawalny. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Recherche von The Insider und Bellingcat

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Lew Rubinstein (1947–2024) war ein russischer Dichter, Literaturkritiker, Essayist und Publizist.  Bekannt wurde er in den 1970er Jahren vor allem für seine minimalistische Karteikarten-Poesie: eine Mischung aus Literatur, bildender und performativer Kunst. Rubinstein galt als einer der Begründer und führender Vertreter des Moskauer Konzeptualismus.

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Viktor Jerofejew

Viktor Jerofejew (geb. 1947) ist ein bekannter russischer Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und Moderator. Er ist betont kremlkritisch und wurde im Zusammenhang mit seinem Werk 2009 wegen Extremismus und Säens nationaler Zwietracht angezeigt. Viele von Jerofejews Werke wurden auch ins Deutsche übersetzt, zuletzt erschien 2013 Die Akimuden. Ein nichtmenschlicher Roman.

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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)