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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Zeugen Jehovas

Im April 2017 hat das Oberste Gericht der Russischen Föderation die Organisation der Zeugen Jehovas in Russland als extremistisch eingestuft. Damit hat es der Klage des Justizministeriums stattgegeben. Der Gerichtsvorsitzende Wjatscheslaw Lebedew betonte dabei, dass die Entscheidung kein Akt religiöser Verfolgung sei, vielmehr sei sie deshalb gefallen, weil die Religionsgemeinschaft „in gesetzeswidrige Handlungen verstrickt war“. 
Viele Menschenrechtler, aber auch UN-Vertreter und ausländische Politiker sehen das anders: Die Verhaftungen und Verurteilungen von Zeugen Jehovas in Russland seien eklatante Verstöße gegen die Religionsfreiheit – und hätten systematischen Charakter. Im April 2019 saßen 21 Angehörige der Glaubensgemeinschaft in Untersuchungshaft.

Dem Verbot der Organisation im Jahr 2017 war eine gerichtliche Untersuchung vorausgegangen. Sie beklagte vor allem die „extremistischen“ Inhalte in den Publikationen der Organisation: in erster Linie die Lehre von der Überlegenheit der eigenen Religion, was von den beteiligten Experten als „Entfachen von Hass gegen andere Weltanschauungen“ und damit als Tatbestand des Extremismus gewertet wurde. Darüber hinaus entspräche die tatsächliche Tätigkeit nicht den im Statut angegebenen Zielen, so der Vorwurf, der sich auch gegen die hierarchischen Strukturen der Organisation und gegen die Gefährdung der eigenen Mitglieder etwa durch das Blut- und Organtransfusionsverbot richtet.1

Alle 395 Gemeinden (Stand 2017) sowie das administrative Zentrum wurden liquidiert, der Besitz enteignet und den Mitgliedern sämtliche Aktivitäten verboten. Die Religionsgemeinschaft legte Einspruch ein, doch schon im Juli 2017 wurde dieser zurückgewiesen. Seit August 2017 stehen alle registrierten Gemeinden der Zeugen Jehovas auf der Liste extremistischer Organisationen.

Bereits vor den abschließenden Gerichtsbeschlüssen2 begannen in einigen Regionen willkürliche Hausdurchsuchungen, gewaltsame Angriffe auf Versammlungsräume und Privatwohnungen sowie gezielte Diskriminierung von Schulkindern und Wehrpflichtigen. Seit Inkrafttreten des Verbots kam es zu 90 Verhaftungen, 21 Personen befanden sich im April 2019 in Untersuchungshaft. Nach Angaben der Religionsgemeinschaft führten die russischen Behörden 406 Hausdurchsuchungen in Privathaushalten oder Räumen der Gemeinschaft durch, knapp 100 Personen stehen unter Hausarrest oder Ausreiseverbot.3

Im Juni 2019 äußerte erstmals die russische Ombudsfrau für Menschenrechte, Tatjana Moskalkowa, Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verfolgung, viele nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen haben ein Ende der Verfolgung gefordert.4

„Antisowjetisch und potentiell gefährlich“

Die Geschichte von Diskriminierung und Unterdrückung von Zeugen Jehovas in Russland begann nach der Oktoberrevolution 1917. Zum Ende des 19. Jahrhunderts herrschte noch eine relativ große religiöse Toleranz: Vor allem im Westen des Landes konnten die Anhänger der Religionsgemeinschaft damals weitgehend frei wirken. Nur wenige Jahre nach der Erstausgabe war ihre Zeitschrift Der Wachtturm verkündigt Jehovas Königreich (Storoshewaja Baschnja wosweschtschajet Zarstwo Iegowy) auch in Russland erhältlich. Und 1913 registrierten die russischen Behörden die Zeugen Jehovas offiziell als Bibelforscher. 

Wie alle religiösen Gemeinschaften wurden die Zeugen Jehovas unter der bolschewistischen Herrschaft unterdrückt und teilweise verbannt. Da sie sich konsequent aller politischen Aktivitäten enthielten und sich dem Parteibeitritt sowie dem Wehrdienst verweigerten, wurde die Religionsgemeinschaft von den staatlichen Organen als „antisowjetisch“ und „potentiell gefährlich“ eingestuft. Ihre zahlreichen Mitglieder und deren Familien wurden systematisch deportiert. Den Höhepunkt der Umsiedlungen bildete die „Operation Nord“ im April 1951: Mehr als 8500 Menschen wurden aus den westlichen Sowjetrepubliken deportiert, in erster Linie aus der Ukrainischen SSR. Die Deportationen führten unter anderem zu einer Ausbreitung der Religion nach Sibirien, Zentralasien und in den Fernen Osten. 1965 wurde ihr Rückzug zwar erlaubt, doch viele Gläubige blieben an den Orten ihrer Verbannung.

Rehabilitierung während der Perestroika

Zum Ende der 1980er Jahre lockerte sich der Umgang mit Religionsgemeinschaften, davon profitierten auch die Zeugen Jehovas. 1991 erhielten sie die offizielle staatliche Registrierung und gründeten in Sankt Petersburg das administrative Zentrum der Organisation. 1996 wurden die Zeugen Jehovas gemeinsam mit allen anderen Gläubigen rehabilitiert, die unter der sowjetischen Verfolgung gelitten hatten. Außerdem verpflichtete sich der Staat, die betroffenen Religionsgemeinschaften beim Wiederaufbau ihrer Strukturen zu unterstützen. Gleichzeitig zählten die Zeugen Jehovas mit dem neuen Religionsgesetz von 1997 zu den sogenannten „nicht-traditionellen Religionsgemeinschaften“ in der Russischen Föderation. Zwar setzten die Behörden damit zusätzliche administrative Hürden, die Zahl der Zeugen Jehovas wuchs aber laut eigenen Angaben kontinuierlich auf über 170.000 und insgesamt 395 Gemeinden im Jahr 2017.

Diskriminierung und Unterdrückung

Doch währte die Blütezeit der Religionsgemeinschaft nicht lange: Ab 2009 häuften sich in russischen Medien Meldungen über Verhaftungen, Verbote von Schriften und Übergriffen gegen die Zeugen Jehovas. 2012 gab es gesetzliche Verschärfungen im Bereich der Extremismusbekämpfung, die indirekt auch die Religionsfreiheit betrafen. Dies hatte direkte Auswirkungen auf kleinere Religionsgemeinschaften wie die Zeugen Jehovas: Besonders ihre Missionstätigkeit durch Predigten und Publikationen wurde Ziel häufiger Überprüfungen. Auf lokaler Ebene wurden schon ab 2009 verschiedene Schriften der Zeugen Jehovas als extremistische Literatur eingestuft und verboten. In verschiedenen Regionen wurden bereits vor 2017 Verbote der Gemeinschaft als extremistische Organisation verhängt. 

Unter den derzeit verhafteten und angeklagten Gläubigen befinden sich auch Ausländer. Am bekanntesten ist der Fall des dänischen Predigers Dennis Christensen, der 1995 nach Russland kam und seitdem in verschiedenen Städten am Aufbau von Gemeinden mitgewirkt hat, zuletzt in Orjol. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm die Gründung und Unterstützung einer extremistischen Organisation vor, er wurde im Februar 2019 zu sechs Jahren Lagerhaft verurteilt. Im Februar 2019 wurde außerdem bekannt, dass sieben Zeugen Jehovas im nordrussischen Surgut während der Befragung gefoltert wurden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte forderte Russland zur medizinischen und juristischen Aufklärung auf, eine Reaktion des zuständigen Gerichts steht jedoch noch aus. Zunehmend berichten zudem russische Medien von Fällen, in denen „extremistische“ Literatur bei Hausdurchsuchungen untergeschoben wird, um so die Anklage zu stützen.

Aus mehreren Ländern ist bekannt, dass viele Zeugen Jehovas aus Russland in den letzten Jahren um Asyl gebeten haben. In Finnland wurden bisher 90 Prozent der Gesuche mit der Begründung abgelehnt, dass nicht grundsätzlich alle Mitglieder der Gemeinschaft von Verfolgung bedroht seien.5 Aus anderen Ländern sind bisher keine Zahlen bekannt, allerdings wird auch dort jeder Fall weiterhin entsprechend individueller Kriterien bewertet. Dies hat zur Folge, dass die Situation in Russland nicht als systematische religiöse Verfolgung anerkannt wird, obwohl zahlreiche russische sowie internationale Menschenrechtsorganisationen mehrfach darauf hingewiesen haben.

Rolle der Russisch Orthodoxen Kirche

Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) gehört seit vielen Jahren zu den lautesten Stimmen für eine gesetzliches Einschränkung der Tätigkeit sogenannter nicht-traditioneller Weltanschauungen. Sie profitiert gleichzeitig am stärksten von den Einschränkungen der Missionstätigkeit anderer Religionen, mit denen sie oft in finanzieller und methodischer Hinsicht nicht konkurrieren kann. Die Mehrzahl der Anzeigen wegen angeblicher Verletzung religiöser Gefühle kommen von orthodoxen Gläubigen oder Geistlichen, die so gegen kritische Stimmen vorgehen wollen. Darüber hinaus fühlten sich radikale orthodoxe Aktivisten bei ihren Angriffen gegen Andersdenkende durch die Gesetze legitimiert.6

Der Leiter des kirchlichen Außenamts Metropolit Ilarion betonte, dass die ROK selbst keinen direkten Einfluss auf die Entscheidung zur Einstufung der Zeugen Jehovas als extremistische Organisation genommen habe.7 Allerdings sind Vertreter der ROK in allen beratenden Gremien – meistens als Vorsitzende – vertreten, so im 1998 gegründeten Expertenrat zur Durchführung religionswissenschaftlicher Expertise beim Justizministerium der Russischen Föderation, dem Rat für die Zusammenarbeit mit religiösen Organisationen und dem Interreligiösen Rat der Russischen Föderation. Der Expertenrat zur Durchführung religionswissenschaftlicher Expertise beim Justizministerium der Russischen Föderation ist für die Bewertung religiöser Organisationen zuständig. Viele Beobachter kritisieren den Expertenrat wegen tendenziöser Tätigkeit und verweisen darauf, dass er maßgeblich von Vertretern russisch-orthodoxer Einrichtungen geprägt ist. Von 2009 bis 2015 wurde der Rat von Alexander Dworkin geleitet, dem führenden „Sektenkenner“ und Bekämpfer sogenannter nicht-traditioneller Religionen in der ROK. Der aktuelle stellvertretende Vorsitzende, Roman Silantjew, ist gleichzeitig Leiter des Menschenrechtszentrums der größten russisch-orthodoxen NGO – dem Weltweiten Russischen Volkskonzil.

Das Verbot der Zeugen Jehovas fand bei den Vertretern der Kirchenleitung einstimmige Unterstützung. So unterstrich Roman Silantjew, dass sie „die größte extremistische Organisation in Russland“ sei, die außerdem unter Verdacht stehe, Spionage zu betreiben.8 Auch Metropolit Ilarion begrüßte das Verbot der „totalitären Sekte“: ihre extremistische Tätigkeit liege in der „Manipulation der Wahrnehmung“ und der „Zerstörung der Psyche der Menschen“, so der Geistliche.9 Die offizielle Seite des kirchlichen Außenamts zitiert auch die Russische Assoziation zum Schutz der Religionsfreiheit: Diese Organisation streitet jegliche Verfolgung von religiösen Minderheiten in Russland ab und hält die Informationen darüber für „amerikanische Propaganda“.10

Zu den offensichtlichen Verstößen gegen die Religionsfreiheit der Zeugen Jehovas schweigt die Orthodoxe Kirche. Dieses Schweigen steht im krassen Kontrast zu ihrem internationalen Einsatz gegen die Einschränkung der Religionsfreiheit. So betonte der Interreligiöse Rat der Russischen Föderation unter Vorsitz der ROK seit 2017 schon mehrmals die „zahlreichen Fakten der Verletzung der Rechte von Gläubigen in der Ukraine“11 und geißelte den „Genozid an Christen im Nahen Osten“.12 Zur Unterdrückung der Zeugen Jehovas oder anderer Religionsgemeinschaften in Russland selbst verlor der Rat bislang aber kein Wort. Dieses selektive Rechtsverständnis verdeutlicht mehr als manche rhetorischen Gleichklänge die fehlende Distanz der ROK zur russischen Führung.


1.minjust.ru: O priostanovlenii dejatel'nosti Religioznoj organizacii „Upravlenčeskij centr Svidetelej Iegovy v Rossii, mk.ru: Po puti Tret'ego rejcha: počemu sud okončatel'no zapretil „Svidetelej Iegovy“ 
2.sova.center.ru: Svideteli Iegovy: slučai davlenija na detej verujuščich roditelej, sova-center.ru: Posle zapreta Svidetelej Iegovy v raznych regionach otmečeny slučai vandalizma po otnošeniju k ich zdanijam 
3.jw-russia.org: Imprisoned for Their Faith 
4.Rossijskaja Gaseta: Doklad o dejatel'nosti Upolnomočennogo po pravam čeloveka v Rossijskoj Federacii za 2018 god 
5.idelreal.rog: Finljandija massovo otkazyvaet v ubežišče Svideteljam Iegovy iz Rossii und idealreal.org: Svideteli v begach: kak v Rossii presledujut verujuščich 
6.sova-center.ru: Freedom of Conscience in Russia: Restrictions and Challenges in 2015 
7.tass.ru: RPC: blagodarja rešeniju VS vlijanie "Svidetelej Iegovy" v RF budet oslableno 
8.Moskovskij Komsomolec: Po puti Tret'ego rejcha: počemu sud okončatel'no zapretil „Svidetelej Iegovy“ 
9.mospat.ru: Mitropolit Ilarion: My ne dolžny plevat' v svoju istoriju 
10.mospat.ru: Rossijskij ėkspert prokommentiroval doklad Gosudarstvennogo departamenta SŠA o religioznoj svobode v mire za 2017 god, v kotorom otmečajutsja pritesnenija predstavitelej religioznych men'šinstv v Rossii 
11.interreligious.ru: Zajavlenie Mežreligioznogo soveta Rossii v svjazi s obraščeniem Vseukrainskogo soveta cerkvej i religioznych organizacij 
12.interreligious.ru: Svjatejšij Patriarch Kirill: S bol'ju v serdce my nabljudaem za genocidom christianskogo naselenija na Bližnem Vostoke 
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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)