Kurzfristig anberaumte Schein-Referenden in den russisch (teil)besetzten Gebieten der Ukraine, neue Strafgesetze im Eilverfahren, die im Fall von Kriegszeiten und Mobilmachungen gelten sollen – und schon wenige Stunden später verkündet Wladimir Putin eine sofortige „Teilmobilmachung“.
Für viele Beobachter ist klar, dass die Ergebnisse der sogenannten „Referenden“ über den „Beitritt“ zu Russland schon feststehen, dass das Stakkato der Ereignisse ein (weiteres) Zeichen für Nervosität des Regimes, und dass der Begriff „Teilmobilmachung“ dehnbar ist. Andere Beobachter fragen nach möglichen Folgen der neuen Eskalationsstufe für den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine oder auch, ob sie die russische Gesellschaft selbst noch weiter spalten könnte.
Tatsächlich häufen sich im Runet Berichte, dass viele Menschen sich derzeit darüber informieren, wie man der Einberufung entgehen kann. Kurzfristige Flüge ins Ausland sind ausgebucht, in den Sozialen Medien entlädt sich lautstarker Widerstand, und es gibt erste Proteste gegen die „Teilmobilisierung“. In einem wütenden Twitter-Thread macht auch die unabhängige russische Journalistin Olga Beschlej ihrem Ärger Luft.
Quelle
Die gesamte Rede Putins ist reinstes Gaslighting und psychische Gewalt den Bürgern Russlands gegenüber. Ich träume von dem Tag, an dem die Menschen kapieren, WIE sie betrogen wurden und WIE DOLL man sie belogen hat und dass sie und das ganze Land die letzten zehn Jahre in der ausgedachten Realität und dem nicht existierenden Imperium eines gekränkten Mannes gelebt haben.
Putin schreibt absolut all seine aggressiven Handlungen anderen zu! Das ist unerträglich anzuschauen
Er verdreht einfach alles, aber auch wirklich alles: Er war es, er und seine Regierung haben alles dafür getan, dass die NATO an die Grenzen Russlands kam, dass die Ukraine GEZWUNGEN war sich zu verteidigen, dass der Westen Waffen an die Ukraine lieferte, denn er hat einen Krieg losgetreten und schreckte alle mit Drohungen. Und absolut all seine aggressiven Handlungen schreibt er anderen zu! Das ist unerträglich anzuschauen und zu lesen.
Und es ist unerträglich, dass Menschen das glauben, denn es nicht zu glauben, macht Angst. In welche verfickte Zeit sind wir hineingeraten! Die Lüge vergiftet und zermalmt den Menschen doch förmlich das Hirn.
Die Lüge vergiftet und zermalmt den Menschen doch förmlich das Hirn
Ich warte sehr auf das Ende dieses Kriegs. Ebenso fieberhaft warte ich auf das Ende der Lüge, wenn eben jene Mauer dieser erstickenden Lügerei, mit der er ganz Russland eingekesselt hat, endlich zusammenbricht. Himmel, wird das wehtun. Doch nicht nur die Russen, die ganze Welt kann dann wieder leichter atmen.
Geheimdienst im Kopf: Wie die Journalistin Olga Beschlej im August vergangenen Jahres vom FSB kontaktiert wurde und alles mit einem riesigen rosa Vibrator endete.
Wladimir Putin verkündet am 21. September eine „Teilmobilmachung“ – die noch am gleichen Tag beginnt. Inwiefern diese Entscheidung auch Ausdruck einer inneren Spaltung ist, die Putins Regime implodieren lassen kann, das erklärt Soziologe Grigori Judin.
Die ukrainische Armee verbucht wichtige militärische Erfolge. Der Druck auf den Kreml steigt. Der russische Journalist Andrej Loschak erklärt, warum er sich eine Niederlage für seine Heimat und die russische Armee wünscht.
Ringsherum Imitation und Fassade: Maxim Trudoljubow über eine Welt der Lüge, mit der Putin sich selbst und sein Land vergiftet habe und nun die Ukraine in eine Katastrophe stürzt.
Gesellschaft – von Katerina Gordejewa , Dmitri Muratow
Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow, Chefredakteur der Novaya Gazeta, spricht mit der Journalistin Katerina Gordejewa über den Krieg in der Ukraine: Warum er damit gerechnet hat, und inwiefern dieser nun nicht nur die Ukraine, sondern auch Russland zerstört. Und worauf er, Muratow, jetzt noch hofft, wider besseren Wissens.
Michail Gorbatschow feiert am 2. März seinen 88. Geburtstag. Im Westen verehrt, sehen ihn in Russland heute viele als Totengräber der UdSSR. Andrej Archangelski widerspricht und bricht eine Lanze für den Politiker, der, wie er sagt, seine „Seele gerettet“ hat. (Archiv-Text)
Die Donezker Volksrepublik (DNR, Donezkaja Narodnaja Respublika) ist eine der zwei separatistischen Regionen im Osten der Ukraine, die im Zuge des Machtwechsels in Kiew nach dem Euromaidan entstanden. Die DNR wurde am 7. April 2014 ausgerufen und umfasst einen großen Teil des Donezker Gebietes im Osten der Ukraine. Die Führung der selbsternannten Republik besteht auf ihren Anspruch auf Unabhängigkeit, der durch ein international nicht anerkanntes Referendum am 11. Mai 2014 nachträglich legitimiert werden sollte.1 Glaubt man den Umfragen, die in einer solchen Situation nur schwer methodisch sauber durchzuführen sind, wird dies von etwa 38 Prozent der Bevölkerung der Separatistengebiete unterstützt.2
Die selbsternannte Regierung der DNR, die der Republik eine eigene Flagge und Hymne gegeben hat, erkennt den gewählten ukrainischen Präsidenten Poroschenko und die Regierung in Kiew nicht an. Am 02.11.2014 hat sich die Regierung der DNR mit Parlaments- und Präsidentschaftswahlen um Legitimation bemüht. Die Wahlen wurden allerdings von der internationalen Gemeinschaft und ihren Institutionen wie der OSZE, der UNO oder der EU ebenso wenig anerkannt, wie die Souveränität der DNR. Diese wird selbst von Russland nicht anerkannt.
Mit der Verkündung der Republik brach ein Krieg zwischen ukrainischen und separatistischen Truppen in der Ostukraine aus, der trotz zahlreicher Friedensbemühungen, wie den Minsker Gesprächen, andauert. Die Ukraine bezeichnet die DNR als eine terroristische Organisation, und die EU hat mehrere separatistische Anführer und Minister auf ihre Sanktionsliste gesetzt.
Die DNR rechtfertigt ihre Unabhängigkeitserklärung und die darauffolgende militärische Auseinandersetzung damit, dass die lokale Bevölkerung sich von der neuen Regierung in Kiew bedroht fühlte. Laut dieser Begründung sind in Kiew Faschisten an die Macht gelangt, die die kulturellen und politischen Rechte der russischsprachigen Bevölkerung im Osten des Landes einschränken wollen. Die ukrainische Seite hingegen bezichtigt wiederum Russland, die DNR unterstützt und gegründet zu haben. Diese Sicht wird teilweise dadurch bestätigt, dass erstens die DNR von vielen russischen Politikern als Teil der Russischen Welt (russki mir) gesehen wird, die Russland zu verteidigen habe und zweitens viele zentrale Akteure der DNR-Administration selbst aus Russland stammen. Igor Strelkow, der ehemalige Verteidigungsminister der Republik, sagte im Interview mit einer russischen Zeitschrift:
„Den Krieg habe doch ich ausgelöst. Wenn unser Trupp nicht über die Grenze gegangen wäre, hätte das alles so geendet, wie in Odessa oder Charkiw. Es hätte ein paar Tote, Verbrannte, Verhaftete gegeben. Und das wäre es gewesen. Die jetzige Größenordnung hat der Krieg dank uns erreicht.“3
Aufgrund der andauernden Kampfhandlungen verschieben sich die Frontlinien ständig, und es ist schwer, das Gebiet der DNR genau zu bestimmen. Schätzungen zufolge leben in der Republik etwa zwei Millionen Menschen, hunderttausende sind jedoch aus der Region geflohen. In einem Bericht des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte werden auf dem Gebiet der DNR grundlegende politische und soziale Rechte zum Teil drastisch eingeschränkt. Es gibt einige Berichte von Folter und Erschießungen von Gefangenen, die Gefängnisse können von Menschenrechtsschützern jedoch nicht eingesehen werden. Presse- und Versammlungsfreiheit sind erheblich eingeschränkt, politisch aktive Organisationen wurden ausgewiesen.4 Gleichzeitig ist die Versorgungslage der Menschen besser als zu Beginn des Konflikts: Die Ukraine zahlt Renten und Sozialleistungen aus, der Unternehmer Rinat Achmetow hat mit seiner Stiftung Wir helfen ein große humanitäre Hilfsaktion gestartet, und auch Russland liefert weiterhin Lebensmittel und Treibstoff in die Region.
Im Mai 2014 unterzeichneten die Vertreter der Donezker und Luhansker Volksrepubliken ein Memorandum über die Vereinigung beider Republiken zu Neurussland(Noworossija).5 Das Projekt wurde jedoch nicht weitergeführt, und so erheben beide Regionen weiterhin jede für sich Anspruch auf Unabhängigkeit.
Zu Beginn der Auseinandersetzungen vermuteten einige Experten, dass sich die Auseinandersetzung um die DNR zu einem Frozen Conflict, wie etwa in Abchasien, Südossetien oder Transnistrien entwickeln würde, falls der ukrainischen Regierung weder eine politische Lösung noch eine militärische Übernahme der Region gelingen sollte.6In der Tat hat ein weitgehender Waffenstillstand die Lage seit dem 1. September 2015 beruhigt – wenngleich immer wieder Gefechte mit Todesopfern gemeldet werden. Der politische Prozess, den die Minsker Vereinbarungen anstoßen sollten, ist zudem bisher kaum vom Fleck gekommen. Die vorgesehenen Lokalwahlen sind bisher nicht durchgeführt worden – auch weil die Ukraine noch kein adäquates Wahlgesetz verabschiedet hat –, die Ukraine hat weiterhin keine Kontrolle über die Grenze zwischen DNR und Russland und es halten sich noch immer zahlreiche ausländische (sprich: russische) Kämpfer auf dem Gebiet der DNR auf.
Mitte Februar 2022 verabschiedete die Staatsduma eine Initiative der KPRF, die beiden abtrünnigen Regionen DNR sowie die LNR als unabhängig anzuerkennen. Die Entscheidung darüber liegt nun bei Präsident Wladimir Putin. Der ukrainische Außenminister Kuleba erklärte, dass Russland mit einer Anerkennung „de facto und de jure aus den Minsker Vereinbarungen mit allen Begleiterscheinungen“ austrete. Diese sehen eine Wiedereingliederung der Gebiete in die Ukraine mit weitgehenden Autonomierechten vor. Auch kremlnahe Experten wie Fjodor Lukjanow sehen keinen Vorteil für Russland, gegen die Minsker Vereinbarungen zu verstoßen. So wird der Vorstoß mitunter als Nebelkerze oder Druckmittel gegenüber der Ukraine und dem Westen interpretiert: „Ein Hinweis darauf, dass, wenn die Minsker Vereinbarungen nicht erfüllt werden und der ganze Prozess wieder ins Stocken gerät, es diese Option als letzten Ausweg gibt“, so Lukjanow im Gespräch mit Meduza.
1. Es sollen sich bei einer Wahlbeteiligung von 75 % nach Angaben der Separatisten 89 % für die Unabhängigkeit ausgesprochen haben. Siehe Pleines, Heiko (2014): Die Referenden in Donezk und Luhansk, in: Ukraine-Analysen Nr. 132, S. 23
2.Basis ist eine Umfrage des Jaremenko-Instituts für Sozialforschung (UISR) in Zusammenarbeit mit dem Zentrum Soziales Monitoring (SMC), durchgeführt vom 13. bis zum 20. März 2015, einzusehen in den Ukraine-Analysen Nr. 154, S. 12
4.Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights: Report on the human rights situation in Ukraine 16 August to 15 November 2015 Die OSZE kommt in einer Analyse zu dem Schluss, dass parallele Justizstrukturen, die in der DNR aufgebaut wurden, oft nicht ausreichend ausgestattet sind, um geordnete Verfahren zu gewährlseisten. Oft funktioniert die Justiz überhaupt nicht.
5.Über den Begriff Neurussland und seine geschichtliche und heutige international-politische Bedeutung siehe: Laruelle, M. (2015): The three colours of Novorossiya, or the Russian nationalist mythmaking of the Ukrainian crisis, in: Post-Soviet Affairs 2015 (2), London
Zum ersten Mal treffen sich Wladimir Putin und sein ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selensky heute persönlich in Paris. Thema ist der Krieg im Osten der Ukraine, der trotz internationaler Friedensbemühungen seit April 2014 anhält. Er kostete bereits rund 13.000 Menschen das Leben. Steffen Halling zeichnet die Ereignisse nach.
Es war kein Zufall, dass die russische Präsidentschaftswahl 2018 am 18. März stattfand. Die Wahlbeteiligung und die rund 90-prozentige Zustimmung für Putin auf der Krim stellt der Kreml als eine Art zweites Referendum über die Zugehörigkeit der Halbinsel zu Russland dar. Gwendolyn Sasse über die mythenumwobene Region, das Narrativ der „russischen Krim“ und die Selbstwahrnehmung der Krim-Bewohner nach der Angliederung an Russland.
Als Großen Vaterländischen Krieg bezeichnet man in Russland den Kampf der Sowjetunion gegen Hitlerdeutschland 1941–1945. Der Begriff ist an den Vaterländischen Krieg gegen Napoleon im Jahr 1812 angelehnt. Galt der Sieg über den Faschismus offiziell zunächst als ein sozialistischer Triumph unter vielen, wurde er seit Mitte der 1960er Jahre zu einem zentralen Bezugspunkt der russischen Geschichte.
Der Premierminister oder Ministerpräsident ist nach dem Präsidenten die zweite Amtsperson im russischen Staat. Er ist vor allem für Wirtschafts- und Finanzpolitik verantwortlich.
Die Präsidialadministration(PA) ist ein Staatsorgan, das die Tätigkeit des Präsidenten sicherstellt und die Implementierung seiner Anweisungen kontrolliert. Sie ist mit beträchtlichen Ressourcen ausgestattet und macht ihren Steuerungs- und Kontrollanspruch in der politischen Praxis geltend.
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