F – S – B: diese drei Buchstaben haben heute in etwa die gleiche Signalwirkung wie früher KGB. Die Journalistin Olga Beschlej schildert aus eigener Erfahrung, wie der Geheimdienst mit ihr Kontakt aufnahm und welches Kopfkino das in Gang setzte: Ihr persönlicher FSB-Film beginnt mit einer turbulenten Wohnungssäuberung und gipfelt in einem riesigen rosa Vibrator.
Ein Kabinettstück zu Überwachung und Überwachungsmanie, das diesen Monat im russischen Internet tausendfach geteilt wurde. Wir meinen: vollkommen zu Recht, und teilen den Text nun einmal mehr – auf Deutsch.
„Werfen Sie mindestens eine nutzlose Sache pro Tag weg.“
– ADME, 10 Tipps, wie Sie Ihr Zuhause entrümpeln
I.
Unlängst war ich auf einer Veranstaltung, auf der erfahrene Journalisten und Autoren von Büchern über Geheimdienste erklärten, was man tun soll, wenn man einen Anruf vom FSB bekommt. „Auf keinen Fall“, sagten sie, „dürft ihr euch mit ihnen auf ein Treffen im Café einlassen. Lasst das Gespräch nicht in deren Dienststelle stattfinden. Geht keine informellen Beziehungen mit ihnen ein. Glaubt nicht, dass ihr sie überlisten könnt.“ Den erfahrenen Kollegen zufolge soll man sofort, nachdem einen der FSB kontaktiert und einen Gesprächstermin vorgeschlagen hat, in allen sozialen Netzen darüber berichten.
Glaubt nicht, dass ihr sie überlisten könnt
„Wenn ihr das nirgendwo bekanntgebt, dann schreibt der Agent, der euch angerufen hat, eine Dienstmeldung, dass der Kontakt hergestellt ist und man mit euch arbeiten kann. Irgendwann taucht er wieder bei euch auf. Daher stellt lieber gleich klar, dass ihr einen Knall habt und man mit euch lieber nichts am Hut haben soll. Dann schreibt der Mitarbeiter in seine Dienstmeldung: ‚Hat einen Knall.‘ Und ihr habt eure Ruhe.“
Diese Anleitung fand ich äußerst beunruhigend. Denn ich war im August 2015 vom FSB zu einem informellen Gespräch geladen worden. Ich hatte abgelehnt, aber nirgends darüber geschrieben.
Es wurde Zeit, diesen Fauxpas auszubügeln.
II.
Das war am 10. August 2015 gewesen.
Tagsüber.
Ich kann die Uhrzeit auch genauer sagen, denn um 13:35 schrieb ich meiner Chefin im Office-Chat: „Katja, ich krieg grad einen Anruf vom FSB.”
Namen, Vornamen und Funktion des FSB-Mitarbeiters habe ich ebenfalls gespeichert. Als er sich vorstellte, habe ich sie gleich notiert. In irgendeinem Dokument, das ich gerade auf meinem Bildschirm offen hatte. Aber was das für ein Dokument war, weiß ich nicht mehr, und ich habe es noch nicht wiedergefunden.
Ich habe auch eine Aufnahme des Gesprächs. Auf meinem vorigen Telefon hatte ich ein Programm, das eingehende Anrufe automatisch aufzeichnete. Nicht am selben Tag, sondern erst viel später kam mir in den Sinn, dass diese Aufnahme wichtig sein könnte, und ich schickte sie an meine eigene E-Mail-Adresse. Letztens habe ich sie dort gesucht und festgestellt, dass ich mir regelmäßig E-Mails „ohne Betreff“ schicke, und fand da ein tatsächlich nicht unwichtiges Training für knackige Pobacken. Das Telefon von damals habe ich nicht mehr, also kann ich mir auch das Original nicht mehr anhören.
Olga Iljinitschna? Hier der Föderale Sicherheitsdienst
Im Endeffekt will ich darauf hinaus, dass ich gewissermaßen verantwortlich gehandelt habe, trotz des Schauders, der mich an der Kehle packte, als aus dem Hörer eine freundliche junge Männerstimme ertönte: „Olga Iljinitschna? Hier der Föderale Sicherheitsdienst.“
Der Anruf überraschte mich in der winzigen Küche meiner Mietwohnung. Ich saß im Pyjama an einem Text und aß gerade die letzten Bissen Rührei. Die Sonne überflutete den Tisch und wärmte mir die Hände. Es war schwül. Der Herr stellte sich vor und lud mich höflich zu einem Gespräch in eine der Dienstellen des FSB ein.
Mit Mühe brachte ich heraus:
„Worum geht es?“
„Das erfahren Sie bei dem persönlichen Treffen.“
„Und warum nicht gleich?“
„Nicht am Telefon.“
Einen Moment lang überdeckte pure Fassungslosigkeit alle sonstigen Gefühle in mir.
„Wieso nicht am Telefon? Werden Sie etwa abgehört?“
„Wer hört hier mit?“, kommt es verwundert aus dem Leitung.
„Keine Ahnung. Ich sag das nur immer, wenn ich glaube, dass Sie mich abhören.“
Wir schwiegen kurz.
„Olga Iljinitschna, an welchem Tag, und zu welcher Uhrzeit würden Sie gern herkommen?“
„Kann ich auch ablehnen?“
„Würde ich Ihnen nicht raten.“
„Und was passiert, wenn ich nicht komme?“
„Das wäre nicht in Ihrem Interesse.“
„Interessiert Sie meine Arbeit?“
„Kann ich nicht sagen.“
„Eine konkrete Geschichte?“
„Ich habe nicht gesagt, dass wir Sie aus dienstlichen Gründen herbestellen.“
„Sie interessieren sich also für meine Beziehung mit einem 47-jährigen, nicht arbeitenden Mann?“
Der Mann in der Leitung stockte.
„Nein.“
„Aber die restliche Zeit verbringe ich ausschließlich mit Journalismus.“
Wir schwiegen wieder ein wenig. Und da sagte ich, als ob in meinem Kopf plötzlich etwas angesprungen wäre:
„Wissen Sie was, ich rufe wohl meinen Anwalt an.“
III.
„Hallo, bin ich beim FSB? Hier Beschlej!“
„Hier ist nicht der FSB, ich habe Ihnen doch meine private Nummer gegeben!“, kommt eine genervte Stimme aus der Leitung. „Warum schreien Sie so?“
„Ah. Weiß auch nicht. Damit Sie mich gut verstehen. Also, alle sagen, wenn keine offizielle Ladung vorliegt, dann muss ich nicht kommen.“
„Wer – alle?“
„Na, die Juristen und Journalisten, die ich kenne. Die sagen, ich kann ablehnen. Und wenn Sie eine Ladung haben, dann komme ich mit meinem Anwalt.“
Wir sind zivilisiert. Wir verpassen den Leuten während des Gesprächs keine Elektroschocks
„Hören Sie, ich habe keine Ladung. Ich möchte Sie zu einem informellen Gespräch zu uns einladen, das Sie in keiner Weise gefährdet. Wovor haben Sie Angst? Wir sind ja nicht das Innenministerium. Wir sind zivilisiert. Wir verpassen den Leuten während des Gesprächs keine Elektroschocks .”
„War das jetzt ein Scherz?“
„Nein, wir machen das wirklich nicht.“
Wir schwiegen kurz.
„Na, wie gesagt, ich komme nicht.“
„Und wenn wir uns in einem Café treffen?“
„Nein, ich komme trotzdem nicht.“
Wir schwiegen wieder.
In der Leitung raschelte es, als ob mein Gesprächspartner Seiten umblätterte.
„Vielleicht haben wir unsere Bekanntschaft falsch angefangen“, sagte er nun ganz sanft. „Sie sind doch Journalistin. Sind Sie denn gar nicht neugierig, worüber ich mit Ihnen sprechen will?“
„Nun ja ... klar bin ich neugierig.“
„Ihnen ist doch wohl bewusst, dass der FSB die einzige Quelle für wirklich hochwertige Informationen ist?“
„Nun ja ...“
„Und Sie, Olga Iljinitschna, verweigern das Gespräch. Wissen Sie, wie viele Ihrer Kollegen eine solche Möglichkeit nie und nimmer ausschlagen würden? Und wissen Sie, wie glücklich viele Journalisten über so eine Gelegenheit wären?“
„Glücklich?!“
„Sie haben keine Ahnung, wie froh die Leute manchmal von uns weggehen!“
„Froh?! Vom FSB?!“
„Vom FSB! Wir sind Meister im Teamwork, von dem alle Beteiligten profitieren.“
Olga Iljinitschna, ... darf ich Ihr James Bond sein?
„Aber Moment mal, wenn Sie schon Journalisten haben, zu denen Sie das alles durchsickern lassen, wozu brauchen Sie dann noch mich?“
„Sie sind ein äußerst interessanter Mensch.“
„Ich?“
„Ungewöhnlich. Kreativ. Begabt. Ich würde sogar sagen ... herausragend!“
Etwas regte sich in mir. Der erbärmliche Teil meines Selbst, der immerzu gierig nach Lob und Anerkennung verlangte.
„Ach, kommen Sie, herausragend ...“
„Nein, wirklich. Sie können sich gar nicht vorstellen, mit welchem Genuss ich Ihr Facebook lese. Diese Ironie, dieser Humor.“
„Im Ernst? Sie lesen mein Facebook?“
„Sie haben eine große Zukunft! Und Sie könnten uns helfen!“
Wieder raschelte es in der Leitung.
„Hier, zum Beispiel, am 5. März: ‚Ich will kein Büro-Nerd sein, ich werde jetzt Bond-Girl‘. Olga Iljinitschna, ... darf ich Ihr James Bond sein?“
Ich stellte mir vor, wie statt einem Aston Martin ein schwarzer Rabe bei mir vorfährt.
„Nein.“
IV.
Die ersten Tage nach dem Anruf des FSB-Beamten war ich tatsächlich damit beschäftigt gewesen, allen meinen Bekannten davon zu erzählen. Wie ich später erfuhr, hatte ich intuitiv fast richtig gehandelt. Fast – denn ein schwerer Fehler war mir trotzdem unterlaufen.
Würde ich jetzt eine Anleitung schreiben, was man tun und was besser lassen soll, wenn einen der FSB anruft, dann wäre der erste Punkt: ERZÄHLE ES NIE DEINER MAMA.
„Olga! Du hast bestimmt ein Verfahren laufen!“
„Aber nein, Mama, was denn für ein Verfahren, ich bitte dich ...“
„Ich sag’s dir!“
„Es gibt doch nicht mal eine offizielle Einladung.“
„Aber ein Verfahren!“
„Was denn für eins?“
„Irgendeins! Einfach so ruft einen der FSB nicht an! Am Ende sperren sie dich ein?!“
„Ja, wofür denn?“
„Wofür sitzen denn jetzt alle? Wegen irgendeinem Repost! Wegen vulgärer Sprache auf Facebook!“
„Wegen vulgärer Sprache sitzt man noch nicht.“
„Das sag ich dir jetzt als Mutter: Hör auf so schmutzige Wörter zu benutzen, Tante Tanja liest mit, wie soll ich der noch in die Augen schauen? Was sind das überhaupt für Ausdrücke, ein Mädchen wie du, schämst du dich nicht, wenigstens hast du aufgehört zu rauchen, ich kann nicht glauben, dass meine Tochter ...“
„Mama ...“
„Komm mir nicht mit ‚Mama‘! Der FSB ruft dich an! Am Ende machen Sie noch eine Hausdurchsuchung bei dir.“
„Ja, wieso denn eine Hausdurchsuchung?“
„Wieso gab es eine bei Sobtschak? Das arme Mädel, nicht mal anziehen durfte sie sich. Du wirst auch noch völlig nackt auf dem Flur stehen, das sag ich dir schon seit langem, du sollst zuhause Wollsocken anziehen, bei euch zieht’s von unten, durch diesen Spalt unten am Fenster ...“
„Mama ...“
„Olga, merk dir das. Wenn sie da sind, ruf mich sofort an. Ich komme.“
V.
Nach drei Tagen begannen dann seltsame Dinge mit mir zu geschehen. Beim Fensterputzen in der Küche fiel mir plötzlich auf, dass in die Außenmauer ein dicker Eisennagel eingeschlagen war. „Wenn sie kommen, kann ich da einen Beutel mit meinem Notebook aufhängen“, dachte ich und ärgerte mich gleich: „Na, da hast du ja was gefunden, worüber du dir den Kopf zerbrechen kannst.“
Doch der Nagel ließ mir auch am nächsten Tag keine Ruhe.
„Die schicken doch immer einen rund ums Haus. Der sieht dann, wie ich den Beutel aufhänge. Aber vielleicht auch nicht. Da steht ein Baum. Ich muss schauen, ob man unser Fenster von unten sieht. Verdammt, was soll der schon von dir wollen, du dumme Kuh.“
Auf dem alten Notebook sind Nacktfotos
Weitere zwei Tage später stand ich mit Einkaufstaschen unter dem Fenster und versuchte den Nagel zu erspähen.
„Man sieht ihn.“
Die Krise bekam ich in der Nacht auf den sechsten Tag. Ich wachte auf, als hätte ich einen Stoß in die Rippen bekommen, und dachte: „Auf dem alten Notebook sind Nacktfotos.“ Vor meinem inneren Auge erschien ein schmächtiger Mann um die 35. Hinter einem massiven Schreibtisch. In dunkelblauem Jackett, Krawatte und verschwitztem Hemd. Sein Gesicht kaum zu sehen, weil die Tischlampe auf mich gerichtet war.
„Olga Iljinitschna, was soll denn das ... nach außen hin so ein anständiges Mädchen. Was wird denn da Ihre Mama sagen?“
Ich sprang aus dem Bett, riss den Schrank auf, zog die Kartons mit dem alten Technikkram heraus. Dieses Notebook funktionierte kaum mehr, doch ich schaffte es, es hochzufahren. Der Ordner mit den unseligen Fotos war so gut verborgen, dass ich ihn eine ganze Stunde lang suchen musste. Schlussendlich war alles gelöscht.
Gut, dass ich die Fotos noch irgendwo auf CD habe. Shit
Mir wurde ein wenig leichter. Ich versteckte den Computer wieder im Karton und ging ins Bett. Um die Fotos tat es mir ein bisschen leid. Ich hatte sie mit einer Freundin im vierten Studienjahr gemacht, und wahrscheinlich war ich nie so schön und fraulich wie auf diesen Fotos. Mein Blick so direkt und ruhig, als ob Stehen mit nackten Brüsten ganz normal für mich wäre. Gut, dass ich noch irgendwo die CD habe.
Shit.
Die darauffolgende Stunde suchte ich sie.
Ich durchwühlte die Kartons und fand eine verstaubte Plastiktüte. Das waren meine Schulsachen. Mir fiel ein, dass die Ermittler bei der Hausdurchsuchung von irgendeinem Oppositionellen die Schulhefte mitgenommen hatten. Ich griff in die Tüte und zog das Russischheft der fünften Klasse heraus. Ich schlug es irgendwo auf. Am Anfang der Seite stand in salatgrüner Kugelschreibertinte: „Diktat über Fremdwörter aus dem Französischen“. Unter der Überschrift tummelten sich Wörter wie „Builljon“, „Champinjon“ und „Kompanjon“. Mangelhaft.
Ich musste daran denken, wie Mama über dieses Diktat gelacht hatte. Der Mann hinter dem massiven Schreibtisch wieherte auch, den Kopf zurückgeworfen: „Schau, Wassja, Builljon, Champinjon und Kompanjon, ahahahahahaaaa!“ Hinter seinem Rücken tauchte ein Schatten auf, den es ebenfalls vor Lachen schüttelte.
Es war widerlich. Und dieses dumme, ach so niedliche Diktat schien mir plötzlich intimer als die gynäkologischen Ultraschallbilder, die ich schon in eine extra Tüte gepackt hatte. Ich nahm einen Koffer und legte die medizinische Unterlagen und Schulhefte dort hinein. Diese Sachen wollte ich am nächsten Tag zu einem Freund bringen. Dann kamen meine Notizblöcke von der Arbeit dran. Sie kamen mir alle plötzlich schrecklich kompromittierend vor: Putin und Nawalny auf jeder Seite, die Telefonnummern der Auskunftspersonen, Skizzen und Grafiken, Daten von soziologischen Umfragen, Sätze wie „lasst mich schlafen“ oder „fuck it all“ in den Ecken.
Bis acht Uhr morgens zerriss ich meine Tagebücher in kleine Schnipsel
Bis fünf Uhr morgens schrieb ich alles Wichtige heraus und speicherte es in der Cloud, dann zerriss ich die Notizblöcke in winzige Schnipsel. Irgendwann suchte mich die Vorstellung heim, wie der Mann im blauen Jackett die Papierfetzen mit einer Pinzette zusammenfügen würde, doch mit Willenskraft zwang mich, dieses Bild aus meinem Kopf zu jagen.
Wieder legte ich mich hin. Der Schlaf ließ lange auf sich warten. Ich wälzte mich hin und her. Sah zum Fenster hinaus. Horchte. Döste endlich ein. Träumte etwas Beklemmendes. Gegen sieben Uhr morgens wachte ich mit dem Gedanken auf, dass der FSB bloß nicht erfahren durfte, dass ich im vierten Studienjahr in einen Professor vernarrt war, zu Beginn des Magisterstudiums in einen Schauspieler am Theater Satirikon und in Jane Austens Mr. Knightley, der mir bis heute nicht egal ist.
Bis acht Uhr morgens zerriss ich meine Tagebücher in kleine Schnipsel.
Um neun zog der Mann im Jackett meine Spitzenhöschen aus dem Wäschekorb und sagte: „Da haben wir sie, die Schmutzwäsche der Opposition.“ Ich warf die Waschmaschine an.
Unterdessen wuchs der Müllberg.
Ich habe mal in einem Artikel mit Tipps zum Ausmisten gelesen, wenn man alles Unnötige loshaben will, dann soll man jeden Gegenstand in die Hand nehmen, ihn ansehen und sich fragen: „Verspüre ich Freude über den Besitz dieses Gegenstandes?“
Während meiner Vorbereitung auf die hypothetische Hausdurchsuchung stellte ich mir vor, wie ein fremder Mensch meine Sachen anfasst, und fragte mich dabei: „Verspüre ich Entsetzen?“
Ich warf das Halloweenkostüm aus Schulzeiten weg, die gefakten Chanel-Stiefel, die Gay-Pornos und eine originalversiegelte CD mit einer bizarren Rede von Schewtschuk zur Geschichte Russlands. Das hätte ich alles schon längst wegwerfen sollen, doch jetzt war dieses Zeug nicht mehr überflüssig, sondern bedrohlich. Jedes Ding bekam eine neue Bedeutung.
Ich wischte den Boden und die Regale. Räumte den Tisch auf.
Endlich war alles fertig.
Alles war sauber.
Alles war leer.
Im Zimmer zog es ordentlich, der letzte Staub senkte sich in der Sonne. Über den nassen Boden fegte ein kalter Luftstrom. Auf einmal fröstelte es mich. Ich erinnerte mich, dass in einer Schublade in der Kommode meine Wollsocken lagen. Ich öffnete auf gut Glück die unterste, wühlte in den dort vergessenen Klamotten und spürte plötzlich etwas Großes, Hartes, Geschmeidiges.
Ich bekam Gänsehaut, als mir einfiel, was dort lag.
Der Mann im blauen Jackett steckte grinsend die Hand in die Schublade, pfiff beeindruckt und zog einen riesen, rosa Schwanz mit Schaltern zwischen den Anziehsachen hervor.
„Der gehört nicht mir“, sagte ich.
Der Mann drückte auf einen Schalter. Der Schwanz begann aggressiv zu zappeln.
„Wer wird denn zuhause fremde Schwänze aufbewahren?“ merkte der Besucher zu Recht an.
Nehmt bitte diesen Schwanz in Pflege
Dieser Penis war ein Geburtstagsgeschenk meiner besten Freundin gewesen, das ich, verstört und fassungslos, schnell und sündig irgendwo versteckt hatte. Und da war er nun. Riesig, lang, in peinlichem Rosa. Stolz wie ein Jedi-Schwert. Das Excalibur der modernen Jungfer.
Oh Gott, welche Schmach.
Ich packte den rosa Penis und stürzte zu dem Koffer mit den Sachen, die ich zu Freunden bringen wollte.
„Nehmt bitte diesen Schwanz in Pflege“, kommentierte das blaue Jackett.
Ich hielt inne. Stimmt. Seinen Bekannten einen Koffer mit einem Notebook, Heften und Dokumenten zu geben – das ist das Eine. Einen Koffer mit einem Schwanz aushändigen ... das kam mir auf einmal schrecklich unanständig vor. Sogar ein bisschen niederträchtig.
Fast hätte ich ihn in den Müllsack gesteckt, doch dann sah ich den rosa Schwanz in den schrundigen Händen der Obdachlosen im Hof, der Hausmeister, der Müllmänner. Mir wurde schwarz vor Augen. Ich rannte mit dem Schwanz in der Hand durch die Wohnung. Es muss doch irgendwo einen Ort geben, wo nichts gefunden werden kann.
Mein Blick wanderte über die leeren Regale, hinüber zu den Bücherbrettern. Hinter den gesammelten Aufsätzen von Dostojewski verstecken? Der Mann im blauen Jackett kicherte fies. Wohin? Wohin damit? Ich überflog die Buchrücken. In meinem Kopf blitzten Satzfetzen auf.
Ein Mann ging aus dem Haus. Nach dem Tod ihres Mannes begann Sofja Petrowna einen Schreibmaschinenkurs. Sie spielten Karten beim Pferdetreiber Naumow. Wie gelangt man auf diesen geheimnisvollen Archipel? Ihr meine Lieben, ich küsse Euch. Ossja.
Plötzlich versiegte die Energie, die mich stundenlang angetrieben hatte.
Verschwand, als hätte es sie nie gegeben.
In meinem Kopf wurde es leer und still.
Und dann packte mich endlich eine maßlose Erschöpfung, ich legte den Schwanz entschlossen mitten auf den leeren Tisch und ging schlafen.
P.S.
Der freie Schwanz, wie ich dieses Erzeugnis seither insgeheim nenne, liegt immer noch auf meinem Tisch. Manchmal findet ihn ein Gast unter Stapeln von Papier und Notizbüchern, betrachtet ihn staunend von allen Seiten und legt ihn zurück.