Es war eine Überraschung, die für einen Tag das Scheinwerferlicht der gesamten Welt auf die bedrückende Lage der unabhängigen Medien in Russland lenkte: Die Bekanntgabe des Friedensnobelpreises 2021 für den Chefredakteur der Novaya Gazeta, Dmitri Muratow. Noch einmal dürfte dieses Schlaglicht so ausfallen, wenn im Dezember die eigentliche Preisverleihung ist. Mit ihm wird die philippinische Journalistin Maria Ressa ausgezeichnet. Heute gibt es erst einmal Lesestoff rund um diese Entscheidung, die so wohl niemand auf dem Zettel hatte.
Er ist der Preisträger, doch Dmitri Muratow machte sogleich deutlich: Dieser Preis gehöre allen Kolleginnen und Kollegen auf dem Redaktionsflur der Novaya – das erklärte er in einem Interview mit Meduza. Und: Er widme den Friedensnobelpreis vor allem jenen, die wegen ihrer journalistischen Arbeit ihr Leben lassen mussten:
„Der Friedensnobelpreis wird nicht an Tote verliehen, sondern an Lebende. Offensichtlich haben sie entschieden, ihn mir zu verleihen, der ich am Leben bin, meinten jedoch eigentlich Jura Schtschekotschichin, Igor Dominikow, Anna Politkowskaja, Nastja Baburowa und Stas Markelow, Natascha Estemirowa.“
Die Novaya Gazeta ist Flaggschiff des unabhängigen Journalismus in Russland. An die 100 Artikel aus der Novaya hat dekoder bis heute übersetzt. Was die Zeitung ausmacht, welche Rolle Muratow hat, welch berühmte und mutige Journalistinnen und Journalisten für sie arbeiteten und arbeiten: Das erfahrt ihr in unserem Medienporträt. Unter dem Portrait findet ihr auch Links zu allen Novaya-Texten, die dekoder übersetzt hat.
Die Novaya Gazeta ist jedoch nicht „die letzte unabhängige Stimme Russlands“. Versteht man den Nobelpreis wie Muratow als Preis für die Kämpfer für Meinungsfreiheit in Russland, muss man sie alle auch erwähnen: unabhängige Medien, deren mutige Journalistinnen und Journalisten trotz aller Einschränkungen, gerade der vergangenen Monate, weitermachen.
Wie stark die Meinungsfreiheit in Russland gerade in diesem Jahr immer stärker eingeschränkt wurde – vor allem nach den Solidaritätsprotesten für Alexej Nawalny und angesichts der Dumawahl – zeichnen wir in den Beiträgen unseres Mediendossiers nach.
Und wir empfehlen diesen Artikel von Tatjana Stanowaja über den Druck auf jede Art von Opposition, zu der eben auch unabhängige Medien gezählt werden, einfach, weil sie kritisch sind: Wer nicht Freund ist, ist Feind.
Noch am gleichen Tag, nur wenige Stunden nach der Bekanntgabe der Träger für den Friedensnobelpreis, hat das russische Justizministerium drei weitere Organisationen als „ausländische Agenten“ eingestuft, darunter das Investigativportal Bellingcat, außerdem neun Einzelpersonen, darunter die Medienrechtsanwältin Galina Arapowa. „Die Phase der Nicht-Anwendung des Gesetzes unmittelbar nach seinem Inkrafttreten hat bald darauf einer aktiven ‚Agentenjagd‘ Platz gemacht“, schreibt Anton Himmelspach in unserer Gnose zum Agenten-Gesetz.
Für heute: Wir gratulieren Dmitri Muratow, Maria Ressa und allen mutigen Journalistinnen und Journalisten!
Eure dekoderщiki
09.10.2021
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