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Russland und der Kolonialismus

Kolonialimperien – das sind immer die anderen. Und doch hat Russland über eine Vielzahl an Völkern geherrscht und sein Territorium seit dem 16. Jahrhundert auf das 22-Fache vergrößert. Von der Eroberung Sibiriens bis zur angeblichen „Brüderlichkeit der Sowjetvölker“ wird die Kontinuität des russischen Kolonialismus im Krieg gegen die Ukraine besonders deutlich. Die vor diesem Hintergrund erstarkende Idee einer Dekolonisierung Russlands versucht der Kreml mit allen Mitteln zu unterdrücken. 

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Olga Skabejewa

Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt. 

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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Der Vertrag über den Offenen Himmel

Derzeit steckt die Rüstungskontrolle in einer tiefen Krise – und damit auch die mit ihr verbundenen vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen (VSBM): Mechanismen, die in zähen Gesprächen während des Kalten Krieges zwischen NATO und den Staaten des Warschauer Pakts vereinbart wurden, spielen heute eine immer geringere Rolle. Viele Staaten, darunter vor allem die führenden Militärmächte USA, Russland und China, zeigen kaum noch ein ernsthaftes Interesse an einer neuen Rüstungskontrollpolitik.

Nach der Beendigung des ABM-Vertrags über die Begrenzung von Raketenabwehrsystemen (2002), dem Rückzug Russlands aus dem Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (2007) und dem Ende des INF-Vertrags über landgestützte nukleare Mittelstreckenraketen (2019), steht nun auch der Vertrag über den Offenen Himmel (OH-Vertrag) auf der Kippe: Dieser trat 2002 in Kraft, um unbewaffnete Beobachtungsflüge über das gesamte Staatsgebiet aller 34 Teilnehmerstaaten zu ermöglichen. Der Vorteil des Vertrags besteht darin, dass die Auflösung der bei diese Flügen gemachten Aufnahmen und die technische Ausstattung der verwendeten Flugzeuge standardisiert sind. Die Regelungen werden von einer gemeinsamen Beratungskommission (OSCC) überwacht, die regelmäßig in Wien zusammentrifft und im Konsens entscheidet. Außerdem stehen die gewonnenen Daten grundsätzlich allen Mitgliedstaaten zur Verfügung. Damit trägt der Vertrag zur militärischen Vertrauensbildung zwischen NATO und Russland bei, er ist aber, gerade für Staaten ohne eigene Militärsatelliten, auch ein wichtiges Mittel, um militärische Veränderungen zu beobachten. 

Trotz dieser Vorteile haben die USA im Mai 2020 ihren Ausstieg aus dem Vertrag angekündigt. Dieser wird im November rechtskräftig. Wird es gelingen, das Abkommen dennoch zu erhalten? 

Russische Militärangehörige besuchen im Jahr 2009 nach einem Überflug die Elmendorf Air Force Base in Alaska / Foto © U.S. Air Force photoillistration/ Staff Sgt. Joshua GarciaDer Vertrag über den Offenen Himmel ist ein komplexes Dokument, das auf fast 100 Seiten minutiös den Ablauf von Überflügen und Missionsplanung, die Verwendung von Sensoren und Aufnahmedaten sowie die Wahl der Beobachtungsflugzeuge festlegt. Auch Einflugpunkte, Flugplätze und die von diesen zu erreichenden Flugentfernungen sind geregelt. Außerdem definiert der Vertrag für jeden Staat sogenannte passive Quoten: Diese bestimmen, wie häufig er von anderen Teilnehmern im Jahr überflogen werden kann. Die Anzahl entspricht auch den aktiven Quoten: Überflüge, die der jeweilige Staat selbst über anderen Staaten durchführt. Insgesamt finden so durchschnittlich 100 Flüge pro Jahr statt.1 

Militärisches Vertrauen durch Transparenz 

Die ursprüngliche Idee für den Vertrag über den Offenen Himmel stammt noch aus den 1950er Jahren. Auf der Vier-Mächte-Konferenz 1955 in Genf schlug US-Präsident Eisenhower angesichts der zunehmenden nuklearen Aufrüstung der Sowjetunion eine gegenseitige Luftaufklärung vor. Moskau lehnte ab. Die sowjetischen Militärs sahen in den Überflügen einen Vorwand zur Spionage. Geheimhaltung galt als probates Mittel, um die damalige Unterlegenheit der UdSSR bei strategischen Nuklearwaffen zu verschleiern.

Erst nach dem Kalten Krieg griff US-Präsident George H. W. Bush im Mai 1989 die Idee wieder auf. Gleichzeitig trieb auch die kanadische Regierung das Vorhaben voran. Diesmal stand die Kontrolle konventioneller Waffensysteme im Mittelpunkt. Außerdem entsprach dieser Wunsch nach mehr militärischer Transparenz dem politischen Zeitgeist zum Ende des Kalten Krieges. 

Nach drei Jahren intensiver Verhandlungen unterzeichneten im März 1992 26 Staaten den Vertrag über den Offenen Himmel. Bis zu den ersten offiziellen Aufklärungsflügen vergingen jedoch noch fast zehn Jahre. Erst im November 2001 hinterlegten Russland und Belarus ihre jeweiligen Ratifizierungsurkunden. Beide Staaten bilden auch eine gemeinsame Staatengruppe, für die eine einheitliche Quote von maximal 42 Flügen pro Jahr gilt. Seit 2002 haben die Vertragspartner über 1500 gegenseitige Überflüge durchgeführt, davon rund ein Drittel über russisches beziehungsweise belarussisches Territorium. 

Implementierung und Vertragsstreitigkeiten

Insgesamt setzen die Teilnehmerländer den Ver­trag seit 2002 zum größten Teil regelkonform um. Bereits vor Inkrafttreten führten sie 400 Testflüge durch, um Vertrautheit im Umgang mit dem komplexen Regelwerk zu erhalten. Dennoch bestanden auch danach noch Implementierungsfragen, von denen viele jedoch im Laufe der Zeit durch Entscheidungen der Beratungskommission Offener Himmel (OSCC) und bilaterale Verhandlungen gelöst werden konnten. 

So hob Russland beispielsweise 2016 Begrenzungen der Flughöhe über Tschetschenien auf, die es 2002 wegen der anhaltenden Konflikte in der Region eingeführt hatte. Im selben Jahr gewährten die USA Zugang zu allen Inselgebieten. Bedenken gegenüber der Sperrung und Begrenzung des nutzbaren Luftraums über Hauptstädten, darunter auch Moskau, konnten in generelle Gespräche über nationale Flugsicherheitsvorschriften überführt werden. 

Parallel zu solchen Fortschritten haben sich die Fronten jedoch verhärtet, vor allem zwischen Russland und den USA. Seit Mai 2010 untersagt Moskau Überflüge in einem zehn Kilometer breiten Korridor an der Grenze zu den georgischen Gebieten Abchasien und Südossetien im Süden des Landes. Da Russland die Souveränität beider Gebiete anerkennt, greift aus Moskauer Sicht eine entsprechende Regelung des Vertrags,2 der Überflüge in diesem Streifen zu Nichtvertragsstaaten untersagt. 

Im Gegenzug hat Georgien seit April 2012 seine Vertragsverpflichtungen gegenüber Russland ausgesetzt. Der Streit darüber führte schließlich dazu, dass 2018 gar keine Überflüge stattfanden, weil sich die Mitgliedstaaten über die jährliche Quotenverteilung nicht einigen konnten. Ein weiterer Streitpunkt ist die im Juni 2014 von Russland eingeführte Obergrenze von 500 Kilometern für Flüge über die Oblast Kaliningrad. Moskau begründet dies offiziell mit Sicherheitsbedenken für die zivile Luftfahrt. 

Die USA bewerten beide Fälle – den Grenzkonflikt mit Georgien und die Begrenzungen über Kaliningrad – mittlerweile als Vertragsverletzung,3 und haben Gegenmaßnahmen ergriffen: 2017 führten sie ebenfalls eine Fluglängenbegrenzung von 900 Kilometer über Hawaii ein und beschränkten die Überflugmöglichkeiten über der Inselgruppe der Aleuten in Alaska. Auch der Zugang zu einigen Flughäfen, die von Russland zuvor für die Betankung von Flugzeugen beziehungsweise die Übernachtung der Crew genutzt worden waren, wurde gestrichen. Zusätzlich haben Russland und die USA vormals bestehende bilaterale Regelungen zur besseren Umsetzung des Vertrags beendet. 

Ausstieg der USA und die Zukunft des Vertrags

Im Oktober 2019 wurde bekannt,4 dass US-Präsident Trump aus dem Vertrag aussteigen will. Während langjährige Gegner des Vertrags diesen Schritt begrüßten, wie etwa der republikanische Senator Tom Cotton, begannen Kongressabgeordnete in Briefen an Außenminister Mike Pompeo vor einem Austritt zu warnen.5 Im Dezember 2019 verfügte der Kongress darüber hinaus sogar parteiübergreifend neue Regelungen im sogenannten Nationalen Verteidigungs-Autorisierungsgesetz (NDAA). Sie verpflichteten die Regierung unter anderem zur Einhaltung einer 120-Tagesfrist vor Einreichung eines offiziellen Austrittsgesuchs. Doch es half nichts. 

Am 21. Mai 2020 setzte sich die Trump-Administration über das NDAA hinweg und erklärte für den darauffolgenden Tag den Austritt der USA aus dem Vertrag.6 Dieser wird nach Ablauf von sechs Monaten im November rechtskräftig. Zwar haben führende Demokraten im US-Kongress mittlerweile auch öffentlich Einspruch gegen das aus ihrer Sicht illegale Vorgehen der Administration erhoben.7 Dass aber Präsident Trump seine Entscheidung noch einmal rückgängig machen wird oder gar vom Senat oder durch Bundesgerichte dazu gezwungen werden könnte, ist nicht zu erwarten. Die USA haben die Durchführung eigener Flüge bereits eingestellt. Darüber hinaus ist der reguläre Flugbetrieb aufgrund der Covid-19-Pandemie seit Mitte März 2020 ausgesetzt. 

Unterdessen haben die meisten Mitglieder auf der vom Vertrag nach einem Austrittsgesuch vorgesehenen Staatenkonferenz am 6. Juli ihr Interesse am Erhalt des Abkommens bekräftigt. Russland veröffentlichte in einem ungewöhnlichen Schritt die Redebeiträge seiner beiden Vertreter, die im Detail auf Bedenken und Forderungen Moskaus verwiesen.8 Russland möchte unter anderem seine bisherigen US-gebundenen Flüge neu über Europa und Kanada verteilen. Auch der Überflug von US-amerikanischen Militäranlagen in Europa soll möglich bleiben. 
Die eigentliche Sorge Moskaus besteht jedoch darin, dass die USA auch nach einem Austritt weiterhin alle Aufnahmen erhalten könnten, die bei Überflügen über Russland gemacht wurden. Dies ist zwar laut Vertrag nicht vorgesehen, aber angesichts der Bündnisverpflichtungen in der NATO durchaus nicht unwahrscheinlich. In den nächsten zwei Monaten werden deshalb sowohl bilateral als auch in einer gesonderten informellen Arbeitsgruppe der OSCC intensive Gespräche geführt werden. Zunächst geht es vor allem darum die offenen technischen Fragen zu klären, die der US-Austritt mit sich bringt: Wie können die dann fehlenden Flugzeugkapazitäten ersetzt werden? Wer übernimmt den Vorsitz in den bisher von den USA geleiteten informellen Arbeitsgruppen? Was bedeutet der Austritt für das Budget der OSCC? Muss die bisherige Quotenverteilung geändert werden? 

Anfang Oktober werden die Mitgliedstaaten auf der alle fünf Jahre stattfindenden Überprüfungskonferenz des Vertrags dann Farbe bekennen müssen. Die Europäer und Kanada sind in einer schwierigen Lage. Sie sind aufgefordert ihre eigenen Interessen zu wahren und Russland im Vertrag zu halten, ohne die NATO als Militärbündnis öffentlich zu beschädigen. 


1.Graef, Alexander/Kütt, Moritz (2020): Visualizing the Open Skies Treaty 
2.Auswärtiges Amt (1992): Vertrag über den Offenen Himmel 
3.State Department of the United States (2020): Compliance Report 2020. Die Position der USA hat sich in diesen Fällen seit 2018 gewandelt. Sprach das U.S.-Außenministerium bis dahin noch von „compliance concerns“, so wird das russische Verhalten seitdem als „treaty violation“ bezeichnet. Siehe lawfareblog.com: Graef, Alexander (2020): The End of the Open Skies Treaty and the Politics of Compliance 
4.Gordon, Michael R./Salama, Vivian (2019): Trump moves close to ending another Post-Cold War treaty, in: The Wallstreet Journal, 27.10.2019 
5.Menendez, Robert/Reed, Jack (2020): Letter to Secretary of State Mike Pompeo, 28.02.2020 
6.Pompeo, Mike R. (2020): On the Treaty on Open Skies, 21.05.2020 
7.Menendez, Robert et al. (2020): Letter to Secretary of State Mike R. Pompeo and Secretary of Defense Mark T. Esper, 22.06.2020 
8.Außenministerium der Russischen Föderation (2020): O Konferencii gosudarstv-učastnikov Dogovora po otkrytomu nebu po rassmotreniju posledstvij vyxoda SŠA iz Dogovora, 08.07.2020 
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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)