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Russland und der Kolonialismus

Kolonialimperien – das sind immer die anderen. Und doch hat Russland über eine Vielzahl an Völkern geherrscht und sein Territorium seit dem 16. Jahrhundert auf das 22-Fache vergrößert. Von der Eroberung Sibiriens bis zur angeblichen „Brüderlichkeit der Sowjetvölker“ wird die Kontinuität des russischen Kolonialismus im Krieg gegen die Ukraine besonders deutlich. Die vor diesem Hintergrund erstarkende Idee einer Dekolonisierung Russlands versucht der Kreml mit allen Mitteln zu unterdrücken. 

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Olga Skabejewa

Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt. 

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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft der UdSSR (WDNCh)

Die WDNCh (Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft der UdSSR, Moskau) war ein Abbild der idealisierten Sowjetunion: In diesem Miniatur-Wunderland gruppierten sich kunstvoll angelegte Pavillons der einzelnen Teilrepubliken mit deren exotischen Erzeugnissen und regionaltypischem Kunsthandwerk einträchtig hinter einem zentralen Palast. Den Besuchern wurde so ein utopisches Modell des idealen Staates präsentiert, wie ihn sich viele erträumten. Die zahlreichen Umbauten der Ausstellung spiegeln die verschiedenen Veränderungen in der Sowjetunion wider. Lange nach dem Zerfall des Staates wurde das Ausstellungsgelände 2014 unter Denkmalschutz gestellt und die Erinnerung an goldene – wenn auch größtenteils imaginierte – Zeiten damit offiziell konserviert.

Die 1939 eröffnete Allunions-Landwirtschaftsausstellung (1959 umbenannt in WDNCh, Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft der UdSSR) stand in der Tradition nationaler und internationaler Ausstellungen, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa ein wichtiges Medium der Selbstdarstellung von Nationalstaaten und ein Instrument des nation building waren.1

Das Muster einer ausgedehnten Pavillon-Stadt kam erstmals bei der Pariser Weltausstellung von 1889 zur Anwendung.2 Die Ausstellungen sollten das Publikum durch Teilhabe an nationalen Symbolen und Institutionen erziehen, bilden und kulturell assimilieren.3 Ihre Funktionen reichten von der nationalen Identitätskonstruktion über die Austragung von Rivalitäten bis hin zur Volksbildung und zum Laboratorium für Zukunftstechnologien für die „Welt von morgen“. Die sowjetischen Konzepte lehnten die kolonialen und imperialen Displays der internationalen Ausstellungen zwar ab. Die WSChW/WDNCh hatte jedoch im Grunde ganz ähnliche Ziele und Funktionen und übernahm grundlegende Muster.

Ewig leuchtendes Beispiel der sowjetischen Architektur

Die sowjetische Allunions-Landwirtschaftsausstellung (WSChW) sollte ursprünglich 1937 zum Jahrestag der Oktoberrevolution eröffnet werden. Eine erste international ausgerichtete Landwirtschafts- und Gewerbeausstellung mit futuristischen Holzpavillons von Konstantin Melnikow, Boris Gladkow und Wladimir Schtschuko hatte 1923 einen Monat gedauert.4 Architekt Wjatscheslaw K. Oltarschewski, der 1935 den Wettbewerb für eine Neuauflage gewann, wollte die WSChW als Parade-Beispiel für standardisierte Bauweise in der Landwirtschaft gestalten. Während der Planung wurde jedoch beschlossen, dass die Ausstellung nicht 100 Tage, sondern fünf Jahre dauern sollte.  Angesichts der neuen Aufgabe, ein ewig leuchtendes Beispiel sowjetischer Architektur zu errichten, erschienen die geplanten hölzernen Pavillons als Akte der Sabotage. Die Eröffnung wurde verschoben, Oltarschewski verhaftet: die politischen Säuberungen der Jahre 1937 und 1938 erfassten die Ausstellungsplaner.

Sowjetunion en miniature

Ein neues Team um Sergej Tschernyschew gestaltete die Ausstellung zwischen 1937 und 1939. Die neue Version zeigte neoklassizistische, reich mit Ornamenten verzierte Bauten und die Kolossalskulptur Arbeiter und Kolchosbäuerin von Vera Muchina und Boris Iofan, die bereits den Pavillon an der Weltausstellung in Paris 1937 geschmückt hatte.5 Die Ausstellung wurde 1939 zum zehnten Jahrestag des Beginns der Kollektivierung eröffnet.

Das Gelände war als idealer Staat angelegt, mit einem palastartigen Zentralpavillon und dem Platz der Kolchosen, um den sich die Pavillons der Republiken mit ihren Musterpflanzungen scharten.

Usbekistan-Pavillon. Die Pavillons zeigten Dekorationen und Kunsthandwerk, die für die jeweilige Region typisch waren. Foto © Artyom Polevoy unter CC BY 2.0

Der als Narrativ angelegte Rundgang ermöglichte den Besuchern eine virtuelle Reise durch die Sowjetunion en miniature: Am ersten Tag würden die Besucher den zentralen Teil mit den Pavillons der Republiken besichtigen; am zweiten Tag die Pavillons für Ackerbau und Viehzucht mit ihren exotischen Früchten, seltenen Gänsen und Schweinesorten. Der dritte Tag schließlich gehörte der Unterhaltung und Erholung im Vergnügungspark mit seinen Cafés und Restaurants.

Dadurch wurden die Besucher mit einem Bild des Landes und mit einer Standard-Auswahl von Schlussfolgerungen über die ausgestellten Republiken und ihre Bewohner versorgt.

Ein Triumphtor zur Erinnerung an den Sieg

Nach dem Krieg, zwischen 1950 und 1954, wurde die Ausstellung im Stil des so genannten patriotischen Monumentalismus umgebaut und erhielt ein Triumphtor – zur Erinnerung an den Sieg im Großen Vaterländischen Krieg. Der Platz der Kolchosen wurde erweitert um die drei annektierten baltischen Republiken und geschmückt mit dem Brunnen der Völkerfreundschaft. Die von weiteren Pavillons der Republiken gesäumte zentrale Allee führte zum erweiterten Pavillon der Mechanisierung und zu den Themenpavillons für Ackerbau und Viehzucht.

Alle Pavillons im zentralen Teil der Ausstellung zeigten Dekorationen und Kunsthandwerk, die für ihre jeweiligen Regionen typisch waren. Vor jedem Pavillon befanden sich ein Hof und ein Garten mit Pflanzen aus der Region. Der daran anschließende Erholungspark mit Cafés und Restaurants war ein Wunder der Landschaftsarchitektur mit märchenhaft anmutenden Pavillons wie der Nachbildung einer Eisgrotte für den Verkauf von Speiseeis.6

Nationale Leistungsschau mit Kosmos-Pavillon

Die Ausstellung wurde 1958 geschlossen, umgebaut und 1959 unter der Bezeichnung Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft der UdSSR als nationale Leistungsschau wiedereröffnet. Der Pavillon der Mechanisierung war zum Kosmos-Pavillon geworden. Ganz im Trend der internationalen Entwicklung diente die WDNCh der Popularisierung von Wissenschaft und Technik.7 Im Jahr 1967, zum 50. Jahrestag der Revolution von 1917, erfolgten weitere Vergrößerungen und Verbesserungen, ebenso zu den Olympischen Spielen in Moskau 1980. 

1959 ist der Pavillon der Mechanisierung zum Kosmos-Pavillon geworden. Hier ein Blick in die Kuppel. Foto © Sergey Norin unter CC BY 2.0

In der Ausstellung lebte der Monumentalismus fort. Der Versuch, von der thematischen Ausstellung zur Wechselausstellung überzugehen, führte allerdings zum Verlust des Gesamteindrucks. Auch die finanziellen Mittel flossen seit der Breshnew-Zeit nicht mehr so üppig, so dass sich der Gesamtzustand schleichend verschlechterte.

Wichtiger Erinnerungsort

In den 1990er Jahren wurden die Pavillons vermietet, teilweise in Geschäftslager umgebaut oder für Messen und Konsumgüterausstellungen genutzt. Auf dem Gelände wurde ein Vergnüngungspark untergebracht. Viele wertvolle Ausstellungsstücke, unter allem aus dem Pavillion „Kosmos”, wurden in dieser Zeit zerstört oder landeten auf dem Schrott.

In den 1990er Jahern werden unter den Augen Juri Gagarins Saatgut und Handtaschen verkauft. Foto: Ilya Varlamov / Varlamov.ru

Heute bedient das Gelände als wichtiger russischer Erinnerungsort aktuelle Identitätsbedürfnisse: Es war wie die Moskauer Metro oder das Ferienlager Artek auf der Krim Teil eines Systems perfekter Orte, an denen bereits in der sowjetischen Gegenwart die lichte Zukunft besichtigt und genossen werden konnte.8 Sie waren zu Sowjetzeiten sehr populär und erinnern heute an den vergangenen Großmachtstatus in Verbindung mit Freizeit und Vergnügen.

Die WDNCh steht seit 2014 unter Denkmalschutz und wird derzeit fein säuberlich auf den neuesten Stand gebracht: entrümpelt, restauriert, aber auch um angrenzende Areale erweitert und verändert.


1. Rydell, Robert W. und Nancy Gwinn (Hg.) (1994):  Fair Representations. World’s Fairs and the Modern World. Amsterdam; Greenhalgh, Paul (1988): Ephemeral vistas. The Expositions Universelles, Great Exhibitions and World’s Fairs, 1851-1939, Manchester; Swift, Anthony (1998): The Soviet World of Tomorrow at the New York World’s Fair, 1939, in: The Russian Review 57, S. 364-79; Morton, Patricia (2000): Hybrid modernities. Architecture and Representation at the 1931 Colonial Exposition, Paris, Cambridge, Mass.
2. Greenhalgh, Ephemeral vistas, S. 66
3. Yengoyan, Aram A. (1994): Culture, Ideology and World’s Fairs: Colonizer and Colonized in Comparative Perspectives, in: Rydell, Gwinn, Fair Representations, S. 62-83, hier S. 81
4. Starr, S. Frederick (1978): Melnikov. Solo architect in a mass society, Princeton, N.J. S. 57; Posochin, V. und Baranov, N. et al. (1968): Sovetskaja Architektura za 50 let., Moskau
5.Zinov’ev, A. (2014): Ansambl’ VSChV. Architektura i stroitel’stvo. Moskau.; Papernyj, V. (1996): Kul’tura dva. Moskau, S. 196-197; Castillo, G. (1995): Peoples at an Exhibition: Soviet Architecture and the National Question, in: South Atlantic Quarterly 94 (3), S. 715-746 (Special issue: Socialist Realism without Shores. Hg. von Thomas Lahusen und Evgeny Dobrenko), hier S. 728
6.Olenčenko, N. (2002): Vystavka-prodaža/The Soviet Trade Show, in: Proekt Rossija 23, S. 78
7.Schroeder-Gudehus, Brigitte und Cloutier, David (1994): Popularizing Science and Technology During the Cold War. Brussels 1958, in: Rydell, Gwinn, Fair Representations, S. 157-180
8.Foucault, M. (1991): Andere Räume, in: Stadt-Räume. Hg. von Martin Wentz. Frankfurt a. M. usw. , S. 65–72; Ryklin, M. (2003): Räume des Jubels. Totalitarismus und Differenz, Frankfurt a. M.
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