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Russland und der Kolonialismus

Kolonialimperien – das sind immer die anderen. Und doch hat Russland über eine Vielzahl an Völkern geherrscht und sein Territorium seit dem 16. Jahrhundert auf das 22-Fache vergrößert. Von der Eroberung Sibiriens bis zur angeblichen „Brüderlichkeit der Sowjetvölker“ wird die Kontinuität des russischen Kolonialismus im Krieg gegen die Ukraine besonders deutlich. Die vor diesem Hintergrund erstarkende Idee einer Dekolonisierung Russlands versucht der Kreml mit allen Mitteln zu unterdrücken. 

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Olga Skabejewa

Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt. 

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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Russischer Mat – kulturhistorische Aspekte

Eine obszöne Schmäh- und Fluchsprache – das ist die am weitesten verbreitete Vorstellung von Mat. Eine Art und Weise zu reden, die voll unflätiger Wörter und Wendungen und in der Alltagssprache und insbesondere im öffentlichen Leben unzulässig ist. Mat gilt als Schimpfsprache, daher heißt auch der gängige Ausdruck nicht Mat sprechen sondern Mat schimpfen (rugat’sja matom). Aber nicht jedes Fluchen ist Mat, also obszön, und umgekehrt ist nicht jeder obszöne Mat unbedingt Flucherei.

Mat kann einerseits als Ausdruck verbaler Aggression verstanden werden, als eine adressatenspezifische Beleidigung und Abwertung. Andererseits ist Mat aber auch ein Mittel, um seine Gefühle auszudrücken, zum Beispiel starken Ärger oder genau andersrum große Freude. Fast nie drücken diese Wendungen jedenfalls etwas Sexuelles aus, obwohl die drei Schlüsselwörter im Mat – chuj (dt. Schwanz), pizda (dt. Möse), ebat’ (dt. ficken)1in ihrer ursprünglichen Bedeutung männliche und weibliche Geschlechtsorgane sowie Geschlechtsakte bezeichnen.

Wie ist Mat entstanden?

Wie ist russischer Mat entstanden? Die Herkunft dieser obszönen Wörter und Ausdrücke im Russischen stellt eine komplexe sprachwissenschaftliche Problematik dar, und vieles ist noch ungeklärt. Die Wissenschaftler sind sich aber in einem Punkt einig: Historisch gesehen handelt es sich um altslawische, genau genommen russische Wörter und Wendungen, die mythologische, heidnische Vorstellungen der Welt als ganzer widerspiegeln.2

Bei den Slawen hatten diese Wörter und Ausdrücke eine rituelle Funktion mit symbolischem Charakter, beispielsweise zum Anrufen einer wichtigen heidnischen Gottheit: des Himmels, um sich mit Mutter Erde zu verbinden (Eti svoju mat’!, dt. wörtlich: Habe/beherrsche deine Mutter.) Dadurch wurde die Idee von Fruchtbarkeit und Fortsetzung des Lebens auf der Erde ausgedrückt. Im Kontext von Haus und Hof wurden diese Ausdrücke eingesetzt, damit es eine gute Ernte geben möge; in ehelichen Zusammenhängen, damit Kinder geboren würden. Anders gesagt:  Sie kamen in einem magischen, sakralen Sinne zum Einsatz. In Bezug auf Feinde wurde eine andere Wendung zur magischen Phrase: Pjos eti ego mat’! (dt. Hund, beherrsche seine [des Feindes] Mutter Erde!). Der infernalische Hund entweiht demnach das Feindesland.

Später dann wandelte sich die Bedeutungsebene dieser Ausrufe hin zu einem profanen Inhalt: Statt „Mutter Erde“ hatte der Sprecher nun die Mutter seines Gegenübers, seines Gegners im Sinn (daher auch der Begriff mat’, maternyj, wörtlich: Mutter, mütterlich). Das Verb wurde damit ebenfalls konkreter: ebat’ wurde im Laufe Zeit zur Metapher für Sexualität (zuvor bedeutete das Wort soviel wie schlagen, peitschen). So klang der Ausruf im Endeffekt nun so: Job tvoju mat’! (dt. Fick deine Mutter!). Auf diese Weise hat sich die vulgäre, fluchende Botschaft der Phrase herausgebildet. Aber mit der Zeit wurde der profane, beleidigende Inhalt verdrängt: Übrig blieb eine emotionale Interjektion, die keinerlei sexuellen Sinn mehr trägt.

Mat als Tabu

Wann wurden diese Wörter und Ausdrücke in der russischen Kultur zum Tabu? Nach der Christianisierung der Rus gerieten die rituellen und heidnischen Vorstellungen sowie die ihnen entsprechenden Ausrufe und sprachlichen Wendungen in Widerspruch mit der neuen christlichen Ideologie. Das orthodoxe Christentum führte einen erbitterten, ideologischen Kampf gegen den Gebrauch von Mat, in dem Versuch, alles Alte zu diskreditieren. Heidnische Ausdrücke galten als dämonisch. Einst unschuldig und normal, galten sie mit der Zeit als verboten und obszön. Dies führte – wie so oft – zum gegenteiligen Ergebnis, nämlich zu ungeahnter Popularität. Ohne Übertreibung lässt sich sagen: Mat in seiner modernen Form ist das Produkt von Verbot und Unterdrückung, in früheren und auch in späteren Zeiten.

Der moderne Gebrauch obszöner Wörter und Ausdrücke ist zweifellos sozial markiert. Mat gilt als Sprache der sozialen Unterschicht. Jedoch wird es in der einen oder anderen Form und in unterschiedlichen Funktionen ebenso von ganz verschiedenen russischsprachigen Gesellschaftsschichten verwendet. Einmal gibt es die phonische Vulgärsprache – die sinnlose Verwendung von Mat als verbaler Müll. Viel häufiger und vielseitiger ist der sogenannte expressive Mat – als emotionaler Ausdruck des Individuums, zur Erleichterung in Stressmomenten, zur Wiedergabe starker Gefühle, auch positiver. Schließlich kann Mat auch eine Art ästhetische Funktion erfüllen, insbesondere in der Literatur: zur Charakterisierung der Personenrede oder als besonderes sprachliches Mittel im Ausdruck negativer oder positiver Emotionen (so zum Beispiel auch in Texten von Puschkin, Solschenizyn oder Sorokin).

Die Sonderlinge in der Mat-Verwendung

Eine sprachliche „Errungenschaft“ der Sowjetzeit ist der sogenannte Nomenklatur-Mat: die Verwendung grober, obszöner Wörter und Phrasen in der informellen Kommunikation zwischen Staatsbeamten und ihren Untergebenen, aber auch mit Jüngeren. Hierbei dient Mat nicht allein der Demonstration hochnäsiger Geringschätzung, sondern auch als spezifisches Stilmittel, einer familiär vertrauten Grundhaltung des Chefs im Verhältnis zu seinem unterstellten Mitarbeiter.  

Darüber hinaus dient Mat in nachlässig umgangssprachlich gehaltener Kommunikation oftmals als abgrenzendes Signal gegenüber Fremden, die als nicht zugehörig zu einer Gruppe gelten und lässt im Gegenzug die Vertrautheit mit den „eigenen Leuten” erkennen. Eben, weil man mit ihnen praktisch dieselbe Sprache spricht. In diesem Zusammenhang seien Nicht-Muttersprachler vor der Verwendung von Mat gewarnt, weil es unvermeidlich zu einem kommunikativen Misserfolg führen muss. Gewöhnlich erzielen sie damit eher einen komischen Effekt. Die Verwendung von Mat ist einfach von einer Vielzahl sprachlicher, aber auch subkultureller sowie stilistischer und semantischer Besonderheiten beeinflusst, die enorm schwer zu beherrschen sind. 

Multifunktionalität des russischen Mat

Sprachwissenschaftler unterscheiden mehr als zwanzig Funktionen des Mat.3 Die Multifunktionalität von Mat-Wortstämmen besteht in der Sprachpraxis darin, verschiedene kommunikative Aufgaben zu erfüllen und unterschiedliche, oft gegensätzliche Emotionen, Zorn und Freude, Aburteilung und Befürwortung, Verachtung und Begeisterung zu transportieren. Zum Beispiel: Krasse Neuigkeiten! könnte man auf Russisch als Ni chuja sebe novost’! ausdrücken, was in wörtlicher Übersetzung „Mein Schwanz, sind das Neuigkeiten!“ bedeuten würde. Ein weiteres Beispiel könnte der Satz sein: Nu vas v pizdu, ne smešite menja! (dt. etwa ‘Hört mir doch auf, verarschen kann ich mich auch selbst!’, wörtlich: „Zur Möse mit euch, veralbert mich nicht!“). Diese Ausrufe gelten allerdings als niedriges umgangssprachliches Niveau.

Wie beständig Mat ist, sieht man daran, dass er über viele Jahrhunderte den Versuchen, ihn einzudämmen, standgehalten hat. Besonders auffällig ist die Produktivität der obszönen sprachlichen Einheiten: Immer wieder gibt es Neubildungen aus den drei Schlüsselwörtern des traditionellen russischen Mat. Auf einer Stopp-Liste für das russische Internet (die Domains .ru und .рф) sind circa viertausend solcher derber abgeleiteter Wörter. Die meisten davon finden sich nicht in Wörterbüchern, und die Bedeutung vieler Neubildungen kann mit unterschiedlichem Erfolgsgrad nur im jeweiligen Kontext erschlossen werden (vgl. beispielsweise: chujatizacija, propizdjačit’, izebenit’).

Mat wird sehr widersprüchlich bewertet: Der weit überwiegende Teil der russischen Gesellschaft verurteilt den Gebrauch obszöner Wörter und Wendungen – aus moralischen und ästhetischen Gründen, aber auch, weil die Normen der russischen Literatursprache, von denen das Sprechen geleitet wird, es erfordern. Gleichzeitig drückt ein breiter Teil der Bevölkerung auch ein Auge zu, wenn es um Mat geht (dessen alltäglicher Gebrauch hier genauer dargestellt wird) – dann wird es als nationales Gemeingut aufgefasst, als sprachlicher Heldenmut und auch als beliebtes und recht souveränes Stilmittel, um eine Art sprachlicher Unabhängigkeit unter den im russischen Leben traditionell herrschenden Bedingungen von sozialer und politischer Unfreiheit zu demonstrieren.


1.Sämtliche aus dem Russischen übertragenen Lexeme in dieser Gnose unterliegen der wissenschaftlichen Transliteration
2.s.a. Uspenskij, B. A. (1994): Mifologičeskij aspekt russkoj ėkspressivnoj frazeologii, in: Uspenskij, B. A.: Izbrannye trudy Bd. 2, Moskau, S. 53-128. Es gibt auch andere Ansätze zur Geschichte des russischen Mat, z. B. Michajlin, W. (2005): Tropa zvernych slov: Prostranstvenno orientirovannye kulturnye kody v indoevropejskoj tradicii, Moskau, S. 331-360: Hier wird die magische Natur der russischen obszönen Lexik nicht geleugnet; erklärt wird ihr Auftreten ausschließlich durch männliche Jägerei und Kriegsmagie (vergl. S. 335)
3.s. ausführlicher: Želvis, V. I. (1997): Pole brani: Skvernoslovie kak social`naja problema, Moskau
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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)