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Russland und der Kolonialismus

Kolonialimperien – das sind immer die anderen. Und doch hat Russland über eine Vielzahl an Völkern geherrscht und sein Territorium seit dem 16. Jahrhundert auf das 22-Fache vergrößert. Von der Eroberung Sibiriens bis zur angeblichen „Brüderlichkeit der Sowjetvölker“ wird die Kontinuität des russischen Kolonialismus im Krieg gegen die Ukraine besonders deutlich. Die vor diesem Hintergrund erstarkende Idee einer Dekolonisierung Russlands versucht der Kreml mit allen Mitteln zu unterdrücken. 

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Olga Skabejewa

Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt. 

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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Genrich Jagoda

Der Name Genrich Jagoda ist untrennbar mit den stalinistischen Repressionen, dem Aufbau des Straflagersystems Gulag, der Organisation der ersten sowjetischen Schauprozesse und dem sowjetischen Innenministerium NKWD verbunden, das er von 1934 bis 1936 leitete.

Genrich Jagoda (1891–1938) wurde in Rybinsk in einer jüdischen Handwerkerfamilie geboren. Aufgewachsen ist Jagoda in Nishni Nowgorod, wo er auch acht Jahre das Gymnasium besuchte. Bei der anschließenden Arbeit in der Druckerei seines Vaters kam es zu ersten Berührungen mit den Anarchisten. In den 1910er Jahren wurde er mehrfach verhaftet und für einige Jahre verbannt. 1915 wurde Jagoda in die zaristische Armee eingezogen, wo er bis zu seiner Verwundung und seinem anschließenden Ausscheiden aus den Streitkräften den Grad des Unteroffiziers erreichte.1

Karriere in der russischen Geheimpolizei

Vor der Oktoberrevolution 1917 verlief das Leben von Jagoda nicht anders als das vieler Gleichgesinnter. Zwischen Februar- und Oktoberrevolution 1917 trat Jagoda den Bolschewiki bei, wobei später sein Eintritt um zehn Jahre zurückdatiert wurde. Ab diesem Zeitpunkt begann seine steile Karriere innerhalb der russischen Geheimpolizei. Er hatte unterschiedliche Posten inne, baute seine Kontakte zu Felix Dserschinski und Stalin aus und wurde bereits 1926 zum stellvertretenden Vorsitzenden der OGPU, der damaligen Geheimpolizei.

Ganz egal, welche Projekte Jagoda in seiner 20-jährigen Dienstzeit verwirklichte – ob es um Deportationen, Entkulakisierung, Prozesse gegen Staatsfeinde und Verschwörer oder um den Ausbau des Lagersystems ging – Jagoda war stets ein Helfer Stalins, der nie ohne das Wissen und die Zustimmung des Diktators handelte. Sein rasanter Aufstieg fiel in die Zeit, als die junge Sowjetrepublik sich noch mitten im Bürgerkrieg befand und nach dem Tod Lenins 1924 der Aufbau der stalinistischen Gewaltdiktatur begann. Zu den größten Projekten, die Jagoda verantwortete, zählten der Bau des Weißmeer-Ostsee-Kanals (1931–1933) und der Bau des Moskau-Wolga-Kanals (1931–1934) durch Lagerhäftlinge, von denen zehntausende aufgrund der unmenschlichen Arbeitsbedingungen ums Leben kamen.

Beflissener Helfer Stalins

Der Historiker Jörg Baberowski schrieb über Jagoda: „Was immer die Helfer des Diktators sich auch ausdachten – sie selbst wussten, dass auch ihr Leben an einem seidenen Faden hing, wenn sie versagten. Denn die Maßnahmen, die gegen die Feinde ergriffen wurden, mussten dem Ausmaß der Bedrohung entsprechen. Jagoda arbeitete an der Aufdeckung neuer Verschwörungen, belieferte Stalin mit neuen Informationen über Feinde und Verräter, aber er machte Fehler, die das Misstrauen des Diktators weckten.“2 Im September 1936 beschloss Stalin die Absetzung Jagodas, weil er sich unter anderem als unfähig erwiesen habe, die trotzkistischen Verschwörungsnetzwerke vollständig aufzudecken. Jagoda wurde durch Nikolaj Jeshow ersetzt, einen noch gefälligeren und schnelleren Handlanger Stalins, der in den Jahren 1937 und 1938 für den Großen Terror verantwortlich war.3

Misstrauen des Diktaktors

Der Massenterror wütete nicht nur innerhalb der Partei und des Staatsapparates, sondern betraf alle Schichten der sowjetischen Gesellschaft. Die innere Logik dieser Gewaltwelle wird meistens als der letzte „Akkord in der stalinistischen Revolution von oben“4 gedeutet, der dazu dienen sollte, mit Angst und Schrecken alle Widersacher des Systems zu vernichten. „Die Bedrohung durch Feinde war eine plausible Erklärung für das Versagen des Regimes [...]“, schrieb Jörg Baberowski.5 Und weil Genrich Jagoda in den Augen Stalins bei dem Kampf für die hohen Ziele der Bolschewiki versagt hatte, musste er bestraft werden. Einige Monate nach seiner Entlassung aus den Reihen des NKWD wurde Jagoda verhaftet und mit anderen bekannten Personen wie Nikolaj Bucharin und Alexej Rykow im dritten Schauprozess im Frühjahr 1938 verurteilt.6 Damit wurde Jagoda zum Opfer des Systems, das er selbst aufgebaut hat. Kurz nach seiner Verurteilung wurde er vermutlich in der Lubjanka, dem Hauptquartier des NKWD in Moskau, erschossen.   


1.vgl. Rayfield, Donald (2004): Stalin und seine Henker, München;  Petrov, N./Skorkin, K. (Hrsg.) (1999): Kto rukovodil NKVD 1934-1941: Spravočnik, Moskau;  Zalesskij, K. A. (2000): Imperia Stalina: Biografičeskij enciklopedičeskij slovar‘, Moskau
2.Baberowski, Jörg (2012): Verbrannte Erde: Stalins Herrschaft der Gewalt, München, S. 260
3.vgl. Baberowski, Jörg (2012): Verbrannte Erde: Stalins Herrschaft der Gewalt, München, S. 278-285. Oder: Chlevnjuk, Oleg V. (1996): Politbjuro: Mechanizmy političeskoj vlasti v 30-e gody, Moskau, S. 164f [in deutscher Übersetzung: Chlewnjuk, Oleg (1998): Das Politbüro: Mechanismen der politischen Macht in der Sowjetunion der dreißiger Jahre, Hamburg]. Zur Inventarliste, die während der Verhaftung in der Wohnung Jagodas erstellt wurde, siehe: Schlögel, Karl (2008): Terror und Traum: Moskau 1937, Bonn, S. 479–481
4.Chlevnjuk, Oleg V. (1991): 1937 god: Protivostojanie, Moskau, S. 4
5.vgl. Baberowski, Jörg/Kindler, Robert (Hrsg.) (2014): Macht ohne Grenzen: Herrschaft und Terror im Stalinismus, Frankfurt am Main, S. 9
6.zu dem Prozess innerhalb des Februar-März-Plenums des Zentralkomitees siehe: Schlögel, Karl (2008): Terror und Traum: Moskau 1937, Bonn, S. 239–266
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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)