Dimitri Bykow (geb. 1967) ist ein bekannter Schriftsteller, Journalist und Professor für Literatur und Kultur. Er hat mehrere Romane und Gedichtbände veröffentlicht und ist Preisträger zahlreicher Literaturauszeichnungen. Seine Literatursendung Grashdanin Poet, in der er die politischen Verhältnisse in Russland humorvoll parodierte, war insbesondere während der Protestbewegung 2011/12 äußerst populär.
Bykow steht in der langen Tradition russischer Realisten wie Nikolaj Nekrassow, die in ihrer zivilen Lyrik (grashdanskaja lyrika) gesellschaftliche Probleme thematisieren und sich nicht nur als Schriftsteller, sondern zugleich als politische Akteure begreifen. In einem dichterischen Rückblick auf die russische Literatur formulierte Jewgeni Jewtuschenko diese besondere gesellschaftliche Stellung mit dem Satz: „Ein Poet in Russland ist mehr als ein Poet“. Damit wird Dichtern und Schriftstellern eine Rolle als Aufklärer und Kritiker zuerkannt, die in Europa eher zu den Aufgaben der Medien gehört.
Dieser Tradition verhaftet, befasst sich Bykow in seiner literarischen, oft sehr experimentellen Arbeit zwischen Literatur und Publizistik, mit den Problemen der russischen Gegenwart. Bykow begreift sich als aktives Mitglied der Zivilgesellschaft und gilt als eine der Schlüsselfiguren der russischen Opposition. Er nahm aktiv an der Protestbewegung 2011/12 teil und erreichte 2012 bei den Wahlen zum Koordinationsrat der Opposition die zweitmeisten Stimmen. Im Unterschied zu anderen Vertretern wie Boris Nemzow oder Alexej Nawalny ist Bykow jedoch kein Vertreter der – oft unbeliebten – politischen Klasse, sondern der literarischen und kulturellen Intelligenzija, was seine besondere Rolle unterstreicht und die Prominenz erklärt.
Bykow gilt als ein hervorragender Kenner der russischen Geschichte, hat aber zugleich eine sehr klare und kritische Meinung zur gegenwärtigen Situation in Russland. Diese vermittelt er über vielfältige Kanäle wie öffentliche Lesungen oder Auftritte an Schulen. Letztere sieht er als seine gesellschaftliche Verpflichtung an. Als Kolumnist und Blogger schreibt er in seinem unverwechselbaren lyrischen Stil vor allem für die Nowaja Gaseta und Echo Moskwy und spielt eine meinungsbildende Rolle in den progressiv eingestellten Gesellschaftsschichten. Außerdem tritt er im Fernsehen auf, wobei er sich seit der Protestwelle 2011/12 nur noch auf unabhängigen Kanälen wie TV Doschd zeigt. Vor allem in oppositionellen Kreisen erreichte seine bissige Politsatire Grashdanin Poet (Bürger Poet) Kultstatus: Darin trägt der Schauspieler Michail Efremow von Bykow verfasste Gedichte in der Manier (meist russischer) Lyriker und Schriftsteller vor und karikiert damit das tagesaktuelle politische Geschehen in Russland. Die Russland-Feuilletonistin der FAZ, Kerstin Holm, schrieb dazu:
„Als der Wiederwahlkämpfer Putin im Winter die Bürgerprotestbewegung mit der ‚Affenbande‘ aus dem ‚Dschungelbuch‘ verglich, antwortete Bykow mit einer lustigen Dichtung vom ‚Frischen Urwaldgesetz‘. Darin tritt statt der Schlange Kaa der Python Puu auf, der – als Anspielung auf Putins Gesichtskorrektur und seinen Witz über die weißen Schleifen der Opposition – wie ein mit Botox angefülltes Präservativ aussieht, aber von allen Dschungeltieren angehimmelt werden will. Der Spitzname Python Puu ist an Putin haftengeblieben.“1
Einige Medien in Russland bringen diesen bissigen Humor Bykows in Verbindung mit seiner Vergiftung im April 2019: Auf einem Inlandsflug kollabierte der Schriftsteller, musste ins Koma versetzt werden und wachte erst fünf Tage später wieder auf. Schon damals kam der Verdacht auf, Bykow könne vergiftet worden sein. Auch die Nowitschok-Vergiftung des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny heizte 2020 die Spekulation um Bykow zusätzlich an. Im Juni 2021 haben Bellingcat und The Insider schließlich eine Recherche veröffentlicht, laut der Bykow wahrscheinlich von denselben Mitarbeitern des FSB vergiftet wurde wie später Nawalny.
„Ich finde diese Beweise überzeugend“, kommentierte Bykow die Enthüllung. „Es ist so eine Art staatliche Verdienstauszeichnung. Ich freue mich natürlich, dass meine bescheidene Arbeit mit einem so großen Aufwand gewürdigt wird. Was sie da alleine schon für Flugtickets ausgegeben haben. Hätten sie mir das Geld doch einfach bar ausbezahlt.“
Stand: 11.06.2021