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Russland und der Kolonialismus

Kolonialimperien – das sind immer die anderen. Und doch hat Russland über eine Vielzahl an Völkern geherrscht und sein Territorium seit dem 16. Jahrhundert auf das 22-Fache vergrößert. Von der Eroberung Sibiriens bis zur angeblichen „Brüderlichkeit der Sowjetvölker“ wird die Kontinuität des russischen Kolonialismus im Krieg gegen die Ukraine besonders deutlich. Die vor diesem Hintergrund erstarkende Idee einer Dekolonisierung Russlands versucht der Kreml mit allen Mitteln zu unterdrücken. 

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Olga Skabejewa

Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt. 

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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Siebte Legislaturperiode der Staatsduma

Am 18. September 2016 fanden die Wahlen zur siebten (Legislaturperiode der) Staatsduma statt. Die Wahlbeteiligung in Höhe von 47,88 Prozent lag auf dem historisch niedrigsten Niveau. Das kann zum einen damit erklärt werden, dass die Wahl vorverlegt wurde und der Wahlkampf somit in die Sommerferien fiel. Zum anderen führte die Regierungspartei Einiges Russland schon am 22. Mai Primaries durch, die vielen Menschen einen erneuten Wahlgang überflüssig erscheinen ließen. Schließlich genießt die Duma ohnehin wenig Vertrauen in der Gesellschaft – und die niedrige Wahlbeteiligung war dafür lediglich eine weitere Bestätigung.

Der Wechsel des politischen Schwergewichts Wjatscheslaw Wolodin von der Präsidialverwaltung in die Duma kann vor diesem Hintergrund als ein Versuch gesehen werden, das Parlament aufzuwerten. Nach seiner Wahl zum Vorsitzenden zeigt er sich bestrebt, der Duma mehr Unabhängigkeit von Regierung und Präsidialverwaltung zu verschaffen und das Vertrauen der Gesellschaft zurückzugewinnen.

 

Figur 1: Vertrauenswerte, Quelle: Lewada-Zentrum

Mandatsverteilung

Wie von vielen erwartet, ging Einiges Russland als deutlicher Sieger aus der Dumawahl hervor. Obendrein bescherte der nach dem Grabenwahlsystem abgehaltene Urnengang der Machtpartei einen bisher unerreichten Erdrutschsieg. Sie bekam 54,19 Prozent der Stimmen nach der Listenwahl und 79,6 Prozent für Direktkandidaten in den Einerwahlkreisen1. Mit 343 von 450 Mandaten verfügt Einiges Russland (ER) wie schon in den Jahren 2007 bis 2011 nun auch in der siebten Legislaturperiode über eine verfassungsändernde Mehrheit. Im Vergleich zur vorherigen Amtszeit steigerte sie sich sogar um ganze 105 Sitze.

Dementsprechend erlangten die Oppositionsparteien weniger Stimmen: die KPRF erhielt 42 Mandate (minus 50), die LDPR 39 (minus 17), Gerechtes Russland 23 (minus 41), Heimat, Bürgerplattform und ein Parteiloser jeweils ein Mandat. Die ONF – eine nationalpatriotische Dachorganisation, die Einiges Russland als Kaderreserve dient – brachte etwas über 80 Kandidaten ins Parlament, also weniger als ein Viertel der ER-Abgeordneten. In der vorherigen Legislaturperiode hatten sie mit ebenfalls rund 80 Aktivisten noch ein Drittel ausgemacht2

Personelle Kontinuität

Es gibt vergleichsweise wenig neue Gesichter in der neuen Duma: 222 Deputierte aus der jetzigen Duma waren schon in der sechsten Legislaturperiode im Parlament – so viele wie noch nie zuvor (in den vorangegangenen Amtszeiten waren dies jeweils 218, 217, 204, in der dritten Duma ab 1999 gar nur 162 Abgeordnete). Acht Urgesteine waren in allen Dumas seit 1994 vertreten. Die siebte ist somit die erfahrenste Unterkammer in der Geschichte des Parlaments. Allerdings erneuerte sich die Fraktion von Einiges Russland mit 60 Prozent oder 205 Abgeordneten durchschnittlich am stärksten, was dafür spricht, dass bei den Wahlen die Konkurrenz innerhalb der Machtpartei, und nicht zwischen den Parteien, bestimmend war. 

Soziodemografisches Porträt

Männlich, Anfang 50, studiert – so sieht der durchschnittliche Duma-Abgeordnete der siebten Legislaturperiode aus.

Knapp 85 Prozent der 450 Abgeordneten sind männlich, im Vergleich zu den vorherigen Wahlperioden steigerte sich der Frauenanteil leicht. Das Durchschnittsalter beträgt 52 Jahre, damit ist die Duma etwas gealtert.

80 Abgeordnete begannen ihre Berufskarriere als Arbeiter, 58 waren im Bildungsbereich tätig, 35 können den Silowiki zugerechnet werden. 33 Abgeordnete starteten ihre Laufbahn als Unternehmer: Deren Anteil sank im Vergleich zur vorherigen Amtsperiode um gut ein Drittel. Mit 26 Ingenieuren, 25 Ärzten, 24 Journalisten und 20 Sportlern (davon 12 Olympiasieger) steigerten vier Berufsgruppen ihre Präsenz in der Duma.

443 Abgeordnete verfügen über einen Hochschulabschluss, in der dritten Duma ab 1999 waren dies nur 298. Mit 128 Deputierten überwiegen technische Ausbildungen deutlich, 107 verfügen über ein Diplom in den Wirtschaftswissenschaften, 95 in Jura, 70 in der Staatsverwaltung, 50 dürfen sich Pädagogen nennen, 35 Berufsmilitärs und 24 Ärzte schließen das Bildungsspektrum nach unten ab. 127 Abgeordnete tragen den Titel kandidat nauk (vergleichbar mit dem Doktortitel), 60 Volksvertreter habilitierten sich als doktor nauk.3

Insgesamt 61 Abgeordnete sind Unternehmer. Basierend auf den offiziellen Einkommenserklärungen konnte RBC4 errechnen, dass das Durchschnittseinkommen aller Parlamentarier im Jahr 2015 bei 16 Millionen Rubel [etwa 260.000 Euro – dek] lag. Ein Abgeordneter hatte laut der Untersuchung im Schnitt 11 Millionen Rubel [etwa 180.000 Euro – dek] auf dem Konto deponiert. Bemerkenswerterweise sind die Deputierten der siebten Legislaturperiode offiziell weniger vermögend als deren Vorgänger in der sechsten Amtszeit: Damals beliefen sich die Durchschnittswerte auf 30,3 Millionen Rubel [etwa 493.000 Euro – dek] Einkommen und 128,7 Millionen Rubel [etwa 2 Millionen Euro – dek] Ersparnisse.

Die Unterschiede zwischen den Abgeordneten sind allerdings genauso enorm wie die zwischen deklariertem Einkommen und tatsächlichem Vermögen: Der Unternehmer und Milliardär Alexander Skorobogatko5 war mit 745 Millionen Rubel [etwa 12,1 Millionen Euro – dek] Jahreseinkommen lediglich auf Platz vier in der Duma-Rangliste. Mit einem geschätzten Vermögen von 2,3 Milliarden US-Dollar wird er von Forbes jedoch auf Platz 40 der reichsten Russen eingestuft. 

Wolodins Legislative – „starke Abgeordnete, starke Duma“? 

Wjatscheslaw Wolodin hatte noch in seiner Funktion als stellvertretender Leiter der Präsidialadministration für Einiges Russland Wahlkampf betrieben. Am 5. Oktober 2016 wurde er zum Vorsitzenden der neuen Duma gewählt. Damit löste er Sergej Naryschkin ab, der zum Direktor des Auslandsgeheimdienstes SWR ernannt wurde. Weitere wichtige Posten haben die zwei ersten stellvertretenden Duma-Vorsitzenden und die sechs einfachen stellvertretenden Vorsitzenden inne, bei denen – wie auch im Fall der 26 Ausschussvorsitzenden – die systemischen Oppositionsfraktionen mit einem Anteil von 50 Prozent „übervorteilt“ wurden. Dies soll ein besseres vorläufiges Zusammenspiel dieser Fraktionen bei der Gesetzgebung garantieren: Jeweils fünf Ausschüsse gingen an die KPRF und Gerechtes Russland, drei an die LDPR.

Wolodin ist bekannt für seinen hierarchischen, bürokratisch-administrativen Führungsstil. Vieles spricht dafür, dass er diesen auch in der Duma beibehalten wird. So besetzte er vier von fünf Führungspositionen des Duma-Verwaltungsapparates6 neu, drei seiner ehemaligen Untergebenen wechselten im Oktober von der Staraja Ploschtschad in den Ochotny Rjad. Gleichzeitig schränkte Wolodin den Zugang für Präsidialverwaltungs-Mitarbeiter der Abteilung „Innenpolitik“ zum Dumagebäude ein. Insgesamt versucht er, seine Machtvertikale als Duma-Vorsitzender auszubauen, aber auch die Unabhängigkeit der Duma von Regierung und Präsidialverwaltung zu steigern.

Zu diesem Zweck wurden einige formale Änderungen an der Geschäftsordnung der Duma7 vorgenommen: Weil in der Vergangenheit viele Abgeordnete durch häufige Abwesenheit auffielen, besteht bei den Plenarsitzungen nun Anwesenheitspflicht. Da einige Abgeordnete oftmals für ihre Kollegen votierten, sind nun Stimmübertragungen nicht mehr gestattet.


Gleichzeitig zeigt sich Wolodin um Status und Professionalisierung bemüht: Abgeordneten sollen jetzt sieben anstatt fünf Mitarbeiter zugestanden werden, außerdem sollen Fraktionen zusätzliche Gelder für juristische Gesetzesentwurf-Expertisen erhalten. Einiges Russland führte darüber hinaus Expertenräte ein, die unter anderem allzu wirre Gesetzesentwürfe vor dem Einbringen sichten und filtern sollen, zudem wird die juristische Beratung aller Fraktionen im Duma-Apparat zentral koordiniert. 

Ab 2017 soll die Staatsfinanzierung für Parteien von 110 auf 152 Rubel [etwa 2,50 Euro – dek] pro erhaltener Stimme angehoben werden, auch bekommen Abgeordnete wieder Zugang zu VIP-Sälen in Flughäfen und Migalki – Blaulichter – nicht unwichtige Statussymbole. Durch eine Änderung ihrer Geschäftsordnung soll die Regierung nun auch dazu verpflichtet werden, Vertreter mindestens im Rang eines Vizeministers in die Duma zu entsenden, wenn von der Regierung initiierte Gesetzesentwürfe in den Ausschüssen debattiert werden. 

Mehr Einfluss?

Bisher zielen Wolodins „Reformen“ darauf ab, die Duma weniger abhängig von der Präsidialverwaltung zu machen und gleichzeitig der Regierung – neben dem Präsidenten der wichtigste Initiator von Gesetzen – Einfluss abzuringen. Dies kann dazu beitragen, dass die siebte Duma mehr Eigengewicht in Relation zu den anderen Staatsorganen erlangt und beispielsweise Wirtschaftsinteressen von Regionen stärker berücksichtigt werden.

Sollte die Duma wieder vermehrt zu einem „Ort für Diskussionen“ werden, dann jedoch zentral von oben moderiert. Bei Kerninteressen des Regimes wie Sicherheits-, Verteidigungs-, Außen- und Rechtsschutzpolitik wird wohl weiterhin schnell und mit überwältigenden Mehrheiten eine einheitliche Front8 demonstriert. Es bleibt also fraglich, ob der eingeschlagene Kurs zu höheren Vertrauenswerten seitens der Gesellschaft beitragen wird.


1.Hinsichtlich der Wahlergebnisse wurden begründete und überzeugende Hinweise auf Fälschungen vorgebracht, wonach Einiges Russland gegenüber den anderen Parteien bevorteilt und die Wahlbeteiligung nach oben korrigiert wurde. Zudem fanden die Wahlen ebenfalls auf der völkerrechtswidrig annektierten Krim statt, diese sechs Abgeordneten wurden darauf von den USA und Kanada mit Sanktionen belegt. Die Angaben in der Gnose beziehen sich auf die offiziellen Ergebnisse der Zentralen Wahlkommission
2.vgl. Chaisty, Paul (2013): The Impact of Party Primaries and the All-Russian Popular Front on the Composition of United Russia’s Majority in the Sixth Duma, in: Russian Analytical Digest No. 127, S. 8-12
3.Eine gute soziodemografische Übersicht bietet traditionell Kommersant, der seit 2000 biografische Angaben aller Abgeordneten sammelt und aufbereitet.
4.Über die Aussagekraft dieser Daten mag diskutiert werden, dennoch ist der Vergleich über Zeit und zwischen den Fraktionen durchaus von Interesse, siehe RBC: Issledovanie RBK: čem bogaty deputaty novoj Gosdumy
5.Alexander Skorobogatko, gab inzwischen sein Mandat auf: vermutlich weil die Zeit- und Arbeitsbelastung zu groß wurde, um gleichzeitig noch die eigenen Geschäfte managen zu können.
6.Gosudarstvennaja Duma: Rukovodstvo Apparata Gosudarstvennoj Dumy 
7.Gosudarstvennaja Duma: Reglament Gosudarstvennoj Dumy
8.Intersection: Volodin’s Duma

Diese Gnose wurde gefördert von der Robert Bosch Stiftung.

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Als Staatsduma wird das 450 Abgeordnete umfassende Unterhaus der Föderalen Versammlung Russlands bezeichnet. Im Verhältnis zu Präsident und Regierung nimmt die Duma verfassungsmäßig im internationalen Vergleich eine schwache Stellung ein. Insbesondere das Aufkommen der pro-präsidentiellen Partei Einiges Russland führte dazu, dass die parlamentarische Tätigkeit zunehmend von Präsident und Regierung bestimmt wurde.

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Von Paulus zu Saulus? Die Wandlung der liberalen Politikerin Irina Jarowaja zur bekanntesten Hardlinerin der Duma wurde von Vorwürfen der Prinzipienlosigkeit begleitet. Mit dem Beschluss des von ihr initiierten Anti-Terror-Pakets im Juni 2016 wurde die Eiserne Lady der Volkskammer für viele zum Symbol des autoritären politischen Kurses.

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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)