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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Sergej Prokofjew

Sergej Sergejewitsch Prokofjew starb am 5. März 1953, am gleichen Tag wie Josef Stalin. Angesichts der staatlich verordneten und von vielen sowjetischen Bürgern emotional durchlittenen Trauer um den verstorbenen „großen Führer“ erschien der Tod des Komponisten wie eine marginale Fußnote der Geschichte. Angeblich konnten nicht einmal mehr Blumen für sein Begräbnis aufgetrieben werden. Der gemeinsame Todestag mit seinem Peiniger erwies sich als letzte zynische Wendung von Prokofjews Lebensweg, der von Anziehung und Abstoßung, von Distanz und Nähe zum Sowjetstaat geprägt war. 

Wie Dimitri Schostakowitsch war Sergej Prokofjew (1891–1953) ein Shootingstar der klassischen Musikwelt im ausgehenden Zarenreich gewesen. Nach seinem Abschluss am St. Petersburger Konservatorium 1914 hatte er sich als herausragender, rebellischer Komponist und Pianist in der Musikwelt einen Namen gemacht. Als er im Jahr 1914 mit seinem 1. Klavierkonzert einen Wettbewerb für die fünf besten Klavierabsolventen eines Jahrgangs gewann, schien sein kometenhafter Aufstieg auf einem vorläufigen Höhepunkt angekommen zu sein. 

Der Erste Weltkrieg, die Oktoberrevolution und der folgende Zusammenbruch des vorrevolutionären kulturellen Lebens waren für ihn Beweggründe, die seit seinen ersten Auslandsgastspielen in London und Paris geknüpften Kontakte nach Westen zu nutzen, um fortan als Klaviervirtuose in den USA zu wirken. Sein Abschied aus Sowjetrussland im Jahr 1918 war also nicht politisch, sondern vor allem ökonomisch motiviert. Die neuen Machthaber gaben gern und rasch grünes Licht für seine Ausreise. Anatoli Lunatscharski, der damalige Volkskommissar für das Bildungswesen, hoffte gar, Prokofjew werde dem sowjetischen Projekt in der Neuen Welt zu Ruhm und Ehre verhelfen. 

Musik oder Propaganda?

Enthusiasmus und Enttäuschung kennzeichneten Prokofjews Werdegang im Exil: In San Francisco scheiterte zunächst sein Opernprojekt Die Liebe zu den drei Orangen. Prokofjew siedelte finanziell und künstlerisch schwer angeschlagen nach Paris über. Dort nahm er die früheren Kontakte zu Sergej Djagilews Ballets Russes auf, und es gelang ihm, in den 1920er Jahren einige Erfolge zu verzeichnen. Dazu gehörte auch das Ballet Le pas d’acier (dt. Stahlschritt), das Mitte der 1920er Jahre den konstruktivistischen Geist moderner Musik atmete.

https://www.youtube.com/watch?v=Z_hOR50u7ek

Der Stahlschritt vertonte die Industrialisierung der Sowjetunion in mechanistischen, repetitiven Gesten, die in ihrer Klangsprache neue Formen von Chromatik und Diatonik austesteten. Das Werk war eine willkommene Werbung für Stalins Aufbau der Sowjetunion – es wurde nicht nur vom Bolschoi-Theater aufgenommen, sondern auch in Paris über drei Spielzeiten gegeben und in Wien von Wilhelm Furtwängler dirigiert. Als das Werk 1931 in Philadelphia Premiere feierte, fragte sich die Zeitung The Public Ledger, ob es sich dabei um Musik oder Propaganda handele. Damit hatte die Zeitung auf ein Spannungsfeld verwiesen, das für Prokofjews Wirken in den 1930er Jahren entscheidend sein sollte.

Rückkehr in die Sowjetunion

Anfang der 1930er Jahre begann die „sowjetische Periode“ in Prokofjews Schaffen. Der Komponist legte damals die musikalische und ideelle Grundlage für seine Rückkehr in die Sowjetunion im Jahre 1936. Seine Musik war nun noch stärker auf das Ziel hin ausgerichtet, durch eine verständliche Klangsprache einen gesellschaftlichen Auftrag zu verrichten. Die unmittelbare Zugänglichkeit seiner berühmtesten Werke Peter und der Wolf (1936) und Romeo und Julia, die in der ersten Hälfte der 1930er Jahre entstanden, resultierte aus dieser Programmatik und garantierte letztlich ihren bis heute andauernden Erfolg auf allen Konzertpodien. Die Harmonik kehrte stärker zur Tonalität zurück, Dissonanzen waren häufig nur noch ein Stilmittel, um Chaos und Bedrohung darzustellen. Prokofjew stellte Musik nun verstärkt in den Dienst außermusikalischer Botschaften. Das galt auch und im Besonderen für seine ikonisch gewordene Filmmusik zu Sergej Eisensteins Film Alexander Newski. Eisenstein bestellte nicht einfach Hintergrundmusik für seine bewegten Bilder, sondern ließ sich durch Prokofjews Schaffen für das Ballett auch darauf ein, komponierte Musik mit neuen Filmszenen auszudeuten.1

Die lebensweltlichen Gründe für Prokofjews Rückkehr in die Sowjetunion, kurz vor dem Beginn des Großen Terrors, sind bis heute Gegenstand wissenschaftlicher Debatten. Das sowjetische Projekt bot Prokofjew in jedem Fall Chancen und Möglichkeiten: Künstlerisch bedeutete das Ende der Formalismusdebatte im Jahr 1932 die Einrichtung einer stabilen Kulturlandschaft, in der der Komponistenverband über reichhaltige finanzielle Mittel verfügte. Politisch faszinierte der rasante Aufstieg der Sowjetunion zur industriellen Macht nicht nur Prokofjew, sondern viele Künstler, Literaten und Intellektuelle. Es sollte sich als besondere Tragik erweisen, dass bereits sein erstes Moskauer Projekt, eine gigantische Kantate zum 20. Jahrestag der Oktoberrevolution, ins Fadenkreuz ideologischer Kritik geriet. Auf dem Höhepunkt des Stalinschen Terrors sah sich Prokofjew mit Vorwürfen konfrontiert, „[Stalins] Worte, die dem Volk gehören, zu unverständlicher Musik zu setzen“.2

Die Erwartung des Komponisten, in der Sowjetunion optimale Arbeitsbedingungen für ein freies Komponieren vorzufinden, sollten sich auch in den folgenden Jahren kaum erfüllen. Während des Zweiten Weltkrieges gelang ihm aber die Fertigstellung seiner fünften Symphonie, die 1944 als heroisch-patriotische Kriegssymphonie triumphal uraufgeführt wurde. Es folgten zwei Schläge, die sein letztes Lebensjahrzehnt entscheidend prägen sollten: Wenige Wochen nach der Uraufführung stürzte Prokofjew schwer auf den Kopf und war fortan auf permanente medizinische Betreuung angewiesen. 1948 erreichte ihn der Bannstrahl der Shdanowschtschina. Eine Resolution des Komponistenverbandes verbot einige seiner Werke, darunter viele erst kürzlich fertiggestellte Titel. Die Auswirkungen waren gravierend: Ähnlich wie Schostakowitsch sah Prokofjew sich einer generellen Skepsis gegenüber seinem Werk und seiner Person ausgesetzt, die die absolute Zahl von Aufführungen dramatisch sinken ließ. Prokofjew war nicht nur geächtet, sondern auch finanziell ruiniert. Der Versuch einer Rehabilitierung mit der Oper Die Geschichte vom wahren Menschen, die einen Kriegshelden ins Zentrum rückte, misslang. 

Stalins Schatten

Als Prokofjew an einem Schlaganfall verstarb endete ein Leben, das mit und durch die Ereignisse in der Sowjetunion unter Stalin geprägt war. Prokofjew konnte sich der utopischen Anziehungskraft des aufsteigenden Staates nicht entziehen, bekam aber auch seinen ideologischen Furor und seine unmenschliche Härte zu spüren. Die Sowjetskaja Musyka, eine der wichtigsten Musikzeitungen des Landes, widmete ihm erst auf den hinteren Seiten einen Nachruf. 

In den Jahren des sogenannten Tauwetters wurde Prokofjew posthum rehabilitiert und gemeinsam mit Dimitri Schostakowitsch in den Olymp der sowjetischen Musik befördert. Seine Werke waren nun wieder auf den Konzertpodien zu hören. Mit dem Ende der Sowjetunion aktualisierte sich die Frage nach dem Verhältnis des Komponisten zum Regime Stalins ein weiteres Mal: Als der Dirigent Gennadi Roshdestwenski die 1936 komponierte Huldigungskantate aufführen ließ und dafür plädierte, ihren musikalischen Gehalt zu würdigen, debattierten Musiker, Musikwissenschaftler und Konzerthörer darüber, ob ein solches Vorgehen politisch vertretbar sei. Stalins Schatten war auch fünfzig Jahre nach dem gleichzeitigen Tod von Diktator und Komponist zu spüren.


Zum Weiterlesen:
Morrison, Simon (2009): The People’s Artist, Oxford
Schipperges, Thomas (2005): Sergej Prokofjew, Reinbek bei Hamburg

1.Bartig, Kevin (2017): Sergei Prokofiev’s Alexander Nevsky, New York
2.Redakcionnyje besedy. ‘Nedelja sovetskoj muzyki’, in: Sovetskaja muzyka 1 (1968), S. 21, zit. nach Morrison, Simon (2009): The People’s Artist: Prokofiev’s Soviet Years, New York, S. 65
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