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Presseschau № 9

Putin bestraft die Türkei mit Einschränkung der Reisefreiheit und einem Importembargo für Lebensmittel. In der Folge steigen die Lebensmittelpreise. Weitere Themen, die die russische Presse in dieser Woche beschäftigten: der Blackout auf der Krim, Korruptionsvorwürfe gegen Generalstaatsanwalt Juri Tschaika und zu guter Letzt eine tierische Freundschaft im Wladiwostoker Zoo, die als Vorbild für die Beziehung zwischen Putin und Erdogan diskutiert wird.

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Russisch-türkische Spannungen: Der Abschuss der russischen Su-24 an der syrisch-türkischen Grenze hat zwei sich in ihrer Starrköpfigkeit sehr ähnliche eurasische Machtpolitiker auf Konfrontationskurs gebracht: Wladimir Putin wartete vergeblich auf eine Entschuldigung von Recep Tayyip Erdogan, verweigerte auf dem Klima-Gipfel in Paris auch das Gespräch mit ihm – obwohl Erdogan versuchte, Putin auf dem Flur abzupassen, wie der Kommersant berichtete.

Stattdessen holte Putin einen ganz dicken Knüppel heraus. Per Ukas belegte er die Türkei mit einem umfangreichen Sanktionspaket: ein ab dem 1. Dezember geltendes Import-Embargo für Hühnerfleisch, Salz und bestimmte Obst- und Gemüsesorten, eine Auftragssperre für türkische Unternehmen, schärfere Kontrollen türkischer Schiffe und Lastwagen.

Der Wirtschaftszeitung Vedomosti war die Bedrohung der einst so blühenden russisch-türkischen Geschäftsbeziehungen eine zweiseitige Analyse wert. Das Fazit: Der Türkei drohen 12 Mrd. Dollar Verluste – oder 1,6 Prozent des BIP. Einen hohen Preis haben aber Russlands Verbraucher zu zahlen: Die Großhandelspreise für Tomaten (auf der Sanktionsliste) und Zitronen (nicht betroffen) sind jetzt schon auf gut das Doppelte gestiegen. Begründung: Transporte aus der Türkei werden an der Grenze sehr penibel kontrolliert und auf diese Weise zurückgehalten.

Außerdem setzt Russland zum 1. Januar 2016 den visafreien Reiseverkehr mit der Türkei aus. Außenminister Sergej Lawrow begründete dies mit einer von der Türkei ausgehenden „realen terroristischen Gefahr“. Die Türkei wird dies wohl kaum mit gleicher Münze heimzahlen, wenn sie wenigstens einen Teil ihres Tourismusgeschäfts mit den Russen retten will: 2014 machten 3,2 Mio. Russen in der Türkei Urlaub, aber nur 135.000 Türken in Russland. Doch nun hat Russland den Verkauf von Türkei-Reisen verboten und wird den Charterflugverkehr stoppen, sobald alle Urlauber zurückgekehrt sind. Der Chef der staatlichen Tourismus-Agentur Rostourism hofft jedenfalls, dass schon nächstes Jahr drei bis fünf Millionen Russen mehr Urlaub im eigenen Lande machen – neben der Türkei ist ja seit dem Anschlag auf den Airbus über dem Sinai auch Ägypten für erholungssuchende Mitbürger tabu. Russische Individualtouristen lassen sich davon aber nicht unbedingt beeindrucken: Sie buchen weiter munter Linienflüge und Hotels am Bosporus und in den Seebädern.

Die Zeitung Vedomosti kommentiert, dass Russland durch diesen Konflikt endgültig zu einem „Land mit negativer Tagesordnung“ geworden ist: Nadelstich-Sanktionen und den einen oder anderen kleinen Handelskrieg mit Nachbarn gab es früher auch schon, doch nun scheinen alle Behörden kollektiv ihre ganze Energie nur noch darauf zu richten, möglichst viel zu verbieten – momentan eben alles Türkische. Selbst der bekannte Showman und Leiter eines nach ihm benannten A-Capella-Chores Michail Turezki denkt bereits ernsthaft darüber nach, seinen (eigentlich polnischen) Familiennamen zu ändern – schließlich klingt der genauso wie das russische Adjektiv „türkisch“.

Isolierte Krim: Am 22. November sprengten krimtatarische und rechtsnationale Gruppen alle vier Stromleitungen, die aus der Ukraine auf die Krim führen. Seitdem leben die zwei Millionen Einwohner der von Russland vereinnahmten Halbinsel im Energienotstand. So gibt es in Sewastopol nur vier Stunden am Tag Strom aus den wenigen eigenen Kraftwerken, berichtet RBK. Die Energiekrise führte sogar zu einem heftigen Zerwürfnis zwischen Krim-Republikchef Sergej Aksjonow und dem kremltreuen TV-Sender NTW: Der hatte behauptet, die Regionalregierung habe Moskau vorgeflunkert, die Halbinsel sei für solche Situationen gewappnet und erst der kompetente Einsatz Moskauer Minister habe Ordnung ins Chaos gebracht. Aksjonow bezeichnete dies als „Lüge“ und „Blödsinn“, der eines zentralen TV-Kanals nicht würdig sei.

Lenur Isljamow, der krimtatarische Initiator der Lebensmittel- und Stromblockade der Halbinsel, kündigte unterdessen in einem Interview mit Open Russia auch noch eine Seeblockade an. Auf der Krim gibt es, so schreibt der Kommersant in einer Blackout-Reportage, mittlerweile Versorgungsengpässe, vor allem bei Milchprodukten und anderer kühl zu haltender Ware – aber auch die Hoffnung, dass es jetzt besser wird: Seit Mittwoch liefert ein erstes Unterwasserkabel zusätzlichen Strom aus Russland. In der ukrainischen Nachbarprovinz Cherson weisen die Behörden inzwischen auf die Gefahr durch grenznahe Chemiefabriken auf der Krim hin: Dort sind Speicher mit mehreren hundert Tonnen Chlor, Ammoniak und Salzsäure die meiste Zeit ohne Stromversorgung – und könnten das Land im weiten Umkreis verseuchen.

Korruptionsvorwürfe: Begonnen hatte die Woche mit der Veröffentlichung von geharnischten Vorwürfen gegen die Familie und Kollegen von Generalstaatsanwalt Juri Tschaika durch den oppositionellen Korruptionsjäger Alexej Nawalny. Tschaikas Sohn Artjom besitze neben einer Villa auch noch ein teures Hotel in Nordgriechenland. Teilhaberin daran sei die Ex-Frau eines Tschaika-Stellvertreters Olga Lopatina – die wiederum in Südrussland ein gemeinsames Business mit der erst 2010 nach einem brutalen Massenmord aufgeflogenen Zapok-Bande betrieben habe. Tschaika bezeichnet die Nawalny-Enthüllungen als erlogene Auftragsarbeit, auch Lopatina dementiert alles. Die meisten russischen Print-Medien fassen diese Story mit Samthandschuhen an oder ignorieren sie ganz – nur die Zeitung RBK habe sich damit auf die Titelseite getraut, so Nawalny auf Facebook.

Amur und Timur: In solchen angespannten Zeiten ist es kein Wunder, dass die ungewöhnliche Freundschaft zweier Bewohner eines Wildparks bei Wladiwostok dieser Tage quer durch alle (sozialen) Medien die Herzen der Russen erfreut: Denn der Ziegenbock Timur war eigentlich als Lebendfutter in das Gehege des sibirischen Tigers namens Amur gesteckt worden. Das Unausweichliche blieb aber aus: Der Tiger hatte keinen Appetit auf den Bock, der seinerseits keinerlei Angst vor dem Herrscher der Taiga zeigte – worauf beide dicke Freunde wurden und nun täglich gemeinsam spazierengehen. Russlands YouTube-User diskutieren nun darüber, inwieweit dieses idyllische Beispiel nicht auch als Rollenmodell für die Menschheit – und Putin und Erdogan im Besonderen – taugen könnte.

Lothar Deeg aus Sankt Petersburg für dekoder.org

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Krim-Annexion

Als Krim-Annexion wird die einseitige Eingliederung der sich über die gleichnamige Halbinsel erstreckenden ukrainischen Gebietskörperschaft der Autonomen Republik Krim in die Russische Föderation bezeichnet. Seit der im Frühjahr 2014 erfolgten Annexion der Krim ist die Halbinsel de facto Teil Russlands, de jure jedoch ukrainisches Staatsgebiet und somit Gegenstand eines ungelösten Konfliktes zwischen der Ukraine und Russland.

Nur wenige Tage nach dem Sturz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch als Resultat der Proteste auf dem Maidan setzten auf der Krim mehrere richtungsweisende Ereignisse ein: Am 27. Februar besetzten bewaffnete Personen, die sich als „Selbstverteidigungskräfte der russischsprachigen Bevölkerung der Krim“ bezeichneten, das Parlament sowie das Regierungsgebäude der Autonomen Republik Krim in Simferopol. Parallel okkupierten russische Spezialeinheiten, die aufgrund ihrer fehlenden Hoheitszeichen in der Ukraine sarkastisch als grüne Männchen bezeichnet wurden, ukrainische Verwaltungs- und Militärstandorte sowie sämtliche Verkehrswege der Halbinsel. Moskau leugnete dies zunächst vehement, später brüstete sich Putin jedoch damit, dass reguläre russische Soldaten im Einsatz gewesen sind.1

In einer höchst umstrittenen Sondersitzung des Parlaments der Autonomen Republik, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, wurde Sergej Axjonow, Vorsitzender der Splitterpartei Russische Einheit, zum Ministerpräsidenten der Krim ernannt. Zeitgleich stimmte das Parlament der Abhaltung eines Referendums über die Unabhängigkeit der Krim zu. Igor Girkin, ein russischer FSB-Offizier, der später unter dem Kampfnamen Strelkow (dt. „Schütze“) als Separatistenführer im Donbass in Erscheinung trat und nicht nur maßgeblich an den ersten bewaffneten Kampfhandlungen des dortigen Krieges beteiligt war, sondern auch an der Okkupation der Krim, räumte Monate später ein, dass die Abgeordneten von der Volksmiliz zur Abstimmung getrieben wurden.2

Das Referendum wurde nach mehrfacher Vorverlegung am 16. März 2014 abgehalten. Knapp 97 Prozent der Abstimmenden sollen sich bei einer angeblichen Wahlbeteiligung von rund 83 Prozent für den auf den Stimmzetteln als „Wiedervereinigung“ bezeichneten Beitritt der Krim in die Russische Föderation ausgesprochen haben. Das Krim-Parlament hatte zuvor bereits für eine Unabhängigkeitserklärung der Krim gestimmt. Die offizielle Aufnahme der Krim in die Russische Föderation erfolgte wenige Tage später. Das Referendum sowie sämtliche von Parlament und Regierung der Krim beschlossene Maßnahmen zur Herauslösung der Krim stehen im eindeutigen Widerspruch zum Staats- und Verfassungsrecht der Ukraine und wurden von Kiew nicht anerkannt.3

 

Auch die internationale Staatengemeinschaft erkennt die Eingliederung der Krim in die Russische Föderation nicht an und sieht in ihr eine Verletzung der territorialen Unversehrtheit der Ukraine sowie mehrerer internationaler Verpflichtungen durch Russland.4 Die EU, die USA sowie weitere Staaten reagierten mit Sanktionen gegen Russland. Moskau betrachtet indes unter Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker die Eingliederung der Krim als rechtmäßig. Abgesehen von der Illegalität des Referendums nach ukrainischer Gesetzgebung und unabhängig von der völkerrechtlich umstrittenen Frage, ob das Selbstbestimmungsrecht der Völker ein Recht auf Sezession umfasst, ist das Referendum jedoch auch deshalb als nichtig zu werten, weil erst die völkerrechtswidrige militärische Intervention, das heißt die Anwendung von Gewalt, das Referendum ermöglichte.

Umstritten ist, welche Zustimmung eine Sezession in der Bevölkerung der Krim tatsächlich genossen hat. Politische Kräfte, die eine Loslösung der Krim von der Ukraine anstrebten, waren in den letzten Jahren marginalisiert. Der Historiker Jan Zofka verweist allerdings auch darauf, dass das russische Militär in einer politisch feindlichen Umgebung nicht derart ungestört hätte agieren können. Die Russland-Orientierung breiter Teile der Krim-Bevölkerung, Institutionen der Autonomie und Überreste der Unabhängigkeitsbewegung der 1990er Jahre sieht er als begünstigende Faktoren der Annexion als Folge der militärischen Intervention.5  Die massive russische Propaganda im Zuge der Ereignisse auf dem Maidan hat zudem Ängste und Unsicherheit bei Teilen der Bevölkerung der Krim geschürt. In Opposition zur Angliederung an Russland stehen indes große Teile der etwa 300.000 Krimtataren, die das Referendum boykottierten.6


1.Frankfurter allgemeine Zeitung: Putin rechtfertigt Annexion. „Krim-Operation war Reaktion auf Nationalismus“
2.Neue Zürcher Zeitung: Wie die Krim annektiert wurde. «Wir haben sie zur Abstimmung getrieben»
3.Luchterhandt, Otto (2014). Die Krim-Krise von 2014: Staats- und völkerrechtliche Aspekte, in: Osteuropa, 2014 (5-6), S. 61-86
4.United Nations: Resolution adopted by the General Assembly on 27 March 2014, 68/262. Territorial integrity of Ukraine
5.Frankfurter Allgemeine Zeitung: Ukraine. Zurück zum Mutterland
6.Mejlis of the Crimean Tatar People: Statement of Mejlis of the Crimean Tatar People as Regard to Announcement of “Crimean Referendum” by Verkhovna Rada of Autonomous Republic of Crimea
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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)