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Russland und der Kolonialismus

Kolonialimperien – das sind immer die anderen. Und doch hat Russland über eine Vielzahl an Völkern geherrscht und sein Territorium seit dem 16. Jahrhundert auf das 22-Fache vergrößert. Von der Eroberung Sibiriens bis zur angeblichen „Brüderlichkeit der Sowjetvölker“ wird die Kontinuität des russischen Kolonialismus im Krieg gegen die Ukraine besonders deutlich. Die vor diesem Hintergrund erstarkende Idee einer Dekolonisierung Russlands versucht der Kreml mit allen Mitteln zu unterdrücken. 

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Olga Skabejewa

Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt. 

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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Tscheburaschka

Große runde Ohren, traurige Kulleraugen und eine entwaffnend niedlich quietschende Stimme: Heute wie vor 50 Jahren zieht Tscheburaschka alle Blicke auf sich. Was ist das für ein seltsames Tier? Das fragt sich der Obsthändler, aus dessen Orangenkiste Tscheburaschka im ersten Teil der Trickfilmreihe purzelt – und das fragen sich bis heute die Zuschauer. Tscheburaschka, das kleine, unverwechselbare Fabelwesen, ist seit seiner Erschaffung im Jahr 1966 ein fester Bestandteil der russischen Populärkultur. Heute taucht Tscheburaschka in unterschiedlichsten Zusammenhängen auf: in Werbespots, als Maskottchen für die russische Mannschaft der Olympischen Spiele seit 2004, aber auch als Kiffer oder als Guerillakämpfer.

Den Urtext für die Figur dieses kleinen und doch so populären Wesens bildet das erstmals 1966 in der Sowjetunion erschienene Kinderbuch von Eduard Uspenski Krokodil Gena und seine Freunde. Gemeinsam mit Roman Katschanow hat Uspenski auch die Drehbücher für die vier erfolgreichen Puppentrickfilme geschrieben. Der renommierte Animationskünstler Leonid Schwartsman besorgte die Zeichnungen, in Vielem ist die Ästhetik der Filme sowie ihrer Hauptfigur sein Verdienst. Im Gegensatz zu den meisten anderen während der sowjetischen Ära der Stagnation produzierten Trickfilmen (etwa Nu pogodi! von 1969, das sich am westlichen Vorbild Tom und Jerry orientierte), handelt es sich bei Tscheburaschka um eine genuin sowjetische Erfindung.

Uspenski, Katschanow und Schwartsman schufen mit Tscheburaschka eine Figur jenseits der bestehenden Kategorien. In seiner Einzigartigkeit liegt aber zugleich auch seine Tragik: Niemand weiß etwas mit ihm anzufangen. Er möchte so gern in einem Zoo leben, aber man lässt ihn nicht – welcher Tierart sollte man ihn denn auch zuordnen? Der einsame und gesellschaftlich entfremdete Außenseiter, der sich nicht in das sowjetische Ideal des Kollektivs einordnen lässt – dieses Motiv war in der desillusionierten Stagnationszeit der 1970er Jahre in Kinderfilmen häufiger anzutreffen.1 In den Tscheburaschka-Filmen werden darüber hinaus aber auch ökonomische Missstände in ironisch gebrochener Weise angesprochen, etwa wenn die Schule, die Tscheburaschka besuchen möchte, wegen Nachlässigkeit der Bauarbeiter nicht mehr rechtzeitig zum Schulbeginn fertiggestellt wird.

Tscheburaschka ist heute nicht nur in Russland populär, sondern unter anderem auch in Japan, wo 2014 das renommierte Studio Ghibli einen eigenen Film schuf. Auch die Werbung nutzt die Tscheburaschka-Figur, sie ist Protagonist mehrerer Computerspiele und inzwischen sogar Internet-Mem: Tscheburaschkas Harmlosigkeit wird dabei häufig mit Gewalt oder Sexualität kontrastiert, so posiert er auf manchen Bildern mit Kalaschnikow oder als guerrillakämpfender „Tsche“-Guevara. Die Loslösung vom Originalkontext ist komplett, die Figur findet sich heute schlicht überall.

https://www.youtube.com/watch?v=aMHFMdAaBTQ

 

Viele Dialogpassagen der Filme sind längst zu geflügelten Worten geworden, so etwa Tscheburaschkas Vorschlag, er könne Gena beim Tragen seiner Koffer helfen, wenn dieser wiederum ihn selbst tragen würde.2 Auch das melancholische Geburtstagsständchen, das Gena im Regen sich selbst singt, hat in Russland jeder im Ohr. Dass Tscheburaschka zum Symbol der russischen Nationalmannschaft für die Olympischen Sommerspiele 2004 wurde, verwunderte zunächst viele. Das Auswahlkomitee begründete seine Wahl damit, dass Tscheburaschka stets die Verkörperung des Guten und Aufrichtigen darstelle und gleichermaßen von Kindern wie von Erwachsenen geliebt werde.3

Universelle Werte wie die unerschütterliche Freundschaft zu Gena, Güte, Aufrichtigkeit, vor allem aber: Melancholie. Stets will dieses kleine Wesen dazugehören. Als Tscheburaschka sich – ganz ideologisch korrekt – einer fleißigen Kinder-Pioniergruppe anschließen will, nach allerlei Schwierigkeiten schließlich sein Ziel erreicht und zusammen mit Gena mit den Kindern im Stechschritt marschieren darf, stolpert er über den Schwanz seines Krokodil-Freunds und schleppt sich unglücklich und gequält weiter vorwärts.4 Die Stimmung eines Happy Ends will in dieser Szene nicht recht aufkommen ... Überhaupt hinterfragen die Filme immer wieder subtil sowjetische Ideale. Nicht immer scheint es zu funktionieren, die Suche nach Glück auf gesellschaftliche Zugehörigkeit auszurichten. Das kleine, liebenswerte Tscheburaschka ist mehr als eine Trickfilmfigur: Es thematisiert mit trauriger Ironie mitunter geradezu universelle Lebensfragen.5


1.Kuznecov, S. (2008): Zoo, ili filmy ne o ljubvi, in: Lipovedskij, M. (Hrsg.): Vesjelyje čelovečki: kulturnyje geroi sovetskogo detstva, Moskau. S. 355
2.Beumers, B. (2010): Comforting creatures in children’s cartoons. In: Marina Balina, Larissa Rudova (Hrsg.). Russian Children's Literature and Culture, S. 166
3.Kuznecov, S. (2008), S. 360
4.Der Ausdruck Tscheburaschka kommt nicht umsonst vom russischen Verb tscheburachnutsja (hinfallen), weswegen er auch oft mit „Kullerchen“ übersetzt wird.
5.Ključkin, K. (2008): Zavetnyj multfilm: pričiny poluljarnosti „Čeburaški“, in: Lipovedskij, M. (Hrsg.): Vesjelyje čelovečki: kulturnyje geroi sovetskogo detstva, Moskau. S. 369
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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)