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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Der Samowar

Eine wohlhabende Frau nimmt auf der Terrasse ihres Anwesens Tee zu sich. Im Hintergrund sieht man ein provinzielles russisches Stadtbild. Im Vordergrund stehen auf dem Tisch Wassermelonen, Obst und Kuchen. Doch ganz am linken Rand findet sich ein wichtiges Utensil, ohne das kein Tee in die Tasse der Dame käme: Der Samowar – der „Selbstkocher“. 

Boris Kustodijew, Die Gattin des Kaufmanns (1912)Dieses Gemälde von Boris Kustodijew, das den Titel Die Gattin des Kaufmanns trägt, scheint eine „ur-russische“ Szene festzuhalten – tatsächlich zeichnet sich das Gemälde aber durch zwei Anachronismen aus: Als das Bild 1918 entstand, hatten die Bolschewiki bereits dafür gesorgt, dass die Welt der russischen Kaufmänner verschwunden war. Der Samowar, der auf dem Bild für althergebrachte Tradition steht, war dagegen erst seit wenigen Jahrzehnten ein nationalethnisch konnotierter Gegenstand der russischen Alltagskultur. Heute hat der „Selbstkocher“ seinen festen Platz in den Regalen russischer Küchen.

 

Samoware sind große Wassergefäße, die aus Metallen, meistens Kupfer, gefertigt werden. Im Inneren befindet sich ein Kamin, der zum Anheizen durch ein Rohr verlängert wird. Hat das Wasser die gewünschte Temperatur erreicht, wird diese Verlängerung abgenommen. Nun ist Platz für den tschajnik, eine kleine Teekanne, in dem sich die sawarka (ein Teekonzentrat) befindet. Frischen Tee erhält der Durstige durch die kundige Mischung von Konzentrat und frisch abgelassenem Wasser aus dem Kessel. 

Vom Industriegut zum Symbol für die Europäisierung Russlands

Der Samowar in seiner heutigen Form wurde Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt. 1778 registrierten die Brüder Iwan und Nasar Lisizyn eine Fabrik zur Herstellung von Samowaren in der Stadt Tula, knapp 200 Kilometer südlich von Moskau. Tula verfügte bereits über eine lange Tradition der Metallverarbeitung und entwickelte sich zum Zentrum der Samowar-Herstellung. In Russland trägt man keine Eulen nach Athen, sondern reist mit dem eigenen Samowar nach Tula.1 

Seit dem 17. Jahrhundert gab es einen konstanten Warenaustausch zwischen China und Russland und der Tee war als Luxusgut bereits in Moskau bekannt.2 Die Erfindung des Samowars führte zunächst nicht zu einer Popularisierung des Tees in allen Schichten der Bevölkerung. Die tschajepitije (das Teetrinken) blieb eine Alltagspraxis in den höheren Ständen, dem Adel und in der hohen Kaufmannschaft. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wandelte sich der Samowar „vom teuren Luxus“ zum „Haushaltsbedarf“, das Teetrinken wurde immer alltäglicher.3 Diesen Aufstieg befeuerte eine kulturelle Elite, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts damit begonnen hatte, den Samowar zum Inbegriff russischer Teekultur zu erklären. Dieses Objekt erschien großen Literaten wie Alexander Puschkin, Lew Tolstoi, Fjodor Dostojewski und Anton Tschechow als besonders geeignet, um das aus dem fernen China importierte Luxusgut Tee einer russischen Aneignung zu überführen. Für Puschkin war der Samowar darum ein Symbol für die seit Peter dem Großen angestoßene Europäisierung Russlands, die den Teekonsum an ein industriell gefertigtes Objekt band.4 

Inszenierung von Häuslichkeit und Gastfreundschaft

Die Praxis des Teetrinkens in adligen Familien galt in Literatur und Kunst als geradezu paradigmatische Inszenierung von Häuslichkeit, Gastfreundschaft und Gemeinschaft – jenen Werten, die gerade in der Amtszeit Nikolaus I. als besonders „russisch“ galten. Die üblicherweise prächtigen Verzierungen auf dem Samowar verwiesen auf seinen prominenten Platz am heimischen Tisch, an dem sich in der Idealvorstellung die ganze Familie versammeln sollte. 
Der Samowar offenbarte den Besitzstand und Reichtum einer Familie. Darüber hinaus erforderte seine Bedienung Geschick und Erfahrung: Das Teekonzentrat wollte in der richtigen Stärke zubereitet sein, die Befeuerung des Kamins war ebenso wichtig um stetig warmes Wasser vorrätig zu haben. Nicht selten nahm daher die Dame des Hauses den Teekessel in die Hand, um auf diese Weise ihre herausragende Stellung im Haushalt unter Beweis zu stellen. Wem sie in welcher Reihenfolge dann den Tee ausschenkte, machte die soziale Rangordnung sichtbar. Im Zusammenspiel von Akteuren und Objekten entfaltete sich so eine häusliche Ordnung. 

Russifizierung des Tees

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Tee immer mehr Teil der Alltagskultur in breiteren Kreisen der Bevölkerung. Hierfür war nicht nur der wirtschaftliche Aufstieg nach den sogenannten „Großen Reformen“ verantwortlich, sondern auch der rasante Preisverfall für Tee aus den indischen Kolonien. Nun entfalteten die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelegten Spuren einer herbeigeschriebenen „russischen Teekultur“ ihre volle Wirkung. Erst seit den 1870er Jahren war Tee ein allgegenwärtiges Gut geworden, das tatsächlich an praktisch jedem russischen Tisch gereicht wurde. Die quantitative Ausweitung des Teekonsums verband sich rasch mit der kulturellen Prägung einer zunehmend belesenen städtischen Bevölkerung, die eine „Invention of Traditions“ großer russischer Nationaldichter auf ihren Alltag übertrugen: Über das Objekt Samowar russifizierte sich der Tee. 
Auf die gestiegene Nachfrage nach Tee reagierte die Samowar-Industrie rasch und diversifizierte ihr Angebot noch einmal erheblich: Die Fabriken in Tula boten nun vom einfachen „Blech-Wasserkocher“ bis hin zum verzierten Schmuckstück aus Silber Samoware für jeden Geldbeutel an. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren bis zu 5000 Personen als Heimarbeiter in der Samowarindustrie tätig.5 Im ausgehenden 19. Jahrhundert hatte der Samowar seinen Weg in nahezu alle Salons und Küchen des russländischen Imperiums gefunden. 

Die politischen Zäsuren des 20. Jahrhunderts änderten daran zunächst wenig: Der handbetriebene Samowar blieb in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein nicht wegzudenkendes Element russländischer Alltagskultur. Erst mit dem Aufstieg elektrischer Kleingeräte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haftete dem Samowar zunehmend etwas Antiquarisches an, so dass einzelne sowjetische Künstler ihn mit dem verachteten „alten Russland“ in Bezug setzen konnten. Auch wenn die Industrie elektrische Samoware anbot, konnten sich diese auf lange Sicht nicht gegen den elektrischen Wasserkocher und den Beuteltee durchsetzen. Der dampfbetriebene Samowar wanderte mit dem Kauf eines elektrischen Wasserkochers zunehmend in die Küchenregale, wo er als Relikt einer vergangenen Zeit nur zu ausgesuchten Anlässen entstaubt und reaktiviert wird. Die Erinnerungskultur um das Objekt Samowar entfaltete aber spätestens seit den 1990er Jahren einen markanten Boom: Heute gibt es einen ganzen Markt für Samoware als Erinnerungsstücke aus der Sowjetzeit. 


Zum Weiterlesen
Avery, Martha (2003): The Tea Road: China and Russia Meet Across the Steppe, Beijing
Heller, Klaus (1980): Der russisch-chinesische Handel von seinen Anfängen bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts, Erlangen
Schütz, Joseph (1986): Russlands Samowar und russischer Tee: Kulturgeschichtlicher Aufriss, Regensburg
Smith, Robert Ernest Frederick/Christian, David (1984): Bread and Salt: A Social and Economic History of Food and Drink in Russia, Cambridge [etc.]
Yoder, Audra Jo (2009): Myth and Memory in Russian Tea Culture, in: Studies in Slavic Cultures (8), 08/2009, S. 65–89

1.Schütz, Joseph (1986): Russlands Samowar und russischer Tee: Kulturgeschichtlicher Aufriss, Regensburg, S. 34 
2.Avery, Martha (2003): The Tea Road: China and Russia Meet Across the Steppe, Beijing, S. 9f. 
3.Yoder, Audra Jo (2009): Myth and Memory in Russian Tea Culture, in: Studies in Slavic Cultures (8), S. 65–89, hier: S. 67 
4.ebd. 
5.Schütz, 1986, S. 36 
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