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Russland und der Kolonialismus

Kolonialimperien – das sind immer die anderen. Und doch hat Russland über eine Vielzahl an Völkern geherrscht und sein Territorium seit dem 16. Jahrhundert auf das 22-Fache vergrößert. Von der Eroberung Sibiriens bis zur angeblichen „Brüderlichkeit der Sowjetvölker“ wird die Kontinuität des russischen Kolonialismus im Krieg gegen die Ukraine besonders deutlich. Die vor diesem Hintergrund erstarkende Idee einer Dekolonisierung Russlands versucht der Kreml mit allen Mitteln zu unterdrücken. 

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Olga Skabejewa

Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt. 

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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Oxxxymiron

„Gegen Oxxxymiron zu battlen ist wie im Winter nach Russland einmarschieren wollen – am Ende wirst du kalt gemacht.“1 So oder ähnlich fielen viele der Reaktionen im Netz aus, als der deutsche Skandalrapper Kollegah im Mai 2019 vom wohl bekanntesten russischen Hiphopper zum Battle herausgefordert wurde. Und das auf Deutsch! Oxxxymiron, der drei Sprachen spricht und mehr YouTube-Klicks vorweisen kann als jeder andere Battlerapper, ist in der Szene wegen seiner Wortgewalt und sprachlichen Komplexität gefürchtet. 

Das Hip-Hop-Magazin Source feierte Oxxxymiron sogar als größten Battlerapper der Welt.2 Millionen Zuschauer sehen ihm regelmäßig bei YouTube dabei zu, wie er seine Gegner verbal vernichtet: auf Russisch und Ende 2017 auch auf Englisch. In Los Angeles machte der Oxford-Absolvent den bekanntesten US-amerikanischen Battle Rapper Dezaster auf Englisch nieder, das Battle wurde zum Kampf zwischen Russland und den USA hochstilisiert. Oxxxymiron gab dabei politische Breitseiten gegen den „US-Globalismus“ zum Besten und führte unzählige russische und US-amerikanische popkulturelle Referenzen an. Folgt nun sein Debut auf Deutsch? Die Antwort von Kollegah steht noch aus, und im Netz rechnen die meisten damit, dass er kneifen wird.

Oxxxymiron / Igor Klepnew/Flickr CC BY-SA 2.0

Heute ist Rap in Russland so wichtig wie noch nie. Und Oxxxymiron gilt vielen als das Gesicht hinter dem beispiellosen Aufstieg der Musikform in den vergangenen Jahren: als jemand der maßgeblich dazu beigetragen hat, aus einem subkulturellen Nischenprodukt ein massenkulturelles Gut zu machen. 


Vor allem junge Menschen interessieren sich für Rap. Laut vielen Journalisten sprechen Rapper und insbesondere Oxxxymiron die Sprache dieser Generation. Dessen Aufstieg ab 2012 steht für einen Epochenwandel in der russischen Musikwelt. War es früher hauptsächlich russischer Rock, der die Lebenswelt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion am besten widerspiegeln konnte, haben es Rapper wie Oxxxymiron geschafft, dem Hiphop eine eigene stilistische und musikalische Identität zu verleihen, die die russischen Wurzeln nicht verleugnet. 


„Ich hasse euren Rap“


Das war nicht immer so. Jahrelang hatten russische Rapper hauptsächlich US-Stars adaptiert. Laut Oxxxymiron oszillierte die Szene zwischen billigen Nachahmungen afroamerikanischer Künstler und betont russischem Auftreten – ohne aber der Kunstform Hiphop gerecht zu werden.3 Also begann Miron Fjodorow, wie Oxxxymiron mit bürgerlichem Namen heißt, seine Karriere mit einem rundumschlagenden Diss der bestehenden Rapszene. In seinem ersten Clip Ja Hater (dt. Ich bin ein Hater) ätzt er „Ja nenawishu wasch rap“ („ich hasse euren Rap“) und rechnet knallhart mit der damals etablierten russischen Hiphop-Szene ab. Dabei brachte er einen Mix aus britischem Grime, Double Rhymes und komplexen Lyrics und schuf damit einen Stil, der russisch und zugleich global orientiert ist.


Rap ist Poesie


Neben den oft brachialen Beats stechen vor allem Oxxxymirons sprachlich anspruchsvollen Texte hervor. 2016 sorgte der Fall einer Schülerin im Fernen Osten Russlands für Aufsehen, die einen Songtext von Oxxxymiron als Werk des berühmten russischen Dichters Ossip Mandelstam ausgab, ohne dass ihre Lehrer daran zweifelten.4 Zwei Jahre später wurde Fjodorow sogar für den renommierten Alexander Pjatigorski-Literaturpreis nominiert. Dass seine poetischen Texte in Russland auf fruchtbaren Boden fallen, scheint der Rapper nachvollziehen zu können: Oxxxymiron zufolge hatte Rap schon immer ein großes Potenzial in Russland, da dort die Sprache so immens wichtig sei.5 


Die virtuose Beherrschung der Sprache steht auch im Mittelpunkt des Battleraps: einem Genre, dem Oxxxymiron in Russland zu einem global einzigartigen Aufblühen verholfen hat. Der russische Battle-Veranstalter Versus, den Fjodorow mit aufgebaut hat, ist mittlerweile der größte weltweit. Der dazugehörige YouTube-Kanal hat mehr Klicks als alle Konkurrenten im In- und Ausland. Nach Oxxxymirons Battle mit dem Rapper Gnojni, das über 40 Millionen Klicks einsammelte und es sogar in die Jahresrückblicke des russischen Staatsfernsehens schaffte, ernannte die Tageszeitung Kommersant den Battlerap kurzerhand zum Kulturphänomen.6 


In den Texten von Oxxxymirons Alben und Mixtapes geht es oft um das Leben in der Großstadt, Identität und Wurzellosigkeit. Dabei nimmt er Bezug auf seinen eher ungewöhnlichen Lebensweg. Der Spross einer jüdischen Intellektuellenfamilie aus Sankt Petersburg zog mit neun Jahren nach Essen, wo er sich schwertat, Anschluss zu finden. Unter anderem inspiriert durch den deutschen Rapper Kool Savas, verfasste er dort seine ersten Rhymes. 
Mit 15 ging es für ihn weiter in eine graue Vorstadt Londons, wo sein Vater, ein (in der Sowjetunion ausgebildeter) Physiker, Arbeit an einer Universität fand. Anschließend landete Oxxxy eher zufällig an der Universität Oxford. Obwohl Fjodorow hier, so wie er sagte, nie heimisch geworden sei, machte er nach vier Jahren seinen Abschluss in Mittelalterlicher Englischer Literatur. 


Ein giftiger Fisch


Danach setzte er alles auf seine Hiphop-Karriere, schlug sich aber zunächst mit verschiedensten Jobs durch. Nachdem Fjodorow mehrere Jahre in prekären Lebensverhältnissen im rauen Londoner East End verbrachte, gelangte er zu immer größerer Bekanntheit im Internet. 2012 zog er zurück nach Russland und wurde noch im selben Jahr von der russischen GQ als Entdeckung des Jahres gefeiert. Ein neuer, ausgefallener, scharfzahniger und höchstwahrscheinlich giftiger Fisch sei im Teich aufgetaucht, schrieb das Männermagazin damals ganz in Oxxxymiron-Manier.7 

Oxxxys erstes Album Wetschny Shid (dt. Der ewige Jude) ist seinem Leben in London gewidmet. Die Vermischung britischer und russischer Elemente äußert sich schon in Titeln wie Russki Cockney oder Wostotschny Mordor (dt. Östliches Mordor), die Tracks sind mit Grime und Elementen von Dubstep unterlegt. Dabei nimmt er Bezug auf Straßengewalt und das harte Leben im Londoner East End, aber auch auf seine russische und jüdische Identität. Seine Wurzellosigkeit fasst er in dem Satz „Ich spaziere durch Europa wie das Gespenst des Kommunismus“ zusammen.


Sein mit großer Spannung erwartetes zweites Album Gorgorod erschien Ende 2015. Sofort wurde das Werk in der russischen Presse analysiert. Kaum vorstellbar, dass ein anderer russischer Rapper solche Aufmerksamkeit erhalten würde, schrieb Meduza damals.8 Es ist ein konzeptionelles Rap-Album mit einer durchgehenden Geschichte über einen fiktiven Schriftsteller, der sich in „die falsche Frau“ verliebt, in eine regierungsfeindliche Verschwörung gegen einen korrupten Bürgermeister gerät, und nur knapp mit dem Leben davonkommt. 


Rap aus dem Elfenbeinturm?


Anders als bei einigen jüngeren Rappern in Russland sind die Texte von Fjodorow vordergründig eher unpolitisch. Auch mit klaren Aussagen zur russischen Führung hält er sich zurück. Doch seit die Behörden Ende 2018 immer stärker gegen kritische Rapper vorgingen, Lieder zensierten und zum Teil gewaltsam Konzerte abbrachen, sieht sich auch Oxxxymiron gezwungen, Farbe zu bekennen: Als sein offen regierungskritischer Rapperkollege Husky 2018 ins Gefängnis geworfen wurde, nachdem er ein Auftrittsverbot in Krasnodar umging, empörte sich Oxxxymiron: „Sie machen Künstler verantwortlich für die Probleme der Gesellschaft, das ist einfacher, als die wahren Gründe anzupacken.“9 Zusammen mit zwei weiteren bekannten Rappern organisierte er ein Solidaritätskonzert für Husky, der dann kurz vor dem Gig freigelassen wurde. 


Auch nach der Festnahme des kritischen Journalisten Iwan Golunow im Juni 2019 äußerte Oxxxy offen seine Meinung: Er schloss sich dem öffentlichen Protest an und erklärte, dass die Freilassung des Reporters entscheidend für das ganze Land sei: „Wenn Mut weiterhin bestraft und Bösartigkeit ermutigt wird, dann wird niemand von uns eine Zukunft haben, unabhängig von Meinungen und Überzeugungen.“10 Im August rief er auf Instagram seine über zwei Millionen Follower auf, an der Protestveranstaltung gegen die gewaltsamen Festnahmen Ende Juli teilzunehmen.11 

Ob ein Künslter in einem Elfenbeinturm leben könne, fragt Oxxxymiron in seinem Album Gorgorod. Seine Antwort darauf dürfte mittlerweile ziemlich klar ausfallen.

Russians Against War

Am 24. Februar 2022, unmittelbar nach Beginn des großflächigen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine, veröffentlichte Oxxxymiron ein Video, in dem er die Invasion als „Katastrophe und Verbrechen“ verurteilte und seine geplanten und bereits ausverkauften Konzerte in Russland auf unbestimmte Zeit verschob. „Ich kann euch nicht unterhalten, während in der Ukraine russische Raketen fallen“, sagte der Rapper. Nach diesem Statement verließ er Russland und gab unter dem Motto „Russians Against War“ einige Konzerte in Istanbul, London und Berlin. Die Erlöse spendete er für die Unterstützung ukrainischer Geflüchteter.

Im September 2022 kehrte Oxxxymiron kurz nach Sankt Petersburg zurück, um einen Video-Clip für den Protest-Song Oida zu drehen, in dem er dem russischen Ermittlungskomitee und der Staatsanwaltschaft einen Gruß ausrichtete. Im Oktober 2022 wurde er zum sogenannten ausländischen Agenten erklärt und einer seiner Songs als extremistisch eingestuft. Der Song Oida wird zurzeit von der Generalstaatsanwaltschaft ebenfalls wegen des Verdachts auf Extremismus überprüft.


aktualisiert am 31.01.2023
1 YouTube: KOLLEGAH von OXXXYMIRON zum Battle herausgefordert! || RapSchau.  
2 The Source: Is the world's biggest battle rapper now Oxxxymiron of Russia?
3 Independent: The man who was raised in Slough and raps in Russia.
The Moscow Times: Russian Schoolgirl Replaces Mandelshtam Poetry With Oxxxymiron Rap Lyrics.
5 YouTube: Oxxxymiron on Russian Hip Hop, Battle Rap, Dizaster, Putin (Full Interview).
6 Kommersant: Iz andegraunda v pop-kul'turu. Kto i kak zarabatyvaet na rėp-battlach.
7 GQ: Otkrytie Goda Oxxxymiron: „Ja Ne Ėrudit, Ja Standartnyj Intelligentiška.“

8 Meduza: Čto my slušali v nojabre. Lučšie al'bomy mesjaca po versii „Meduzy“
9 Tagesanzeiger: Verhaftet diesen Künstler. Junge russische Rapper geben sich politisch. Die Behörden lassen sich nicht zweimal bitten.
10 YouTube: #svobodugolunovu Oxxxymiron, Pozner, Sobčak, Makarevič o Ivane Golunove.
11 Instagram: norimyxxxo.  
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