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Russland und der Kolonialismus

Kolonialimperien – das sind immer die anderen. Und doch hat Russland über eine Vielzahl an Völkern geherrscht und sein Territorium seit dem 16. Jahrhundert auf das 22-Fache vergrößert. Von der Eroberung Sibiriens bis zur angeblichen „Brüderlichkeit der Sowjetvölker“ wird die Kontinuität des russischen Kolonialismus im Krieg gegen die Ukraine besonders deutlich. Die vor diesem Hintergrund erstarkende Idee einer Dekolonisierung Russlands versucht der Kreml mit allen Mitteln zu unterdrücken. 

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Olga Skabejewa

Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt. 

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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Zentrale Wahlkommission der Russischen Föderation (ZIK)

Die Zentrale Wahlkommission der Russischen Föderation (russisch: Zentralnaja Isbiratelnaja Komissija Rossiskoi Federazii, kurz: ZIK) sollte eigentlich ein ziemlich unauffälliges Verwaltungsorgan sein, das sich mit der Organisation und Durchführung der Wahlen in Russland befasst. Nachdem Präsident Medwedew den ZIK-Vorsitzenden Wladimir Tschurow für die Genauigkeit seiner Prognosen als „Zauberer“ bezeichnet hatte, wurde die ZIK im Jahr 2011 jedoch schlagartig berühmt. Für die Opposition repräsentierte sie im Zuge der damaligen Dumawahl ein System organisierter Wahlfälschung. Tschurow wurde zum Gesicht der ZIK und galt als jemand, der die vorab bestellten Ergebnisse „herbeizaubert“. Obgleich organisierte Wahlfälschungen der ZIK selbst nicht nachgewiesen wurden, kann die Kommission  insofern zur Verantwortung gezogen werden, weil sie kein ernsthaftes Ermittlungsverfahren zur Untersuchung von Wahlfälschungsvorwürfen einleitete.

Im März 2016 jedoch zeichnete sich plötzlich eine Weichenstellung ab: Überraschend wechselte die bisherige Menschenrechtsbeauftragte Ella Pamfilowa an die Spitze der ZIK. Sie führte im Vorfeld der Dumawahl 2016 einzelne Reformen durch, die mehr politische Konkurrenz ermöglichen könnten.

Das organisatorische Prinzip der ZIK ist simpel: von den fünfzehn Mitgliedern werden jeweils fünf von den beiden Parlamentskammern und dem Präsidenten benannt, dann wählen diese unter sich einen Vorsitzenden für fünf Jahre. Laut Statut bereitet die ZIK Wahlen auf  Bundesebene vor, sie leitet und koordiniert die Arbeit der regionalen Wahlkommissionen, führt in Zusammenarbeit mit ihnen Wahlen durch und kontrolliert diese gemäß Verfassung auf Unregelmäßigkeiten1.

Anders als oft suggeriert, hat die Kommission selbst keinen Einfluss auf die Wahlergebnisse, sie kann weder fälschen noch Fälschungen vorbeugen. Was sie aber tun kann, ist ein Verfahren gegen gemeldete Unregelmäßigkeiten einzuleiten, an dessen Ende auch die Annullierung der Wahlergebnisse stehen kann. Eigentlich.

Politisierte Bürokratie

Die Wahlkommission wurde in den vergangenen Jahren immer wieder kritisiert: Die oppositionellen Kräfte verwiesen auf die Politisierung des Verwaltungsorgans, das Wahlprozesse gestalte und sie auf angestrebte Ergebnisse zuschneide. Sogar die Kommunistische Partei der Russischen Föderation nannte sie bereits 2004 „Ministerium für Wahlen“.2 Die Kritik kulminierte dann aber vor dem Hintergrund der Dumawahl 2011 und der Präsidentschaftswahl 2012. Sie konzentrierte sich vor allem auf das Gesicht der ZIK: ihren Vorsitzenden Wladimir Tschurow. Tschurow, der als ein Vertrauter von Wladimir Putin gilt und die Wahlkommission zwischen 2007 und 2016 leitete, wurde zum Inbegriff der Wahlfälschung.

Der Zauberer von ZIK

„Sie sind ja fast ein Zauberer“, lobte Präsident Dimitri Medwedew den ZIK-Vorsitzenden Tschurow für seine Prognose zur Dumawahl 2011, nachdem dieser bemerkt hatte, dass sie näher am Endergebnis lag, als die Prognosen von zehn Meinungsforschungsinstituten.3 Aus dem Zusammenhang gerissen wurde das Lob zum Spott, denn geblieben ist nur der „Zauberer“, der die gewünschten Wahlergebnisse „herbeizaubert“.

„Sie sind ja fast ein Zauberer“, lobte Dimitri Medwedew 2011 den damaligen Leiter der Wahlkommission Wladimir Tschurow / Bild über rosbalt.ruSo wurde Tschurow zu einer Zielscheibe der anschließenden Proteste, bei denen eine Untersuchung der Wahlfälschungsvorwürfe gefordert wurde. Tschurows politische Nähe zu Wladimir Putin, die er einstmals mit „Putin hat immer Recht“ bekundet hatte4, befeuerte den Hohn. Genauso wie auch eine  Infografik des TV-Senders Rossija 24, die sich auf die Daten der ZIK berief, als sie die Wahlbeteiligung in der Rostow-Region auf 146 Prozent bezifferte. Tschurow meinte, wer auch immer die Infografik vorbereitet habe, sei  „aus Übersee“ gut entlohnt worden.5 Gemeint waren wohl die USA.

Nur ein Sündenbock?

Tschurow bot der Opposition also eine ideale Angriffsfläche, die sprachliche Neuprägung Tschurowschina wurde alsbald zum Synonym für Wahlfälschungen – und die ZIK selbst zum Inbegriff für die Erosion der politischen Konkurrenz.

Organisierte Wahlfälschungen wurden der ZIK selbst nicht nachgewiesen, sie erfolgten indes vor allem auf der Ebene der Wahlbezirke und -kreise – und hier hauptsächlich in Form sogenannter Karusselle oder Kreuzfahrten. Allerdings ist die ZIK solchen Hinweisen nur halbherzig nachgegangen, eine ernsthafte Untersuchung der Vorwürfe fand nicht statt. Tschurow, der selbst offenbar keine Wahlen fälschte, konnte also nur deshalb als „oberster Wahlfälscher des Landes“6 bezeichnet werden, weil er vordergründig ein System repräsentierte, das politische Konkurrenz zu verhindern suchte.  

Eine Wahlbeteiligung von sagenhaften 146 Prozent – Rossija 24 zeigt Zahlen der ZIK / Bild über You Tube

Nur ein Feigenblatt?

Eine Reformbestrebung konnte man die einzelnen zaghaften Versuche seit 2012, etwas mehr politische Konkurrenz zuzulassen, noch nicht nennen. Diese hat sich erst durch den überraschenden Abgang Tschurows abgezeichnet – fünfeinhalb Monate vor der Dumawahl 2016.

Zur neuen Vorsitzenden wurde auf Vorschlag des Präsidenten Ella Pamfilowa gewählt. Die bisherige Menschenrechtsbeauftragte gilt als lautstarke Kritikerin der politischen Ordnung Russlands. In den ersten Monaten ihrer Tätigkeit hat Pamfilowa drei – mutmaßlich in Fälschungen verwickelte – Vorsitzende untergeordneter Wahlkommissionen zum Rücktritt bewegt.7 Sie brachte die Chuzpe auf, einflussreiche Gouverneure zu kritisieren und riet allen Oberhäuptern der Föderationssubjekte, auf den Einsatz der Administrativen Ressource zu verzichten.8 Pamfilowa arbeitet eng mit Golos zusammen – einer NGO, die Wahlbeobachtungen durchführt und als ausländischer Agent Diffamierungskampagnen seitens staatsnaher Medien ausgesetzt ist.9 

Trotz aller Reformbestrebungen ist es im Vorfeld der Dumawahl 2016 noch allzu verfrüht, von echter politischer Konkurrenz zu sprechen. Als Zauberkiste des Kreml allerdings kann die ZIK schon nicht mehr herhalten.


1.zikrf.ru: Organizacionnye osnovy dejatel’nosti Central’noj izbiratel’noj komissii Rossijskoj Federacii
2.rosbalt.ru: Zakon ‘O Referendume’ podtverždaet prevraščenie CIK v ministerstvo vyborov, sčitajut v KPRF
3.kremlin.ru: Vstreča s Predsedatelem Central’noj izbiratel’noj komissii Vladimirom Čurovym
4.Kommersant: „Razve Putin možet byt’ ne prav?“
5.Ria Novosti: „Čurov: istorija s javkoj v 146% na vyborach byla provokatsiej iz-za okeana“
6.Die Zeit: Porträt: Wahlleiter Wladimir Tschurow
7.rbc.ru: CIK predložil glave novgorodskogo regional’nogo izbirkoma ujti v otstavku
8.rbc.ru: CIK protiv gubernatora und Vedomosti: Centrizbirkom vernul „Jabloko“ na novgorodskie vybory
9.NTV: Kto i začem finansiruet „Golos“: rassledovanie NTV

Diese Gnose wurde gefördert von der Robert Bosch Stiftung.

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Als Staatsduma wird das 450 Abgeordnete umfassende Unterhaus der Föderalen Versammlung Russlands bezeichnet. Im Verhältnis zu Präsident und Regierung nimmt die Duma verfassungsmäßig im internationalen Vergleich eine schwache Stellung ein. Insbesondere das Aufkommen der pro-präsidentiellen Partei Einiges Russland führte dazu, dass die parlamentarische Tätigkeit zunehmend von Präsident und Regierung bestimmt wurde.

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Die Präsidialadministration (PA) ist ein Staatsorgan, das die Tätigkeit des Präsidenten sicherstellt und die Implementierung seiner Anweisungen kontrolliert. Sie ist mit beträchtlichen Ressourcen ausgestattet und macht ihren Steuerungs- und Kontrollanspruch in der politischen Praxis geltend.

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Administrative Ressource

Präsentkorb mit Nahrungsmitteln, plötzliche polizeiliche Ermittlungen oder gar Parteigründungen auf Initiative des Kreml – all dies sind verschiedene Facetten der sogenannten Administrativen Ressource in Russland. Bei dieser Art von Amtsbonus halten sich alle an die Regeln – zumindest formal.

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Dimitri Medwedew

Dimitri Medwedew ist seit Januar 2020 stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrates. Er war von 2012 bis 2020 Premierminister und bekleidete von 2008 bis 2012 das Amt des Präsidenten der Russischen Föderation. Medwedew gehört zu den engsten Vertrauten von Präsident Putin und nimmt, nicht zuletzt als Vorsitzender der Regierungspartei Einiges Russland, eine wichtige Rolle im politischen Systems Russlands ein.

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Dimitri Peskow

Dimitri Peskow ist seit dem Machtantritt Putins für dessen Pressearbeit zuständig und gilt als offizielles Sprachrohr des Kreml. Üblicherweise für die Krisen-PR verantwortlich, sorgte er mehrfach selbst für negative Schlagzeigen, unter anderem im Rahmen der Panama Papers.

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Die Wirtschaftskrise im Herbst 2014 hatte Russland ökonomisch vor eine unsichere Zukunft gestellt. Drei unabhängige Entwicklungen setzten die russische Wirtschaft gleichzeitig unter Druck: der Einbruch des Ölpreises, wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland sowie strukturelle Probleme, das heißt fehlende Anreize zu Investitionen und zur Steigerung der Produktivität. Erst mit der Erholung des Ölpreises 2017 kam es wieder zu einem leichten Wirtschaftswachstum.

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Ella Pamfilowa

Ella Pamfilowa sitzt seit ihrem Amtsantritt als Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission Russlands im März 2016  zwischen den Stühlen. Einerseits kritisiert sie oft harsch die politische Situation in Russland. Andererseits wird ihre Zusammenarbeit mit dem Staat als liberal-demokratisches Feigenblatt kritisiert. Alexander Graef erläutert diese Zwickmühle.

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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)