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Russland und der Kolonialismus

Kolonialimperien – das sind immer die anderen. Und doch hat Russland über eine Vielzahl an Völkern geherrscht und sein Territorium seit dem 16. Jahrhundert auf das 22-Fache vergrößert. Von der Eroberung Sibiriens bis zur angeblichen „Brüderlichkeit der Sowjetvölker“ wird die Kontinuität des russischen Kolonialismus im Krieg gegen die Ukraine besonders deutlich. Die vor diesem Hintergrund erstarkende Idee einer Dekolonisierung Russlands versucht der Kreml mit allen Mitteln zu unterdrücken. 

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Olga Skabejewa

Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt. 

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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Igor Setschin

Putins Schatten. Grauer Kardinal. Darth Vader. Kaum jemand in Russland ist gegenwärtig mit mehr Klischees belegt als Igor Setschin. Der Philologe und Übersetzer für Portugiesisch und Französisch begleitet Präsident Putin seit über 25 Jahren auf Schritt und Tritt. Ähnlich wie viele andere mächtige Männer im Land, arbeitete er mit ihm bereits Anfang der 1990er Jahre in der Stadtverwaltung von St. Petersburg. 1996 wechselte er mit Putin nach Moskau. Nach dessen Wahl zum Präsidenten wurde Setschin zunächst stellvertretender Leiter der Präsidialadministration, später stellvertretender Ministerpräsident. Seit 2012 ist er Vorstandsvorsitzender des größten russischen Ölkonzerns Rosneft, dem seit September 2017 auch Altkanzler Gerhard Schröder als Chef des Direktorenrats angehört.

Igor Setschin gilt Vielen als unheimlich. Öffentlich kaum sichtbar, zieht er die Strippen im Hintergrund und kämpft, wenn nötig, mit harten Bandagen. 2003 war er unmittelbar an der Zerschlagung des Unternehmens Yukos[/gnose] von [gnose-723]Michail Chodorkowski beteiligt. Anschließend verhinderte er, dass die Anteile an Gazprom gingen. Stattdessen legte er den Grundstein für den Aufstieg von Rosneft. Im November 2016 lancierte er die Verhaftung des Ministers für Wirtschaftliche Entwicklung Alexej Uljukajew – die erste Verhaftung eines amtierenden Ministers seit dem Ende der Sowjetunion.

Setschins Geschick stützt sich dabei auch auf die persönliche Nähe zum Präsidenten. Als langjähriger Sekretär Wladimir Putins gilt er diesem als treu ergeben. Gegenwärtig selbst ohne politisches Amt,  steuert er derzeit Russlands wirtschaftliche Lebensader: die Erdölindustrie.

Aus einfachen Verhältnissen

Dabei deutet zunächst nichts auf eine derartige Karriere hin. Setschin stammt aus einfachen Verhältnissen. 1960 in Leningrad in einer Arbeiterfamilie geboren, lernt er in der Schule Französisch und studiert ab 1977 an der renommierten Staatlichen Universität Leningrad Romanistik. An der philologischen Fakultät wird er zum Übersetzer für Portugiesisch und Französisch ausgebildet. Noch vor Abschluss des Studiums geht er 1982 nach Mosambik, wo er als Dolmetscher für das sowjetische Militär arbeitet, das sich im dortigen Bürgerkrieg engagiert. 1984 kehrt er nach Leningrad zurück und schließt sein Studium ab. Sein anschließender Militärdienst führt ihn zunächst nach Turkmenistan und schließlich nach Angola. Aus dieser Zeit stammen Gerüchte über eine offizielle Zusammenarbeit Setschins mit der sowjetischen Militäraufklärung GRU und dem KGB. Eindeutig geklärt sind diese bis heute nicht. 

Putins Schatten

Nach seiner Rückkehr aus Afrika wird Setschin 1986 zunächst Mitarbeiter seiner Alma Mater in der Abteilung für Internationales.1 Dank seiner Portugiesischkenntnisse wechselt er 1988 in das Exekutivkomitee des Leningrader Stadtrates, wo er unter anderem die Städtepartnerschaft mit Rio de Janeiro betreut. In diesem Umfeld macht er auch Bekanntschaft mit Anatoli Sobtschak, damals noch Professor an der Leningrader Universität und ab Juni 1990 Vorsitzender des Stadtrates. Unter welchen Umständen und wann Setschin Wladimir Putin zum ersten Mal begegnet, ist hingegen nicht eindeutig überliefert.2

Nach der Wahl Anatoli Sobtschaks zum Bürgermeister im Juni 1991 wird Putin Leiter des Komitees für Außenbeziehungen. Er holt Setschin als Sekretär zu sich und arbeitet in den nächsten fünf Jahren eng mit ihm zusammen. Setschin organisiert Putins Termine und Korrespondenz und erarbeitet sich den Ruf eines treuen Dieners. Nach der Niederlage Sobtschaks bei der Bürgermeisterwahl 1996 gibt Putin sein Amt ab. Setschin folgt im Schlepptau.

Nur einen Monat später wechseln beide nach Moskau. Während Putin bald zum ersten stellvertretenden Leiter der Präsidialadministration berufen wird, später das Amt des Direktors des Inlandsgeheimdienstes FSB übernimmt und im August 1999 schließlich zum Ministerpräsidenten Russlands aufsteigt, folgt ihm Setschin stets wie ein Schatten.

Als Putin am 31. Dezember 1999 die Amtsgeschäfte des Präsidenten übernimmt, macht er Setschin zum stellvertretenden Leiter der Administration unter Dimitri Medwedew. Wie schon in St. Petersburg bleibt Setschin jedoch Herr über Putins Vorzimmer und wacht über dessen Treffen und Termine. Auch nach dem Amtsantritt von Dmitri Medwedew als Präsident im März 2008, bleibt Setschin als stellvertretender Ministerpräsident an Putins Seite.

Rosneft: Setschins Traum

Setschins große Stunde schlägt im Sommer 2003. Im Juni warnt der Rat für nationale Strategie in einem Bericht mit dem Titel „Staat und Oligarchie“ vor einer Verschwörung der Oligarchen.3 Rückblickend lässt sich dieser Bericht als Startschuss für die Zerschlagung und Verstaatlichung von Yukos betrachten, damals Russlands größter privater Erdgas- und Erdölförderer. Einige frühere Yukos-Manager sehen in Setschin den Auftraggeber. Der Autor des Berichts – Stanislaw Belkowski – verneint dies jedoch. Gleichzeitig gibt das ehemalige Yukos-Vorstandsmitglied Alexander Temerko zu Protokoll, dass Setschin den gesamten Prozess um Yukos im Kreml betreut und angeleitet habe. Dabei habe sich dieser nicht selbst für das Unternehmen interessiert, vielmehr sei es ihm um den Schutz seines Dienstherrn gegangen, so Temerko. Neben den politischen Ambitionen Chodorkowskis, sei der Verkauf von Sperrminoritäten strategisch wichtiger Unternehmen an ausländische Investoren für Setschin nicht hinnehmbar gewesen.4

In der Folge wird Yukos mit immer neuen Steuernachforderungen konfrontiert. Zur Begleichung der Schulden wird im Dezember 2004 unter anderem Juganskneftegaz zwangsversteigert – das größte Produktionsunternehmen des Konzerns. Als Käufer taucht die bis dahin völlig unbekannte Briefkastenfirma Baikalfinanzgruppe (BKG) auf. Nur wenige Tage später erklärt Rosneft, damals noch der sechstgrößte Ölförderer Russlands, die Übernahme der BKG. Igor Setschin war bereits im Sommer als einfaches Mitglied in den Direktorenrat von Rosneft berufen worden. Ende Juli 2004 hatte er dessen Vorsitz übernommen.

Die Zerschlagung von Yukos und die Übernahme der Kontrolle von Rosneft durch Setschin gelten damals als erster Schritt in Richtung einer staatlichen Energieholding, in der die Aktiva von Rosneft und Gazprom zusammengeführt werden sollen.5 Doch Setschin hat andere Pläne. Er wiedersetzt sich der schon geplanten Übernahme Rosnefts durch Gazprom, dessen Direktorenrat-Vorsitzender noch Dimitri Medwedew heißt.

Als Präsident versucht Medwedew zaghaft, Staat und Wirtschaft stärker voneinander zu trennen. Im April 2011 muss Setschin als  stellvertretender Ministerpräsident unter Putin den Direktorenrat verlassen. Nur ein Jahr später, nach dem dritten Amtsantritt Putins, kehrt er jedoch zurück und übernimmt im Mai 2012 als Konzernchef endgültig das Ruder bei Rosneft. Gleichzeitig wird der Konzern zum strategischen Unternehmen des russischen Staates erklärt.

An der Seite des Präsidenten leitet Setschin fortan die Sitzungen der neu eingerichteten Kommission für Energiefragen. Im März 2013 übernimmt Rosneft außerdem die Kontrolle über TNK-BP und wird damit zum weltweit größten, börsennotierten Erdölförderer.6

Der Fall Bashneft: Setschins Zukunft

Im Konflikt um den seit 2014 vorbereiteten Erwerb des russischen Erdölförderers Bashneft wird Setschins politischer Einfluss zum ersten Mal auch einer breiteren Öffentlichkeit deutlich. Das ehemalige Staatsunternehmen Bashneft wird 2009 von AFK Sistema als Mehrheitseigner übernommen und schrittweise modernisiert. Im Sommer 2014 meldet das staatliche Ermittlungskomitee jedoch rechtliche Zweifel an der Art und Weise des Geschäfts an. Der Multimilliardär und Eigentümer von AFK Sistema, Wladimir Jewtuschenkow, wird unter Hausarrest gestellt. Gerüchte über eine Wiederholung des Fall Yukos machen die Runde. Die erfolgte Privatisierung wird gerichtlich für unzulässig erklärt. Jewtuschenkow verzichtet auf eine Revision, fast 72 Prozent von Bashneft gehen zurück an den russischen Staat. Die treibende Kraft hinter dem Prozess: Rosneft-Chef Igor Setschin.

Im Frühjahr 2016 wird Bashneft von der Regierung wieder zur Privatisierung ausgeschrieben. Neben acht weiteren Interessenten bietet auch Rosneft mit. Der damalige Minister für wirtschaftliche Entwicklung Alexej Uljukajew spricht sich jedoch gegen die Übernahme durch einen Staatskonzern aus. Für den Wirtschaftsliberalen ist dies nicht mit dem gesteckten Ziel einer Privatisierung vereinbar. Doch es hilft nichts. Im Oktober 2016 kauft Rosneft für knapp 5 Milliarden Euro die Mehrheit an Bashneft. Damit nicht genug. Mitte November wird Uljukajew, der unter einem Vorwand von Igor Setschin in die Rosneft-Zentrale gelockt wird, verhaftet. Der Vorwurf: Bestechung. Zwei Millionen US-Dollar an Schmiergeld für seine angebliche Zustimmung zum Geschäft. 

Der anschließende Prozess gerät zur Farce. Setschin, obwohl selbst als Hauptzeuge geladen, erscheint trotz mehrmaliger Aufforderung nicht vor Gericht. Für Uljukajew ändert dieser Umstand wenig. Im November 2017 wird er zu acht Jahren Lagerhaft bei verschärftem Vollzug und einer Geldstrafe in Höhe des vermeintlichen Schmiergeldes verurteilt.

Dies ist der erste Prozess gegen einen Minister wegen Korruption im post-sowjetischen Russland und zugleich ein deutliches Zeichen der politischen Macht Setschins. Der völlig unerwartete Schritt lässt die Vertreter des liberalen Wirtschaftsbloсks in der Regierung aufhorchen. Für welche Zukunft Russlands Putins Schatten steht, scheint ihnen nur allzu bewusst.

 


1.Vedomosti: Igor' Sečin, pervyj vozle Vladimira Putina
2.Laut der Zeitung Leningradskaja Pravda lernten sich Putin und Setschin bereits Ende der 1980er Jahre als Mitarbeiter der Universität Leningrad kennen, Leningradskaja Pravda: Zaverbovali na 3 kurse. Dies ist jedoch äußerst unwahrscheinlich, da Putin erst im Januar 1990 aus Dresden in die Sowjetunion zurückkehrte, Ot pervogo lica: Razgovory s Vladimirom Putinym, M., Vagrius, 2000, 76. Nach anderen Informationen geht der erste Kontakt auf eine Reise von Sobtschak 1990 nach Brasilien zurück, FAZ: Igor Setschin. Putins Schatten.
3.Utro.ru: V Rossii gotovitsja oligarchičeskij perevorot
4.Vedomosti: Igor' Sečin, pervyj vozle Vladimira Putina
5.Kommersant: Neftjanoj kardinal und Polit.ru: «Seryj kardinal» Kremlja stal glavnym neftjanikom strany
6.The Guardian: Rosneft takes over TNK-BP in $55bn deal
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Als staatliche Energiegesellschaft Anfang der 1990er Jahre gegründet, stieg das Unternehmen in den 2000er Jahren zu einem zentralen Akteur des russischen Energiesektors auf. Rosneft war Hauptprofiteur der Zerschlagung des YUKOS-Konzerns und wurde durch weitere Zukäufe zu einem der mächtigsten Unternehmen Russlands. Der niedrige Ölpreis und die westlichen Sanktionen machen dem Giganten jedoch zu schaffen.

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Alexej Uljukajew (geb. 1956) war von 2004 bis 2013 Erster Stellvertretender Vorsitzender der Zentralbank Russlands und von 2013 bis 2016 Wirtschaftsminister. Am 14. November 2016 wurde Uljukajew überraschend verhaftet, er soll im Rahmen der Übernahme des Ölkonzerns Baschneft durch Rosneft 2 Millionen US-Dollar Schmiergeld angenommen haben. Im Dezember 2017 wurde der ehemalige Minister zu acht Jahren strenger Lagerhaft verurteilt.

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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)