Nach der Übernahme durch Michail Chodorkowskis MENATEP-Invest-Gruppe 1995 entwickelte sich das Erdölunternehmen Yukos zum erfolgreichsten seiner Art in Russland. Ab 2003 wurde Yukos mit rechtlich zum Teil zweifelhaften Strafrechtsprozesssen zerschlagen und weitgehend unter staatliche Kontrolle gebracht. Der Fall ist beispielhaft für den Anspruch der russischen Exekutive, zentrale wirtschaftliche Prozesse zu kontrollieren und keine politisch aktiven Unternehmer zu dulden.
Im Jahr 1995 übernahm die Finanzgruppe MENATEP-Invest, die Michail Chodorkowski mit seinen Kollegen Leonid Newslin und Platon Lebedew 1990 gegründet hatte, die Erdölfirma YUKOS und baute sie zum zweitgrößten Erdölproduzenten Russlands aus. Im Rahmen einer langfristigen Entwicklungsstrategie plante YUKOS, mit dem viertgrößten russischen Erdölunternehmen Sibneft zu fusionieren und dadurch zum größten Energiekonzernen weltweit zu werden. YUKOS führte auch Gespräche mit den amerikanischen Erdölproduzenten Exxon Mobil und Chevron über einen Einstieg in das neu gegründete Unternehmen.
Seit Sommer 2003 ging der russische Staat juristisch gegen YUKOS und seine Eigentümer vor, was sowohl die Fusion mit Sibneft als auch den Einstieg ausländischer Investoren unterband. Viele Beobachter gingen dabei davon aus, dass die Unterstützung oppositioneller Parteien durch Chodorkowski und seine persönlichen politischen Ambitionen dabei eine entscheidende Rolle spielten. Das staatliche Vorgehen konzentrierte sich auf zwei Bereiche: Erstens wurden Strafprozesse gegen den Sicherheitschef von YUKOS Alexej Pitschugin sowie gegen die Hauptaktionäre Lebedew und Chodorkowskij aufgenommen. Pitschugin wurde in einem streng abgeschirmten Prozess wegen womöglicher Anstiftung zum Mord von Politikern und Unternehmern1 zu lebenslanger Lagerhaft verurteilt, während Lebedew und Chodorkowski wegen Steuerhinterziehung und Privatisierungsbetrug Ende Mai 2005 zunächst neun Jahre Haft erhielten. In einem zweiten Verfahren wegen Unterschlagung von 218 Millionen Tonnen Öl und Geldwäscherei im Dezember 2010 lautete das Urteil für beide auf je sechs weitere Jahre Gefängnis.
Zweitens erhoben die Steuerbehörden Steuernachforderungen gegen YUKOS und seine Tochterfirmen, sodass das Unternehmen im Frühjahr 2006 für Bankrott erklärt wurde. Zur Begleichung der Steuerschulden wurde das größte Produktionsunternehmen des YUKOS-Konzerns, Juganskneftegaz, bereits im Dezember 2004 für 9,35 Mrd. US-Dollar zwangsversteigert. Die Versteigerung gewann überraschend die unbekannte Firma BFG. Ende des Monats erklärte der staatliche Erdölkonzern Rosneft, für das Gebot von BFG aufzukommen und damit Juganskneftegaz zu erwerben. Das Management wurde durch Vertreter von Rosneft ersetzt, wo Putins Vertrauter Igor Setschin den Vorstandsvorsitz übernahm. Sowohl beim Strafrechtsprozess als auch beim Steuerverfahren gegen YUKOS-Aktionäre wurden erhebliche Verstöße gegen russische und internationale Rechtsprinzipien festgestellt. Ein Urteil des Ständigen Schiedsgerichts in Den Haag verpflichtete den russischen Staat 2014 zu einer Entschädigungszahlung an die ehemaligen YUKOS-Aktionäre in Höhe von 51,6 Milliarden US-Dollar. Russland focht das Urteil an und erhielt im April 2016 Recht: Die Entscheidungen des Den Haager Schiedgerichts wurden im Revisionsprozess am Bezirksgericht in Den Haag für ungültig erklärt. Die Group MENATEP Limited der ehemaligen YUKOS-Aktionäre kündigte ihrerseits an, das Urteil anzufechten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die YUKOS-Affäre einen zentralen Indikator für die Qualität des russischen Rechtssystems, die wirtschaftspolitische Orientierung der staatlichen Regierung und das Investitionsklima in Russland darstellt. Zum einen bestätigte die YUKOS-Affäre, dass Putin kein politisches Engagement von Unternehmern duldet. Auch durch die Begnadigung Chodorkowskis im Dezember 2013 hat der Kreml-Chef noch einmal demonstriert, dass seine Macht über dem Rechtssystem steht. Zum zweiten folgte nach der Yukos-Affäre eine Reihe von Übernahmen von Energieunternehmen durch die Staatskonzerne Rosneft und Gazprom, sodass der staatliche Anteil an der Energieproduktion deutlich angestiegen ist. Viele ausländische Investoren mussten das Land verlassen. Zum dritten hat die YUKOS-Affäre die Machtverhältnisse innerhalb der staatlichen Exekutive zugunsten loyaler und staatsinterventionistischer Politiker, die aufgrund ihrer Geheimdienstvergangenheit als Silowiki bezeichnet werden, verändert. In diesem Zusammenhang wird von einigen Beobachtern ein grundlegender Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik von marktwirtschaftlichen zu staatsinterventionistischen Projekten konstatiert.