Media
Gnose

Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

Gnoses
en

Bolotnaja-Bewegung

Bolotnaja-Bewegung ist eine oft, aber nicht immer, abwertend gebrauchte Bezeichnung für die Proteste gegen Wahlfälschung und gegen Einiges Russland in den Jahren 2011–13, insbesondere deren Hochphase von Dezember 2011 bis Mai 2012. Der Begriff leitet sich vom Bolotnaja-Platz im Moskauer Stadtzentrum ab, auf dem drei der größten Demonstrationszüge (10.12.2011, 4.2.2012, 6.5.2012) endeten. Ein verwandter Begriff ist der Bolotnaja-Prozess. Dieser bezieht sich auf die Massenverhaftungen und anschließenden Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit dem Marsch der Millionen am 6.5.2012 auf dem Bolotnaja-Platz.

Abwertend ist die Bezeichnung zum einen, weil bolotnoje dwishenije wörtlich „Sumpfbewegung“ bedeutet. „Sumpfplatz“ heißt dieser Abschnitt der Flussinsel in der Moskwa, weil der angrenzende Kanal in den 1780er Jahren zur Austrocknung der Sümpfe angelegt wurde, die alljährlich nach der Schneeschmelze entstanden.1 Der Begriff „Sumpfbewegung“ suggeriert jedoch auch eine aussichts- und zahnlose Form von Protest, die sich von vorneherein auf die Bedingungen von Polizei und Machthabern einlässt. Bereits in den Jahren vor 2011 bestimmten die Moskauer Behörden den Platz oft als Ort für regimekritische Kundgebungen, weil er trotz seiner zentralen Lage relativ abgeschieden ist und sich ohne Schwierigkeiten überwachen und absperren lässt. Bei der Vorbereitung der ersten Großkundgebung für faire Wahlen am 10.12.2011 konnte sich die radikalere Fraktion, die auf dem Manegenplatz direkt vor dem Kreml demonstrieren wollte, nicht gegen moderatere Protestteilnehmer durchsetzen, die mit der Moskauer Stadtverwaltung auf den Bolotnaja-Platz als Demonstrationsort übereinkamen.2

Vor allem aber impliziert die Bezeichnung, die Proteste hätten sich auf Moskau (und hier vor allem auf eine „kreative“ oder Mittelklasse) beschränkt – obwohl in den meisten Regionen des Landes demonstriert wurde, in einigen proportional gesehen sogar mehr als in der Hauptstadt3. SoziologInnen, die die Wahlproteste als eine eher oberflächliche Modeerscheinung ansehen, stellen mit der Bezeichnung bolotnoje dwishenije einen Kontrast zu Sozialprotesten her, die sie als stärker mit den tatsächlichen Interessen der Bevölkerung verbunden ansehen.4 Allerdings war die Grenze zwischen beiden Protestanliegen gerade in einigen Provinzregionen durchaus fließend.

Ein verwandter Begriff ist bolotnoje delo, also der „Bolotnaja-Prozess“. Er bezieht sich auf die Massenverhaftungen beim Marsch der Millionen am 6.5.2012 auf dem und um den Bolotnaja-Platz sowie die anschließenden Gerichtsverfahren gegen einige der Verhafteten und andere, die erst später wegen angeblicher Aufwiegelung zu Massenunruhen festgenommen wurden. Insgesamt wurden am 6. Mai nach Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und Polizei etwa 650 Menschen verhaftet.5 In den folgenden Wochen und Monaten führten Ermittler eine Reihe von Durchsuchungen und Verhaftungen durch, wobei in einem Fall ein aus Moskau geflüchteter politischer Aktivist durch den russischen Geheimdienst aus Kiew entführt wurde, während er dort Asyl beantragte. Insgesamt wurden über 30 Personen angeklagt, die meisten von ihnen verbrachten mehrere Monate in Untersuchungs- oder Lagerhaft beziehungsweise in der Zwangspsychiatrie. Es wurden Haftstrafen von bis zu viereinhalb Jahren verhängt. Die Bandbreite der Angeklagten reicht von Demonstrationsneulingen bis hin zu linken, rechten, liberalen und anarchistischen AktivistInnen der Geburtsjahrgänge 1955 bis 1992. Vier der Inhaftierten sind im November 2016 noch hinter Gittern, die anderen sind – zum Teil per Amnestie oder auf Bewährung – freigekommen, beziehungsweise befinden sich im Ausland.6

Während Untersuchungskomitee und Staatsanwaltschaft, gestützt auf Aussagen der Polizei, die Angeklagten als Teilnehmer gewalttätiger Massenunruhen ansahen, kam eine öffentliche, dem Protest und der politischen Opposition nahestehende, Kommission nach Befragung von über 600 Zeugen und Auswertung umfangreicher Foto- und Videodaten zu dem Schluss, die Zusammenstöße seien von den Behörden bewusst provoziert worden.7 Die Verhaftungen und Gerichtsverhandlungen im Rahmen des Prozesses waren ihrerseits von regelmäßigen Solidaritätsprotesten begleitet – bis weit in das Jahr 2013 hinein blieb der „Bolotnaja-Prozess“ eines der wichtigsten politischen Protestthemen in der Hauptstadt, wobei wegen der im Juni 2012 beschlossenen weiteren Einschränkung der Versammlungsfreiheit vor allem Einzelpersonen oder kleinere Gruppen protestierten.8


1.Gabowitsch, Mischa (2013): Putin kaputt!? Russlands neue Protestkultur, Berlin, S. 11 
2.ebd., S. 171 
3.ebd., S. 82 
4.z. B. Kleman, Karin (2014): К voprosu о lokalʼnom i globalʼnom v nizovych socialʼnych dviženijach Rossii v 2005–2010 godach, in: Politika apolitičnych: Graždanskie dviženija v Rossii 2011–2013 godov, Moskau, S. 71-105, insbesondere S. 100-103 
5.ovdinfo.org: Čelovek iz avtozaka: političeskie zaderžanija v Moskve: Godovoj doklad OVD-Info za 2012 god 
6.Detaillierte Informationen zu den einzelnen Angeklagten und den jeweiligen Verfahren und Urteilen bieten die Webseiten politpressing.org, 6may.org, rosuznik.org und bolotnoedelo.info 
.7.sh. die Webseite der Kommission „Runder Tisch des 12. Dezember“ unter www.rt12dec.ru und ihre Publikation Bolotnoe delo: Itogi obščestvennogo rassledovanija: Vyderžki iz Doklada Komissii «Kruglogo stola 12 dekabrja» po obščestvennomu rassledovaniju sobytij 6 maja 2012 goda na Bolotnoj ploščadi, Moskau 2013 
8.Siehe dazu die quantitativen Erhebungen von OVD-Info unter reports.ovdinfo.org – zum Jahr 2012 gibt es eine Zusammenfassung des Berichts auch auf Englisch 
Support dekoder
Related topics
Gnose

Bolotnaja-Platz

Der Bolotnaja-Platz befindet sich zwischen dem Kreml und dem alten Kaufmannsviertel Samoskworetschje im Zentrum Moskaus. Er hat im Mittelalter zunächst als Handelsplatz gedient, später kam ihm immer wieder eine wichtige politische Bedeutung zu, zuletzt während der Proteste gegen die Regierung in den Jahren 2011/12.

Gnose

Meeting am 10. Dezember auf dem Bolotnaja-Platz

Nachdem erste Meldungen über Manipulationen bei den Parlamentswahlen vom 4. Dezember 2011 publik wurden, gab es zunächst kleinere Protestaktionen in Moskau. Eine Woche später fand am 10. Dezember 2011 auf dem Bolotnaja-Platz in Moskau eine der größten Demonstrationen der jüngeren Geschichte Russlands statt, als Zehntausende saubere Neuwahlen forderten. Es entstand eine neue Protestbewegung, die vom Staat über die folgenden Monate jedoch wieder unterdrückt wurde.

Gnose

Farbrevolutionen

Als Farbrevolutionen bezeichnet man eine Reihe friedlicher Regimewechsel in post-sozialistischen Ländern. Diese wurden unter anderem durch gesellschaftliche Großdemonstrationen gegen Wahlfälschungen ausgelöst. Aufgrund der Farben beziehungsweise Blumen, mit denen die Bewegungen assoziiert werden, ist der Sammelbegriff Farbrevolutionen entstanden. Stellt der Begriff für die politische Elite in Russland eine Bedrohung ihrer Macht dar, verbinden oppositionelle Kräfte damit die Chance auf einen Regierungswechsel.

Gnose

Alexej Nawalny

Alexej Nawalny ist in Haft gestorben. Er wurde in mehreren politisch-motivierten Prozessen zu langjähriger Strafe verurteilt. Aus der Strafkolonie hat er mehrmals über unmenschliche Haftbedingungen berichtet.  

Gnose

Mitja Aleschkowski

Aleschkowski ist ein Fotograf, Blogger und Aktivist. In Russland wurde er 2012 bekannt, als er durch seine Koordination wesentliche Hilfe bei einer verheerenden Flutkatastrophe leistete. Anschließend baute er in Russland eine erfolgreiche zivilgesellschaftliche Hilfsorganisation auf.

Gnose

Ermittlungskomitee

Das Ermittlungskomitee (Sledstwenny komitet/SK) ist eine russische Strafverfolgungsbehörde. Sie gilt als politisch überaus einflussreich und wird häufig mit dem US-amerikanischen FBI verglichen.

Gnose

Itogi

Die Diskussionssendung Itogi (dt. Bilanz) war eine analytische Talkrunde über aktuelle politische Ereignisse. Sie wurde in den Jahren 1994 bis 2001 mit hohen Einschaltquoten auf NTW gezeigt.

Gnose

Jedinaja Rossija

Die Partei Einiges Russland ist der parlamentarische Arm der Regierung. Ihre Wurzeln entstammen einem Machtkampf zwischen Jelzin und seinen Herausforderern im Jahr 1999. Danach entwickelte sie sich schnell zu einer starken politischen Kraft: Seit 2003 hat sie eine absolute Mehrheit der Parlamentssitze inne. Obwohl sie durchaus eine Stammwählerschaft entwickelt hat, verdankt sie ihren Erfolg zu großen Teilen Putins persönlicher Beliebtheit.

more gnoses
Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)