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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Murka

Im Kultfilm Mesto wstretschi ismenit nelsja (dt. „Den Treffpunkt darf man nicht ändern“), mit dem berühmten Sänger Wladimir Wyssozki in der Hauptrolle, gibt es eine Szene, die ebenso Kultstatus erreichte: Ein Mitarbeiter des Moskauer Kriminalamtes kommt zu einer Bande und gibt sich als Kleinkrimineller aus, der gerade aus dem Gefängnis entlassen worden sei und eine wichtige Information von einem Insassen zu überbringen habe. Da die Kriminellen befürchten, er könne ein Polizist sein, wird Wolodja Scharapow, so der Name des Kriminalbeamten, von ihnen verhört: Wer er sei, wie er ins Gefängnis geraten sei, was er davor gemacht habe. Als Wolodja sagt, er habe in Restaurants Klavier gespielt, soll er ein Stück zum Besten geben. Er spielt eine Etüde von Chopin. Die Banditen scheinen wenig überzeugt. „Was soll ich denn sonst spielen?“, fragt Wolodja. „Murka!“, kommt es wie aus der Pistole geschossen.

Murka ist wohl das bekannteste russische Lied, das mit kriminellen Subkulturen und dem sogenannten russischen Chanson verbunden ist. Als Urheber gilt zwar der Dichter Jakow Jadow (1873–1940), das Lied existiert aber in zahlreichen Varianten und gehört eher zum allgemeinen Liedgut. Wenn es auch in Details, Reimen und im Text Unterschiede gibt, bleibt das generelle Sujet des Liedes stets unberührt: Es geht um Liebe, Verrat und Tod.

Sujetwandel

Murka ist ein üblicher Name für Katzen, eine Lautmalerei, denn mur-mur machen Katzen auf Russisch. Außerdem ist Murka ein – vielleicht auch wegen des Liedes derzeit eher unüblicher – weiblicher Kosename, abgeleitet von Maria (Mascha, Marusja). 
In der vermutlich älteren Varianten des Liedes, die der russische Volkskundler und Liedersammler Wladimir Bachtin entdeckt hatte1, war kein Bezug auf die kriminelle Welt vorhanden: Das lyrische Ich, das mit Murka in einer Beziehung war, sieht diese im Restaurant tanzend mit einem Hallodri, lauert ihr dann vor ihrem Haus auf, und erschießt sie: „Du hast mich geliebt, dann hast du mich vergessen / und dafür bekommst die Kugel“, lauten die letzten Zeilen des Liedes.

Schon seit den 1920er Jahren kursieren aber Versionen, in denen Murka zur kriminellen Autorität einer Bande in der südlichen Hafenstadt Odessa wird. Mal wird ihre Schönheit besungen, mal ihre List und ihr Mut. Einmal gehen die Mitglieder der Bande auf Diebeszug in ein Restaurant, wo sie Murka sehen – mit Agenten des Moskauer Kriminalamtes und mit einer Nagant Pistole – ein Kennzeichen der sowjetische Polizei. Ähnlich wie in der nicht-kriminellen Variante des Liedes wird Murka am Ende umgebracht: „Stumme Stille, nur der Wind heult / Wir fanden eine verborgene Ecke / und haben Murka in ihrer Lederjacke [auch ein Kleidungsstück, das für die Geheimpolizei in der Sowjetunion sehr typisch war – dek] umgebracht ... / Der rote Kamm ist aus dem Haar gerutscht“, so eine der Varianten.

Murka – MUR – Moskauer Kriminalamt

Berühmt wurde das Lied in dieser kriminellen Variante. Der Name Murka steht hier auch für die russische Abkürzung des Moskauer Kriminalamtes: Moskowski ugolowny rosysk, kurz: MUR.

Immer wieder werden Versuche unternommen, die „reale Grundlage“ des Liedtextes aufzudecken. In manchen Varianten wird Murka sogar namentlich genannt, nämlich als Marusja (Maria) Klimowa („Murka, Marusja Klimowa, verzeih deinem Geliebten!“). Die Boulevardzeitung Sowerschenno sekretno (dt. „Streng geheim“) veröffentlichte Artikel über die einzige bekannte Maria Klimowa, geb. 1897, die im Moskauer Kriminalamt tätig war und als Kapitän der Miliz beurlaubt wurde.2 Ob sie mit dem Lied etwas zu tun hat, ist allerdings höchst umstritten, und selbst wenn, bleibt Murka eher eine folkloristische als reale Figur, die ein ganz eigenes Leben in der sowjetischen und auch postsowjetischen Kultur entfaltet hat.3

Obwohl es um Kriminelle und Banditen geht, und das Lied voller Jargonwörter ist, die nicht einmal jeder Muttersprachler kennt, ist der Chanson weit über die Grenzen der kriminellen Subkultur hinaus beliebt. Wladimir Bachtin meint, „die Intelligenzija erlebe seine Ungewöhnlichkeit, Exotik, erlebe es ästhetisch“.

Da ist nicht nur die Grundlage des Sujets, die manch gebildeten Zuhörer sicher an Carmen erinnert oder an die Gestalt von Katka aus dem revolutionären Poem Zwölf von Alexander Blok.4 Sondern da ist auch die Tango-Melodie, die zur Grundlage auch für viele andere blatnyje Chansons geworden ist, und der Text selbst: einfache, nicht stilisierte Wörter, lebendige Intonationen.

Zeichen der Zugehörigkeit

Das Lied wurde dementsprechend nicht nur von „russischen Chansonniers“, wie Grigori Leps und Michail Schufutinski, sondern auch von Schlager- und Popsängern sowie Symphonieorchestern interpretiert. Erhalten geblieben sind ebenfalls Murka-Aufnahmen von Wladimir Wyssozki. Auch Politiker wie Wladimir Shirinowski, Natalja Poklonskaja und, nach eigenen Angaben, Wladimir Putin5 gaben den Chanson zum Besten. Somit ist Murka nicht nur Teil der kriminellen Subkultur, sondern auch der Pop-, und sogar der internationalen Klassikkultur sowie ein Element des politischen Lebens.

Als Wolodja, der Protagonist des eingangs erwähnten Filmes, Murka auf dem Klavier vorspielt, wird er sofort als ein Krimineller akzeptiert. Im Film führt das Kriminalamt am Tag darauf einen Spezialeinsatz durch, bei dem die gesamte Bande festgenommen wird. In gewisser Hinsicht schließt sich hier der Kreis: Der Kriminalbeamte rächt im Film den im Lied begangenen Mord an einer seiner Kolleginnen. Ob es bei den Darbietungen des Liedes von russischen Politikern um eine Message an die Wählerschaft gehen soll, ist unklar. Wenn ja, kann sie sicher nicht eindeutig interpretiert werden. Einerseits kann es heißen: Wir sprechen dieselbe Sprache wie ihr und gehören zur gleichen Kultur. Andererseits: Passt auf, es geht um einen Sondereinsatz. So oder so, an der Beliebtheit des Liedes ändert es nichts.

 


1. Bachtin, Wladimir (1997): „Murkina“ istorija, in: Neva, Nr. 4, S. 129
2. Sovsekretno.ru: Murka iz MURa
3. Das Sujet lag auch der gleichnamigen Serie „Murka“ zugrunde, die 2016/2017 im Ersten Kanal gezeigt wurde.
4. Nikolaeva, T. M.: Russkaja ženščina v gorodskom (blatnom) šansone, in: Fol'klor i postfol'klor: struktura, tipologija semjotika
5. NTV: „Ja že vydajuščijsja muzykant“: Putin rasskazal kak igral „Murku“
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