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SWR – Die russische Auslandsaufklärung

In der deutschen Öffentlichkeit ist es seit geraumer Zeit still um den zivilen russischen Auslandsgeheimdienst SWR – Slushba Wneschnei Raswedki (dt. Dienst der Außenaufklärung). Traditionell erhält der FSB, der größte der russischen Geheimdienste, die meiste mediale Aufmerksamkeit. Neben der schieren Größe an Personal, Ressourcen und Vollmachten ist dafür auch die Vergangenheit von Wladimir Putin verantwortlich: Der russische Präsident war erst Offizier des sowjetischen KGB und später Chef von dessen Nachfolger FSB. Das häufige Geraune über seine „special relationship“ zum FSB lässt sich jedoch nicht beweisen.
Eines der bekanntesten Beispiele für die verzerrte Wahrnehmung russischer Nachrichtendienste ist der Fall Skripal: Nach dem Giftanschlag auf den ehemaligen GRU-Offizier waren zahlreiche Stimmen zu vernehmen, die vorschnell den FSB mit dem Attentat in Verbindung brachten. Dass dieser aber nur unter besonderen Umständen im Ausland aktiv wird, blieb dabei völlig außen vor. Nur wenig später kam dann der tatsächliche Urheber an die Öffentlichkeit: der Militärgeheimdienst GRU. Nur vom SWR sprach niemand, mal wieder. Den von Sergej Naryschkin geleiteten russischen Auslandsgeheimdienst dürfte es gefreut haben. Denn erfolgreiche Spione stehen selten (gerne) im Rampenlicht.

Entstehung des SWR

Wie der gesamte Sicherheitsapparat im heutigen Russland, hat der SWR seine Wurzeln in der Sowjetunion. Offiziell gegründet wurde er im Dezember 1991, als „Auslagerung“ aus dem KGB. Dessen Erste Hauptverwaltung PGU (Perwoje glawnoje urpawlenije) war für die Auslandsarbeit zuständig gewesen. Die PGU wurde nun zum SWR. 
Die Neuformierung des Sicherheitsapparates war eine Reaktion auf den Augustputsch 1991, an dem sich maßgeblich auch der damalige KGB-Vorsitzende Wladimir Krjutschkow beteiligte: bis 1985 Leiter der PGU. Der KGB wurde aufgelöst, verschiedene Aufgaben beziehungsweise Abteilungen wurden als eigenständige Behörden etabliert. Dazu gehörten der Inlandsgeheimdienst FSB und eben die Auslandsaufklärung SWR.
Der erste SWR-Chef war von 1991 bis 1996 Jewgeni Primakow, der schon zuvor als Diplomat inoffiziell für die PGU gearbeitet hatte. Primakow führte die neue Auslandsaufklärung einerseits in die neue politische Ordnung der jungen Russischen Föderation, andererseits hielt er aber fest an Personal, Mitteln und Methoden, die vom sowjetischen Erbe geprägt waren. Dasselbe galt auch für Primakows Nachfolger Wjatscheslaw Trubnikow (1996-2000) und Sergej Lebedew (2000-2007), die ebenfalls eine KGB-Vergangenheit hatten. 

Struktur des SWR

Der zivile russische Auslandsgeheimdienst hat heute mindestens 15.000 Mitarbeiter und damit rund 5000 mehr als in den 1990er Jahren.1 Seine Zentrale befindet sich in der südwestlichen Moskauer Vorstadt Jassenewo, wo schon die PGU seit den 1970er Jahren residierte.
Dem Direktor des SWR stehen heute nicht nur ein administrativer Stab sowie ein davon getrennter Beraterstab und Staatssekretär zur Seite. Ihm unterstehen auch das Kollegium des SWR sowie ein Erster und vier weitere Stellvertreter.2 Dem Kollegium und einem der Stellvertreter (für operative Angelegenheiten) sind unter anderem die wichtigsten operativen Abteilungen zugeordnet: für „Analyse und Information“, „Äußere Gegenaufklärung“, „Wissenschaftlich-Technische Aufklärung“ und „Wirtschaftsaufklärung“. 

Aufgabengebiete

Die Arbeitsgebiete des SWR haben sich seit den Zeiten des Kalten Krieges genauso wenig verändert wie die maßgeblichen Zielregionen und Doktrinen. Der SWR ist eben ein „klassischer Geheimdienst“ wie sein Vorgänger PGU. Das heißt, seine grundlegende Aufgabe ist die Informationsbeschaffung im Ausland. 

Dabei ist der SWR sowohl in der politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlich-technischen sowie militärischen Aufklärung aktiv. Darüber hinaus betreibt er auch weiterhin Konkurrenzspionage, auch um (halb-)staatlichen russischen Unternehmen einen Technologievorsprung zu verschaffen. Was im alten KGB-Jargon „aktive Maßnahmen“ (russ. aktiwnyje meroprijatija) genannt wurde, betreibt der SWR heute weiter als „Einflussoperationen“, auch als „Informationskrieg“ oder „hybride Kriegsführung“ bezeichnet. Die Beeinflussung von politischen Ereignissen, aber auch die Manipulation der öffentlichen Meinung im Ausland ist nach wie vor ein genuines und von der Politik mandatiertes Aufgabengebiet des SWR. 
Ähnlich wie die alte KGB-Aufklärung während des Kalten Krieges, ist der SWR auch heute weltweit aktiv. Dies entspricht dem russischen Selbstverständnis als politische und wirtschaftliche Weltmacht auf Augenhöhe mit den USA oder China. Der russischen Sicherheitsdoktrin folgend, sind die USA und NATO für den SWR die Gegner und Aufgabengebiet № 1, gefolgt von Europa, China und dem internationalen Terrorismus.3 

Nachrichtendienstliche Methoden

Die Methoden, auf die der SWR bei seiner Arbeit nachweislich zurückgreift, weisen auch heute noch teilweise erstaunliche Parallelen zur Arbeit des KGB im Kalten Krieg auf. HUMINT (human Intelligence), also das Anwerben, Einschleusen und Führen von menschlichen Quellen, nimmt für den SWR nach wie vor einen hohen Stellenwert ein. Als die US-amerikanische Spionageabwehr des FBI 2009/10 einen russischen Spionagering aushob, waren Experten überrascht über den hohen Aufwand, der für dessen Aufbau und Betrieb betrieben worden war.4 
In Deutschland wurden 2011 zwei sogenannte illegale Agenten des SWR verhaftet: ein Ehepaar mit den Tarnidentitäten Heidrun und Günther Anschlag. Die sogenannten Illegalen waren schon eine Methode der sowjetischen Aufklärung, bei der Agenten über mehrere Drittstaaten und Identitäten in ein Zielland eingeschleust wurden, wo sie ihre letztendliche Identität annahmen und Aufklärungsaufträge ausführten.5 Auch Heidrun und Günther Anschlag trainierten ab den 1970er Jahren bei der PGU, um 1989 wurden sie dann über Südamerika und Österreich nach Deutschland geschleust. Rund 20 Jahre führten sie hier eine unscheinbare bürgerliche Existenz, während sie gleichzeitig unter anderem Quellen der russischen Aufklärungen aus dem niederländischen Militärsektor trafen und Informationen nach Moskau übermittelten.6 
Eigentlich galt diese Methode, bei der Aufwand und Nutzen selten in einem nachweisbar angemessenen Verhältnis standen, nach dem Ende des Kalten Krieges als obsolet. Doch offensichtlich hatte sich der SWR niemals von diesem Programm verabschiedet, womit er heute zumindest ein breitgefächertes Instrumentarium des Spionage-Handwerks bieten kann. 
Dies gilt auch für die Arbeit der sogenannten Legalresidenturen. Im Gegensatz zu Illegalen werden darunter Büros und Mitarbeiter des SWR verstanden, die in offiziellen Auslandsvertretungen Russlands tätig sind.7 Obgleich diese dem Gastland selten wirklich verborgen bleiben, nutzt vor allem der SWR weiterhin seine Legalresidenturen als Ausgangsbasis für seine weltweite Arbeit.

Kryptologie – Verschlüsselung und Entschlüsselung

Dass der SWR bei seiner Arbeit eine manchmal erstaunliche Kontinuität mit seiner sowjetischen Vergangenheit aufweist, heißt jedoch nicht, dass er das digitale Zeitalter verschlafen hat. So kommunizierte das Ehepaar Anschlag über hochmoderne Kommunikationskanäle, die erst durch die westlichen Nachrichtendienste GCHQ und NSA geknackt werden konnten. Laut dem niederländischen Geheimdienst sollen außerdem auch die in den letzten Jahren zu Berühmtheit gelangten Hackergruppen ATP29 oder Cozy Bear zum SWR gehören.8 
Kryptologie war schon zu Sowjetzeiten eine Stärke des KGB. Wegen der Wirtschaftskrise wurde sie in den 1990er Jahren zwar kaum geheimdienstlich genutzt, heute bedienen sich jedoch auch das russische Militär und der Sicherheitsapparat aus diesem Arsenal der Informationssicherheits-Technologie.9 Dass in den russischen Diensten laut dem ehemaligen FSB-Chef Nikolaj Kowaljow des Öfteren per Hand oder Schreibmaschine geschrieben wird, um ein elektronisches Entwenden sensibler Dokumente zu verhindern10, sollte nicht über deren IT-Fähigkeiten hinwegtäuschen.

Der SWR im politischen System Russlands

Anders als in den 1990er Jahren wird der SWR seit 2007 von Zivilisten ohne vorherige Geheimdienst-Erfahrung geleitet. Ähnlich wie die SWR-Chefs Sergej Lebedew (2000–2007) oder Michail Fradkow (2007– 2016), stammt auch Sergej Naryschkin aus der politischen Entourage um Präsident Putin. Vor seinem Amtsantritt beim SWR absolvierte Naryschkin Stationen in verschiedenen hohen Regierungsstellen. 

Seit Oktober 2016 Leiter des Auslandsgeheimdienstes – Sergej Naryschkin / Foto © kremlin.ru

Dass der Auslandsgeheimdienst nicht nur von einem Vertrauten des Präsidenten, sondern auch von einem Zivilisten mit Erfahrung in den politischen Schaltzentralen des Landes geführt wird, verdeutlicht die Rolle des SWR im System Putin: Einerseits ist der Auslandsgeheimdienst eine feste Größe im politischen Prozess, soll diesen mit Informationen unterstützen und sich ihm unterordnen. Dafür braucht es einen Polit-Profi, der weiß, welchen Input die Entscheidungsträger erwarten. Andererseits soll der Dienst keinesfalls eine übermächtige Stellung einnehmen, soll in Konkurrenz zu anderen Sicherheitsbehörden gehalten und niemals ein eigenständiger politischer Akteur werden.11 Der SWR ist somit eher ein Vehikel und Instrument russischer Außenpolitik, nicht jedoch deren kreativer Urheber und Gestalter. Dafür jedenfalls gibt es kaum Anzeichen.12

Ein entscheidendes Merkmal des SWR im politischen System Russlands ist dessen Konkurrenz zum militärischen Geheimdienst GRU und dem Inlandsgeheimdienst FSB.13 Dies drückt sich vor allem durch die Doppelungen von Aufgaben aus: So beschaffen beispielsweise sowohl SWR als auch GRU militärische Informationen im Ausland, beide führten in Vergangenheit Hackerangriffe in den USA oder Europa aus, und sowohl SWR als auch FSB und GRU fielen durch Desinformations- und Einflussversuche in der Ukraine oder in Westeuropa auf. 

Außerdem verfügt offenbar auch der SWR über eine eigene mehrere hundert Mann starke Spezialeinheit, genannt Saslon. Diese soll der Nachfolger der PGU-Elitetruppe Wympel sein und den berüchtigten SpezNas-Truppen der GRU ähneln. Im Vergleich dazu soll Saslon laut offiziellen Angaben allerdings nicht für spezielle Sabotage- und Aufklärungsmissionen konzipiert worden sein, sondern als Sicherungs- und Eingreiftruppe für russische Auslandsvertretungen. 
Im Gegensatz zu den oft aufsehenserregenden Spezialeinsätzen von GRU und FSB ist über ähnliche Aktivitäten des SWR wenig bekannt. Irgendwie schafft es der Geheimdienst immer noch unter dem Radar und im Kielwasser des FSB zu schwimmen. Dies hat jedoch wenig mit seinen realen Fähigkeiten zu tun.


1.vgl.: Verfassungsschutzbericht 2017, S. 303; BfV-Themenreihe (2008): Spionage gegen Deutschland: Aktuelle Entwicklungen, S. 5f. 
2.vgl.: svr.gov.ru: Struktura SVR Rossii 
3.vgl.: Meister, Stefan/Puglerin, Jana (2015): Perzeption und Instrumentalisierung: Eine Serie zu Russlands nicht-militärischer Einflussnahme in Europa, DGAPkompakt 10 
4.vgl.: The New York Times: ‘Illegals’ Spy Ring Famed in Lore of Russian Spying 
5.vgl. ausführlich zu den „Illegalen“: Mitrochin, Wassily (2002): KGB-Lexicon: The Soviet Intelligence Officer’s Handbook, London et. al., S. 74; Gordievsky, Oleg (1995): Next Stop Execution (autobiography), London, S. 133-135 
6.Die Welt: „Russische Agenten wegen Militär-Spionage angeklagt“ 
7.Verfassungsschutzbericht 2017, S. 274-278 
8.De Volkskrant: Dutch agencies provide crucial intel about Russia's interference in US-elections 
9.vgl: Die Welt: Hacken fürs Vaterland 
10.Spiegel online: „Russischer Geheimdienst FSO setzt auf Schreibmaschinen“ 
11.Galeotti, Mark (2016): Putin's Hydra: Inside Russia's intelligence Services, European Council on Foreign Relations 
12.ebd.; auch: Rochlitz, Michael (2018): Die Macht der Silowiki: Kontrollieren Russlands Sicherheitsdienste Putin, oder kontrolliert er sie?, in: Russland-Analysen Nr. 363, S. 2-6 
13.vgl: Nehring, Christopher: GRU – russischer Militärgeheimdienst, ders.: FSB; Galeotti, Mark (2016): Putin's Hydra: Inside Russia's intelligence Services, European Council on Foreign Relations 
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