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Olga Skabejewa

Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt. 

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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Russischer Bürgerkrieg

Der russische Bürgerkrieg, der nach dem Oktoberumsturz ausbrach, veränderte den eurasischen Großraum zwischen Berlin und Wladiwostok, Budapest und Peking, Murmansk und Teheran tiefgreifender als der Erste Weltkrieg. Er bildete den Kern einer Weltrevolution, die dem 20. Jahrhundert ihren (selbst)zerstörerischen Stempel aufdrückte. In der Erinnerungslandschaft Russlands und Europas hat der Krieg seinen Platz allerdings noch nicht gefunden. Seiner angemessen zu gedenken bedeutet zugleich, ihn nicht länger wie eine Randglosse zu der Friedensordnung zu betrachten, die nach dem Ersten Weltkrieg in Versailles und anderen Pariser Vororten ausgehandelt wurde.


Am 25. Mai 1918 traf an der Bahnstation der Wolgastadt Samara um 23 Uhr aus Moskau ein Befehl an alle „Räte“ und „örtlichen Kriegskommissare“ entlang der Strecke Pensa – Omsk ein. Unter Androhung drakonischer Strafen, sollten „die Tschechoslowaken“ unverzüglich „entwaffnet werden“. Jeder, der unter Waffen angetroffen würde, sei standrechtlich zu erschießen und seine Einheit in ein Kriegsgefangenenlager zu verbringen. Wer seiner Pflicht nicht nachkam, sollte wegen „ehrlosen Verrats“ zur Rechenschaft gezogen werden. Kein einziger Waggon mit tschechoslowakischen Soldaten durfte nach Osten passieren.

Ein Befehl und seine Folgen

Den Aufruf zur Gewalt gegen Bürger der damaligen Donaumonarchie unterzeichnete Lew Trotzki, Volkskommissar für Militärangelegenheiten der bolschewistischen Revolutionsregierung. Die Tschechoslowaken hatten im Weltkrieg an der Seite Russlands und der Alliierten gekämpft. Teile dieser „Legion“ gerieten 1917 in die revolutionären Wirren. Moskau war mit dem Friedensvertrag von Brest-Litowsk aus dem Krieg ausgeschieden, und die Tschechoslowakischen Corps wollten nun über den Fernen Osten an die Westfront gelangen. Dort wollten sie an der Seite Frankreichs für den Sieg der Alliierten gegen die Mittelmächte, vor allem aber für einen eigenen Staat weiterkämpfen. Sie vereinbarten mit Wladimir Antonow-Owsejenko, dem Kommandeur der Roten Garden im Süden, freies Geleit bei gleichzeitiger Teilentwaffnung. Indessen gerieten tschechoslowakische Einheiten, die sich bereits auf dem Weg nach Sibirien befanden, entlang der Bahnlinie wiederholt in Scharmützel mit probolschewistischen Truppen.

Trotzkis Befehl spitzte die Lage extrem zu. In der Legion kehrte sich die Stimmung endgültig gegen die Bolschewiki. Die Tschechoslowaken  waren an der Eroberung von Wolgastädten beteiligt, in denen kurzfristig oppositionelle Sozialisten die Macht übernahmen. Ein Schulterschluss mit den Truppen des Admirals der Weißen Armee in Sibirien, Alexander Koltschak, kam allerdings im Herbst 1918 trotz eines Appells der Alliierten nicht zustande.

Säkulare Katastrophe

Die Episode mit der Tschechoslowakischen Legion war symptomatisch für die Eskalation der Gewalt beim Übergang vom äußerem zum inneren Krieg. In Bürgerkriegen wird stets um vieles zugleich gekämpft – um „Freiheit“, „soziale Gerechtigkeit“, „wahre Demokratie“, „nationale Selbstbestimmung“ und staatliche Unabhängigkeit. Frieden kann es erst geben, wenn alle Kräfte erschöpft sind und eine Macht sich zum Sieger erklärt. Wohl hatten die Bolschewiki allen politischen Gegnern den Krieg erklärt. Aus ihrer Sicht wurde ein „Krieg der Klassen“ geführt, in dem die Partei des historischen Fortschritts unbedingt triumphieren musste. Vieles spricht allerdings dafür, dass der Bürgerkrieg längst im Gange war, als sie die Macht im Oktober 1917 eroberten. In Briefen und Tagebüchern, Erzählungen und Romanen, Presseberichten und diplomatischen Depeschen spiegeln sich unverbundene Ereignisse an weit verstreuten Orten, die scheinbar einzig von „Anarchie“ und „Chaos“ zeugten. An welcher Stelle auch immer man sich diesem Geschehen nähert, sie führt ins Zentrum einer säkularen Katastrophe.

Bürgerkrieg: total, global, brutal

Im Unterschied zum „Großen Krieg“ breitete sich der Bürgerkrieg über das gesamte Territorium des untergegangenen Zarenreiches aus. Der Bürgerkrieg erfasste Russland schrittweise, sowohl vom Zentrum aus als auch von der Peripherie. Er war „total“, weil er alle Ressourcen des Landes aufbrauchte, und „global“, weil er über Europa und Nordasien hinaus in transatlantische und transpazifische Regionen ausstrahlte. Anstelle einer Demobilisierung sickerten die Weltkriegswaffen in die zivilen Räume des weitläufigen Hinterlandes, aufgerüstet durch Zukäufe aus Mitteln erbeuteter Teile des Staatsschatzes, geplünderter Industriebetriebe und den Bauern abgepresster Lösegelder. Bruchlos verschoben sich die Kämpfe von den Weltkriegsfronten ins Landesinnere und verstrickten verbliebene oder neuentsandte reguläre Truppen ausländischer Mächte in diesen „anderen“ Krieg.Propagandaplakat der Koltschak-Armee

Was Deutsche, gefolgt von Briten, Franzosen, Amerikanern und Japanern in ihm gewinnen wollten, war zunehmend unbestimmter. Zu ihnen gesellten sich internationale „rote“ Brigaden, angeworbene Kriegsgefangene, lettische Schützen und chinesische Söldner. Die Trennungslinie zwischen Hinterland und Front löste sich auf. Deportation, Vertreibung, Geiselnahme und Pogrom, nicht unbekannt schon im Weltkrieg, häuften sich in den regellosen Kämpfen, verstärkt durch eine Propaganda, die überall „innere Feinde“, „Verräter“ und „Spione“ wähnte.

Selbstlos und tapfer gegen das Böse

Auf allen Seiten gehörte der Typus des „Freiwilligen“ zu den wirksamsten Leitbildern. Er kämpfte „selbstlos“ und „tapfer“ gegen „das Böse“ in all seinen Schattierungen. So kämpfte ein „roter“ Freiwilliger gegen den „Klassenfeind“ des „Proletariats“, gegen die „Söldner“ der Entente, gegen Gutsbesitzer, Kapitalisten, Generäle und Popen. Was dies in letzter Instanz meinte, erklärte ein Flugblatt vom Kriegskomitee des Gouvernements Wjatka aus dem Jahre 1918: „Jeder Bauer und jeder Arbeiter, der den Weißen hilft, hilft seinen schlimmsten Feinden und verrät die Sache des Volkes.“

Bei den „Weißen“ erscheint der Freiwillige als stolzer Ritter. Dieser erhebt das Schwert gegen „jüdische Kommissare“, „chinesische Tschekisten“ oder „unrussische“, „ehrlose“, „heimatlose“, „gottlose“, „schmutzige“, „zu Tieren verkommene“ Bolschewiki, nicht zuletzt aber auch gegen die Feinde des „einigen, unteilbaren Russlands“, gegen „Nationalisten“ und Abtrünnige wie die „Ukrainisierenden“.

„Die Weißen geben nur ein Pfund, aber uns gibt man zwei Pfund“

Wie bei einem Eisenbahnzug gab es indessen nicht nur Fernreisende, sondern ein ständiges Ein- und Aussteigen. Truppenkommandeure beklagten Verluste von bis zu 80 Prozent durch Desertion. Selbst „Sperrabteilungen“ aus zuverlässigen Soldaten, die mit Maschinengewehren hinter den Frontlinien postiert waren, konnten auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs im Sommer 1919 den Sog zur Flucht nicht bremsen. Eine Instruktion des Revolutionären Kriegsrats der 13. Armee warnte: „Einheiten können und müssen in ihrer Gesamtheit untergehen, aber sie dürfen nicht zurückweichen.“ Die Rote Armee sah sich einem erbitterten Guerillakrieg ausgesetzt, der nach dem offiziellen Ende des Bürgerkriegs 1921 andauerte. Erst Massenerschießungen, die Einrichtung von „Konzentrationslagern“ und kollektive Strafaktionen, die ganze Dörfer verheerten, brachen den bäuerlichen Widerstand.

Auch die Weißen Armeen kannten Massendesertion. Ein Rotarmist notierte am 13. Juni 1919: „Jeden Tag laufen weiße Offiziere zu uns über, weil sie bei denen kein Brot haben. Die Weißen geben nur 1 Pfund, aber uns gibt man 2 Pfund.“ Es bedurfte hartnäckiger Überzeugungsarbeit, fanatische weiße Offiziere davon abzuhalten, Kriegsgefangene oder übergelaufene Rotarmisten unterschiedslos erschießen zu lassen. General Lawr Kornilow hatte schon im Januar 1918 die Losung ausgegeben, im Kampf gegen die Bolschewiki „keine Gefangenen zu machen“.

Die Bilanz der menschlichen Katastrophe, die Russland zwischen 1914 und 1921 erlebte, ist nur ungefähr zu beziffern: Krieg, Terror, Epidemien, und Hunger forderten schätzungsweise zwölf bis dreizehn Millionen Opfer. Heerscharen von Waisen und Versehrten, Flüchtlingen und Obdachlosen bevölkerten Städte und Dörfer, die in archaische Lebensformen zurückfielen. Die Industrie lag am Boden, die Landwirtschaft war zerrüttet. Aus dem jahrelangen Ausnahmezustand resultierte ein latentes Überlebenssyndrom, das jederzeit abrufbar war, etwa mittels Kampagnen gegen innere und äußere „Feinde“. In der Nachkriegsgesellschaft hielt sich eine militarisierte Sprache, die das Unbedingte und Alternativlose betonte. Zu den Verlusten gehören aber auch die zahllosen Emigranten und Exilierten, die einen lange nachwirkenden Aderlass an Expertise und Wissen bedeutete. Nach Schätzungen waren dies bis zu drei Millionen aus Russland – meist Militärs, Kosaken, Geistliche, Adelige, Staatsbedienstete, Unternehmer und Geistesschaffende mit ihren Familien. Rechnet man Bewohner ehemaliger Reichsteile hinzu, liegt die Zahl noch deutlich höher.

Bürgerkrieg der Erinnerung

Was hielten die Zeitgenossen von diesem heillosen Krieg im öffentlichen Gedenken wach und gaben es an nachfolgende Generationen weiter? Denkmäler wurden zur Sowjetzeit lediglich für Rotarmisten und an Erinnerungsorten siegreicher Gefechte errichtet. In der weltweit verstreuten Emigration wurde eine Gegenüberlieferung gepflegt. Die sozialen, kulturellen, nationalen, ethnischen, religiösen und regionalen Gegensätze lösten sich indessen im Kosmos sowjetischer Werte nicht einfach auf. Sie überdauerten das Ende des Bürgerkriegs und seine Wiederauflage in der Modernisierungsschlacht Stalins. Der große Sieg im Zweiten Weltkrieg überwölbt das Erbe, ohne es bewältigen zu können. Latent wirkt es bis heute fort.

Versuche, nach dem Ende des Kalten Krieges eine Brücke zu schlagen, sind nur partiell vorangekommen. Das Projekt eines Denkmals der Versöhnung, das 2017 zum 100. Jahrestag der Revolution auf der Krim errichtet werden sollte, wurde zurückgestellt. Es war nicht nur umstritten, weil es Unvereinbares zusammenführen und allen Seiten gleichermaßen einen „Dienst am Vaterland“ zugestehen wollte, sondern offenkundig auch gesellschaftlich unzureichend vorbereitet. Die wissenschaftliche Forschung der vergangenen drei Jahrzehnte kann nicht aufwiegen, was an schulischer und öffentlicher Vermittlung ausgeblieben ist. Sie hat aber vor Augen geführt, dass in die Bilderwelt des „neuen Dreißigjährigen Kriegs“ maßgeblich Motive des russischen Bürgerkriegs einflossen. Zeitgenossen rekapitulierten die Apokalyptischen Reiter und den Leviathan, verstanden sie als gültigen Ausdruck ihrer individuellen und kollektiven Erfahrung, als Zeichen überwältigender Bedrohung.

Ansonsten würdigen neue Denkmäler der postsowjetischen Zeit auch einzelne Persönlichkeiten der Weißen, meist in der Provinz, aber mit Unterstützung der Zentralregierung. Ebenso wurden für Gefallene der „Legion“ Monumente errichtet oder Gedenktafeln angebracht, die  auf die gemeinsame Initiative der tschechischen und der slowakischen Regierung mit russischen Regionalbehörden zurückgehen.

Bipolare historische Wahrnehmungsmuster

Wohl niemand zweifelt daran, dass eine Auseinandersetzung mit dem hochbelasteten Erbe, das Familien spaltete, Freundschaften zerriss, Nachbarn verfeindete, ganze Bevölkerungsgruppen verfemte und unersetzliche Kulturschätze vernichtete, schmerzlich sein muss. Soll diese Vergangenheit ruhen? Die Überlebenden richteten sich unter den „Siegern“ ein, gingen ins Ausland oder wurden dorthin vertrieben. Wer blieb und anderer Meinung war, schwieg oder verleugnete sich.

„Dialogisches Erinnern“ könnte die Asymmetrie im historischen Gedächtnis aufheben, wenigstens jedoch einen „Konsens im Dissens“ (Aleida Assmann) anstreben. Verordnet werden kann das nicht. Bipolare historische Wahrnehmungsmuster, die vor allem zwischen „Siegern“ und „Verlierern“ oder „Helden“ und „Schurken“ unterscheiden, werden einer Tragödie, wie sie der Bürgerkrieg gewesen ist, ebenso wenig gerecht wie eine Reduktion des Bürgerkrieges auf seine militärischen Aspekte. Vielmehr erfordern die erbitterten Kämpfe um Ideen und Utopien sowie die darin mehrfach gebrochenen Biographien, in denen „Opfer“ zu „Tätern“ wurden und umgekehrt, eine Überwindung der Sprache einer brutalen und erbarmungslosen Epoche. 
 

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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)