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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Stalins Tod

Am 6. März 1953 stand die Wahrheit in der Prawda. Die Welt erfuhr, dass der Führer der Werktätigen am Vortag nach schwerer Krankheit verschieden sei. Auch wenn das „Herz des Kampfgefährten und genialen Fortsetzers der Sache Lenins“ zu schlagen aufgehört habe, versicherten die obersten Organe des Parteistaates, werde Stalin „immer in den Herzen des sowjetischen Volkes und der gesamten progressiven Menschheit“ fortleben. Wie Lenin rund 30 Jahre zuvor, sollte nun auch sein treuester Schüler im Säulensaal des Hauses der Gewerkschaften aufgebahrt werden, um seinen Anhängern Gelegenheit zum Abschied zu geben.1 Dieser einträchtigen Trauer waren allerdings dramatische Tage vorausgegangen. 

Begonnen hatten sie am 28. Februar mit einem Kinoabend im Kreml. Für gewöhnlich saß Stalin an diesen Abenden mit seiner Entourage zusammen, zuletzt bestehend aus Nikita Chruschtschow, Lawrenti Berija, Georgi Malenkow und Nikolaj Bulganin. Diese Abende nahmen sich keineswegs erholsam aus: vielmehr waren sie informelle Zusammenkünfte des stalinistischen Machtzirkels, nicht selten gefolgt von ausgedehnten nächtlichen Gelagen auf der Lieblings-Datscha Stalins ganz in der Nähe Moskaus.2

Licht im Zimmer des Führers

Auch am 28. Februar fand man sich also nach der Filmvorführung zu einem späten Abendessen in Kunzewo ein. In ausgelassener Stimmung, so Chruschtschow in seinen Memoiren, verbrachten sie den letzten gemeinsamen Abend, bis Stalin seine Gäste gegen vier Uhr morgens zur Tür geleitete.3 Am nächsten Tag, einem Sonntag, wartete man dann allerdings vergebens auf Anweisungen. Erst am frühen Abend vermeldeten außerhalb des Hauses postierte Wachtposten Licht im Zimmer des Führers; indes sah der Sicherheitsdienst erst in der eingetroffenen Abendpost einen geeigneten Vorwand, gegen 23:30 Uhr nach Stalin zu schauen.

Entsetzen vor dem Tod

Nun war offenbar, dass es schlecht stand um den Diktator. Die engsten Vertrauten wurden informiert: Berija und Malenkow trafen noch in der Nacht auf den 2. März in Kunzewo ein, am frühen Morgen kam Chruschtschow mit einer Gruppe von Ärzten hinzu. Diese attestierten eine Hirnblutung.4 Es waren „schreckliche Tage“, erinnert sich Stalins Tochter Swetlana Allilujewa: „Die Atemzüge wurden immer kürzer und kürzer. In den letzten zwölf Stunden war es bereits klar, dass sich der Sauerstoffhunger vergrößerte. […] Die Agonie war entsetzlich, sie erwürgte ihn vor aller Augen. In einem dieser Augenblicke – ich weiß nicht, ob es wirklich so war, aber mir schien es jedenfalls so – offenbar in der letzten Minute öffnete er plötzlich die Augen und ließ seinen Blick über alle Umstehenden schweifen. Es war ein furchtbarer Blick, halb wahnsinnig, halb zornig, voll Entsetzen vor dem Tode und den unbekannten Gesichtern der Ärzte, die sich über ihn beugten […] – da hob er plötzlich die linke Hand (die noch beweglich war) und wies mit ihr nach oben, drohte uns allen.“5

Der König ist tot …

Der Kampf um die Nachfolge war längst in vollem Gange, als die Welt aus der Zeitung erfuhr, dass Stalin am 5. März gestorben sei und eine Begräbniskommission unter Chruschtschows Vorsitz die Beisetzung für den 9. März festgesetzt hatte. In den drei Tagen bis zu diesem Termin strömten Tausende zum Haus der Gewerkschaften, um sich von Stalin zu verabschieden. Da die begrenzten Besuchszeiten in keinem Verhältnis zu dem Andrang standen, seien mindestens 109 Menschen erstickt oder einfach totgetrampelt worden, was Chruschtschow einige Jahre später preisgab.6

Die chaotischen Zustände im Zentrum Moskaus lassen sich geradezu als Metapher umfassender Überforderung verstehen, denn niemand wusste, was der Tod des Diktators für die Hinterbliebenen bedeuten würde. So herrschte denn auch bei vielen Opfern der stalinistischen Ordnung eine bedrückende Mischung aus Erleichterung und Trauer.7 Selbst Häftlinge in den Lagern des Gulag-Komplexes wollten den Nachrichten aus Moskau keinen rechten Glauben schenken und boten der sowjetischen Führung ihre Hilfe an. Von anderen Reaktionen berichtet der Insasse eines Lagers bei Workuta: „Wir hörten die Posten auf den Wachtürmen erregt miteinander telefonieren und bald darauf die ersten Betrunkenen lärmen.“8Unzählige verfolgten das letzte Geleit Stalins und erhofften sich neue Orientierung von den Grabreden / Foto © Manhoff Archives

Der Tod des Führers erwies sich als Wendepunkt des Personenkults. Ein Kult, der seit dem 50. Geburtstag Stalins die gesamte Sowjetunion und die sozialistischen Bruderländer zu erfassen begonnen und stets zu den runden Geburtstagen besondere Höhepunkte erfahren hatte. Das Ableben des Sakralisierten und die völlige Ungewissheit des Kommenden erzeugten somit im März 1953 eine außerordentlich widersprüchliche Atmosphäre. Während die einen von der Freiheit zu träumen wagten, erschien anderen ein Leben außerhalb des stalinistischen Koordinatensystems geradezu unvorstellbar. Wieder andere fürchteten gar eine noch schlimmere Zukunft. 

… es lebe der König

Am 9. März erwiesen das Präsidium und kommunistische Würdenträger aus dem Ausland Stalin das letzte Geleit. Unzählige verfolgten das Spektakel und erhofften neue Orientierung von den drei Grabreden, die Molotow, Berija und Malenkow hielten. Nicht zuletzt aufgrund ihrer politischen Funktionen – Außenminister, Innenminister und Vorsitzender des Ministerrates – standen diese drei für die neuen Machtverhältnisse. Die Alleinherrschaft Stalins erschien nunmehr als Triumvirat. 
Chruschtschow hatte demgegenüber lediglich die Begräbniskommission leiten dürfen, während er im selben Zeitraum das Amt als Moskauer Parteiführer einbüßte. Als einer von acht Sekretären sollte er das Zentralkomitee neu organisieren. In den nächsten Wochen konnte er allerdings aus dieser unscheinbaren Position seine Macht ausbauen. Chruschtschow folgte somit faktisch Stalin als Erstem Sekretär des Zentralkomitees nach, auch wenn er in dieses Amt erst im September 1953 offiziell gewählt wurde.

Sollte „Chruschtschow seinen Triumph vorhergesehen haben“, so resümiert der Historiker William Taubman den unwahrscheinlichen Aufstieg des Tauwetterpolitikers in spe, „dann muss er wirklich der einzige gewesen sein.“9 Nun ist es keine historische Seltenheit, dass sich in der Politik unterschätzte Personen durchsetzen. Und so erwies sich auch im Falle Chruschtschows gerade dieser Umstand als entscheidender Vorteil. Als eine weitere Überraschung sollte sich in den nächsten Jahren sodann erweisen, dass der neue Machthaber im Kreml 1956 öffentlich mit dem Personenkult Stalins abrechnete und damit die Verbrechen publik machte, in die auch er selbst verstrickt war. Das Sprechen über den Terror des Stalinismus hatte auf oberster Ebene begonnen – die Epoche der Entstalinisierung war angebrochen. 


1.Pravda, 6. März 1953, 1
2.vgl. etwa Chlevnjuk, Oleg (2015): Stalin: Žizn odnogo voždja, S. 23f.
3.Khrushchev, Sergei (2006): Memoirs of Nikita Khrushchev: Vol. 2: Reformer [1945-1964], S. 147
4.Die Darstellung folgt hier Gorlizki, Yoram/Khlevniuk, Oleg (2004): Cold Peace: Stalin and the Ruling Circle, 1945-1953, S. 162
5.Allilujewa, Swetlana (1967): Zwanzig Briefe an einen Freund, S. 19, 24f.
6.vgl. Chlevnjuk, Oleg (2015): Stalin: Žizn odnogo voždja, S. 428
7.vgl. Figes, Orlando (2008): Die Flüsterer: Leben in Stalins Russland, S.737-836
8.Applebaum, Anne (2003): Der Gulag, S. 502
9.Taubman, William (2003): Khrushchev: The Man and His Era, S. 241
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