In den 1980ern verschlechterte sich die Lage der sowjetischen Planwirtschaft Jahr für Jahr. Aufgrund von Fehlanreizen des Wirtschaftssystems und äußerer Faktoren wie dem Ölpreisverfall waren Konsumgüter oft rar. Als Gorbatschow die Krise ab 1985 durch punktuelle marktwirtschaftliche Reformen überwinden wollte, kam die sozialistische Ökonomie erst recht ins Straucheln.
Die Reformen der Perestroika unter Michail Gorbatschow gingen mit einer ökonomischen Krise einher, allerdings war der Politikwechsel nicht alleine für sie verantwortlich. Der wirtschaftliche Niedergang der Sowjetunion begann bereits unter der Führung Leonid Breshnews in der sogenannten Ära der Stagnation. Das extensive Wachstum der Nachkriegsjahre (mehr Rohstoffe und mehr Arbeitskräfte führen zu gesteigerter Produktion) kam ab Mitte der 1970er Jahre schrittweise zum Erliegen. Dabei wurden die strukturellen Probleme des zentral geplanten Wirtschaftssystems immer deutlicher.
Problematische Entwicklungen der Planwirtschaft
Eines davon war die mangelnde Innovationsfähigkeit. So konnten die USA bspw. ab den 1970ern große Produktivitätsfortschritte durch den Einsatz von Computern erzielen – eine Entwicklung, die in der Sowjetunion kaum Fuß fasste. Die unternehmerische Energie, die die Digitalisierung in den USA bei Pionieren wie Steve Jobs und Bill Gates freisetzte, konnte in der Sowjetunion systembedingt nicht zur Geltung kommen. Intensives Wachstum (gleiche Produktionsfaktoren führen zu mehr oder besserem Output) blieb aufgrund der Fehlanreize der Planwirtschaft aus1.
Außerdem setzte das System der zentralen Planung starke Anreize für die sowjetischen Betriebe und regionalen Parteikader, ihre Statistiken zu schönen und die Bilanzen zu frisieren. So wurden Produktionsmengen in schlechten Jahren aufgebauscht (pripiski) um nicht den zentralen Plan zu verfehlen, und in guten Jahren niedriger ausgewiesen, um eine höhere Zielvorgabe im nächsten Jahr zu vermeiden.
Die Unzuverlässigkeit der wirtschaftlichen Daten veranlassten Gorbatschows Vorgänger Juri Andropow während seiner Zeit als KGB-Chef sogar dazu, eine Art Wirtschaftsgeheimdienst einzurichten, um ein realistischeres Bild der tatsächlichen Lage der Unternehmen zu bekommen. Die staatlich festgelegten Preise hatten gleichzeitig zur Folge, dass die Signale der Nachfrage – welches Gut wie dringend und wo benötigt wird – nicht bis zu den Planern durchdrangen. Die Produktion wich daher von den Wünschen und Bedürfnissen der Bürger ab. Die Wirtschaft wurde vor allem auf die Herstellung von Maschinen und Rüstung und zu wenig auf die Bereitstellung von Konsumgütern ausgerichtet2.
Daneben ist indirekt auch die Ölkrise für die wirtschaftlichen Probleme der Sowjetunion in den 1980ern verantwortlich: In der Zeit der hohen Ölpreise in den späten 1970ern hatte sich die sowjetische Wirtschaft von Ölexporten abhängig gemacht. Die Deviseneinnahmen wurden verwendet, um Maschinen und Nahrungsmittel aus dem Ausland zu importieren. Als der Ölpreis in den frühen 1980ern deutlich fiel, fehlten diese Devisen. Die Sowjetunion häufte Auslandsschulden an und musste ihre Importe reduzieren3. Schließlich belastete den sowjetischen Haushalt, dass die lukrative Alkoholproduktion im Rahmen einer drastischen Anti-Alkoholismus-Kampagne stark zurückgefahren wurde. Gleichzeitig zehrte der Afghanistan-Krieg am Budget.
Gorbatschows Eingreifen
Es war Michail Gorbatschow, der die wirtschaftlichen Probleme der Sowjetunion in einer Rede im Mai 1985 als erster Generalsekretär in der Geschichte der Sowjetunion offen ansprach. Gorbatschows zentrale Forderung führte den Begriff der Perestroika ein und wurde gleichzeitig das berühmteste Zitat des Politikers: „Offensichtlich, Genossen, müssen wir uns alle umstellen [„perestraiwatsja“]. Alle.“
In der Folge versuchte die sowjetische Führung, die staatliche Wirtschaft zu flexibilisieren und durch privatwirtschaftliche Elemente zu ergänzen. Unter der Losung der Beschleunigung (Uskorenije) plante man parallel eine grundlegende Modernisierung aller Produktionsanlagen. Im Juli 1987 wurde es den Unternehmen erlaubt, ihre Produktion dem Bedarf der Abnehmer anzupassen und in der Beschaffung freie Preise auszuhandeln. Den Arbeitern wurde eine stärkere Selbstverwaltung der Unternehmen eingeräumt. Außerdem ermöglichte ein neues Gesetz zu Genossenschaften ab Mai 1988 zum ersten Mal seit den 1920ern in kleinem Umfang private Wirtschaftsorganisationen. Diese konnten durch die Abschaffung des staatlichen Außenhandelsmonopols auch im Ausland Geschäfte machen.
Die Perestroika-Krise
Obgleich zur Stärkung der Wirtschaft eingeführt, brachten diese späten Neuerungen die angeschlagene Wirtschaft nur zusätzlich aus dem Gleichgewicht. Die staatseigenen Betriebe konnten nun über vieles selbst entscheiden, ohne aber die finanzielle Verantwortung für ihre Entscheidungen zu tragen. Die Arbeiter bestimmten de facto ihre eigenen Gehälter, die 1989 und 1990 viermal schneller stiegen als die Produktivität. Um zu wachsen, vergaben viele Banken Kredite ohne eigene Reserven vorzuhalten, da auch ihre Risiken vom Staat getragen wurden. Das Ergebnis waren rapide steigende Verluste bei den Unternehmen, ein schnell wachsendes Haushaltsdefizit4 und galoppierende Inflation in den Jahren 1990 (19 %) und 1991 (200 %).5 Das sowjetische BIP schrumpfte alleine 1991 um 17 %6.
In den letzten beiden Jahren der Sowjetunion wurden zusätzlich Konsumgüter knapp. Das System der Warenverteilung war 1990 zum Erliegen gekommen, da Städte und Regionen aus Sorge vor einer Hungersnot ihre Produktion zurückhielten7. Selbst in den vergleichsweise gut versorgten Großstädten wurden Lebensmittelmarken für einige Produkte wie Seife oder Butter eingeführt. Bis Anfang 1992 die Preise freigegeben wurden, blieben die Regale der Läden oft leer und für Rubel war – außer auf dem Schwarzmarkt – wenig zu bekommen. Die eigentliche Währung dieser Zeit waren Beziehungen, das Wissen, wo es etwas zu kaufen gab, sowie die Ausdauer beim stundenlangen Anstehen.
Gorbatschows Reformen wurden nach dem Zerfall der Sowjetunion häufig mit den Erfahrungen von Goethes Zauberlehrling verglichen. Letztlich war der sowjetische Staat nicht in der Lage, die neu entfesselten Marktkräfte in geordnete Bahnen zu lenken. Trotzdem kann die Perestroika nicht als wirtschaftspolitischer Fehler gesehen werden. Die Planwirtschaft hatte die Sowjetunion über Jahrzehnte in eine ökonomische Sackgasse geführt, die keinen einfachen Ausweg mehr offenließ.