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Russland und der Kolonialismus

Kolonialimperien – das sind immer die anderen. Und doch hat Russland über eine Vielzahl an Völkern geherrscht und sein Territorium seit dem 16. Jahrhundert auf das 22-Fache vergrößert. Von der Eroberung Sibiriens bis zur angeblichen „Brüderlichkeit der Sowjetvölker“ wird die Kontinuität des russischen Kolonialismus im Krieg gegen die Ukraine besonders deutlich. Die vor diesem Hintergrund erstarkende Idee einer Dekolonisierung Russlands versucht der Kreml mit allen Mitteln zu unterdrücken. 

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Olga Skabejewa

Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt. 

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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Wassili Aksjonow

Wassili Aksjonows (1932–2009) literarische Karriere begann Ende der 1950er Jahre in Leningrad. Er erlebte in der Metropole ein Klima intellektueller Liberalisierung, das nach Stalins Tod für ein gutes Jahrzehnt als Zeit des sowjetischen Tauwetters in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Aksjonow orientierte sich hier an westlichen Lebensentwürfen: Jazz, Pop, die legendäre stiljagi-Kultur, Amerika und ein Hauch von aufbegehrender Jugendbewegung bildeten in dieser Zeit seine kulturellen Referenzen.

Der frühe Roman Swjosdny Bilet (Fahrkarte zu den Sternen) von 1961 setzte dieser Atmosphäre, wie wohl kaum ein Text der Chruschtschow-Zeit, ein Denkmal und machte Aksjonow rasch zur Ikone einer neuen Welle von Sowjetliteratur und zu einem der meistgelesenen Autoren. Die sogenannte Junge Prosa, zu der auch Autoren wie Andrej Bitow oder Wladimir Woinowitsch zählten, zeichnete sich aus durch stilistische und thematische Frische, Authentizität ihrer zumeist jugendlichen Helden und einen neuartig aufrichtigen Tonfall.

Aksjonow erlebte die Tauwetterphase als eine radikale Wende in seinem Leben, das zuvor von biographischen Tragödien gekennzeichnet war. Er stammte ursprünglich aus dem tatarischen Kasan, wo seine Eltern als überzeugte Kommunisten gehobene Posten in der Partei innehatten. Wassilis anfangs harmonische Kindheit endete abrupt im Jahr des Großen Terrors 1937, als die Eltern aufgrund von sogenanntem Trotzkismus verhaftet und in Arbeitslager deportiert wurden.

Jewgenija Ginsburg, die Mutter, deren bestürzende Biographie Krutoi Marschrut (Marschroute eines Lebens) später von dieser Zeit des Terrors Zeugnis ablegte, wurde für zehn Jahre verurteilt, sein Vater Pawel sogar für 15. Das Kind wuchs bei Verwandten auf und übersiedelte schließlich nach der Haftentlassung der Mutter 1947 zu dieser nach Magadan. Nach Leningrad kam er 1953 zunächst für ein Medizinstudium.

Entfremdung von der offiziellen Kulturpolitik

Gelang Aksjonow in seinen frühen Romanen noch der bemerkenswerte Spagat zwischen den Normen des Sozialistischen Realismus und einer Rebellenliteratur, deren Figuren oft voller Zweifel am gesellschaftlichen System waren, so verschlechterte sich ab 1963 sein Verhältnis zur Staatsmacht merklich. Er sah sich einer immer offeneren Kritik durch die Behörden und sogar durch Staatschef Nikita Chruschtschow ausgesetzt. Die Entfremdung Aksjonows von der offiziellen Kulturpolitik fand ihren literarischen Niederschlag in bissigen Satiren.

Foto © liveinternet.ruMit Beginn der Breshnew-Ära wurde es so für Aksjonow immer schwieriger, seine Werke zu veröffentlichen. Im restaurativen Klima der 1970er Jahre waren viele Autoren wie etwa Alexander Solschenizyn oder Joseph Brodsky offener Repression ausgesetzt. Auch Aksjonow, den die sowjetischen Behörden zunächst noch versuchten einzubinden, verfasste nun diverse Texte nur noch für die Schublade, so etwa den Roman Oshog (Gebrannt), der erst in den 1980er Jahren veröffentlicht werden konnte.

Alternative Geschichte Russlands mit prophetischer Dimension

Auch sein im Westen heutzutage vielleicht berühmtester und zugleich letzter noch in der Sowjetunion verfasster Text konnte erst Jahre später erscheinen. Im Roman Ostrow Krim (Die Insel Krim) schreibt Aksjonow eine alternative Geschichte Russlands im 20. Jahrhundert.

Der Roman ist die literarische Vision eines von der Sowjetunion unabhängigen Freistaates Krim, in dem sich demokratische Institutionen und ein prosperierendes kapitalistisches Wirtschaftssystem entwickelt haben. Im Zentrum steht der einflussreiche Herausgeber Lutschnikow, der von der Idee der Wiedervereinigung der Krim mit der Sowjetunion besessen ist. Seine Pläne führen allerdings zum Debakel am Ende des Romans. Es kommt schließlich zu einer apokalyptischen Invasion der Insel durch das sowjetische Militär und zum gewaltsamen Anschluss an die Sowjetunion.

Wenngleich der Roman als Parabel über den Kalten Krieg zu verstehen ist, besitzt er doch im Hinblick auf die russische Annexion der Krim im Jahr 2014 eine geradezu prophetische Dimension.

Aksjonows Konflikt mit dem Staat eskalierte schließlich im Jahr 1979 in der Affäre um den gemeinsam mit Viktor Jerofejew und anderen zusammengestellten Almanach Metropol. Als Aksjonow 1979 aus Protest aus der Schriftstellerunion austrat und kurz darauf aus dem Schriftstellerverband geworfen wurde, war seine materielle Grundlage in der Sowjetunion zerstört.

Während einer Auslandsreise 1980 in die USA entzogen ihm die sowjetischen Behörden schließlich die Staatsbürgerschaft. Seitdem lebte er gemeinsam mit seiner Frau in der Emigration. Er hatte in den USA verschiedene Literaturdozenturen inne und siedelte schließlich 2004 nach Biarritz in Frankreich um.

Die Postmoderne vorweggenommen

So aufsehenerregend Aksjonows Biographie ist, so unschätzbar hoch ist sein Wert für die Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Aksjonow experimentierte in seinem Schaffen fortwährend intensiv mit stilistischen Innovationen und hatte zugleich ein hervorragendes Gespür für literarische Trends und breitere kulturelle Dynamiken. Er arbeitete bereits in den 1960er Jahren – etwa im Roman Satowarennaja Botschkotara (Defizitposten Fassleergut, 1968) –  mit konzeptuellen Zitationsverfahren und anderen intertextuellen Sprach- und Formspielen und nahm hier die erst Jahre später zum Mainstream werdende ironisch postmoderne Dekonstruktion sowjetscher Narrative und Mythen ästhetisch vorweg. Obwohl seine Werke in Russland erst während der Perestroika wieder publiziert werden durften, war sein Einfluss auf russische Autoren der Postmoderne wie Sorokin oder Pelewin gewaltig.

 

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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)