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Russland und der Kolonialismus

Kolonialimperien – das sind immer die anderen. Und doch hat Russland über eine Vielzahl an Völkern geherrscht und sein Territorium seit dem 16. Jahrhundert auf das 22-Fache vergrößert. Von der Eroberung Sibiriens bis zur angeblichen „Brüderlichkeit der Sowjetvölker“ wird die Kontinuität des russischen Kolonialismus im Krieg gegen die Ukraine besonders deutlich. Die vor diesem Hintergrund erstarkende Idee einer Dekolonisierung Russlands versucht der Kreml mit allen Mitteln zu unterdrücken. 

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Olga Skabejewa

Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt. 

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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Pjotr Pawlenski

Pjotr Pawlenski ist ein Performancekünstler aus St. Petersburg, der seinen eigenen Körper in teils radikaler Weise als Ausdrucksmittel einsetzt. Seine politischen Aktionen schaffen plakative Bilder für staatliche Repressionen und die Apathie der Bevölkerung. Bei einer seiner Aktionen nähte er sich selbst den Mund zu, um ein Zeichen gegen die Verhaftung der Punk-Aktivistinnen von Pussy Riot zu setzen.

Der radikale Petersburger Performancekünstler Pjotr Pawlenski war laut dem Rating des Internetportals Artguide bereits im Jahr 2013 der einflussreichste russische Künstler.1 1984 geboren, hat er zunächst ganz klassisch an der Staatlichen Stieglitz-Akademie für Kunst und Kunstgewerbe (in der Sowjetunion als Mucha bekannt) Wandmalerei studiert und anschließend an der Schule für junge Künstler am Institut Pro Arte ein Aufbaustudium begonnen. So unterschiedlich die Ausbildungen dort waren, sah Pawlenski den Künstler in beiden Fällen zu „Knetmasse in den Händen der Auftraggeber“2, zu einem schlichten Befehlsempfänger degradiert. Anstatt sich diesen Bedingungen zu ergeben, begann er, „Kunst über Politik“ zu machen, zum Beispiel institutionskritische Fotoarbeiten, die er im Kunstkontext ausstellte. Doch als Anfang der 2010er Jahre eine Reihe neuer Gesetze erlassen wurde – gegen die „Propaganda von nichttraditionellen sexuellen Beziehungen“, für die Reinheit der russischen Sprache (also gegen die Verwendung von Schimpfwörtern), gegen die Verwendung religiöser Symbole in einem nichtreligiösen Kontext – ging er dazu über, „politische Kunst“ zu machen: „Der Anlass für meine Arbeiten ist der Wunsch des Staates, die Menschen zu erschrecken, indem er Angst als Steuerungsinstrument nutzt.“3

In den letzten Jahren hat Pawlenski mehrere politisch motivierte Aktionen durchgeführt. Bei den meisten davon spielte die Verletzung des eigenen Körpers eine wichtige Rolle. So nähte er sich im Jahr 2012 zur Unterstützung von Pussy Riot den Mund zu und präsentierte, verstummt, ein Protestplakat. Ein Jahr darauf, 2013, legte er sich nackt in einer Stacheldrahtrolle vor das Gebäude des Sankt Petersburger Parlaments und nagelte im November des gleichen Jahres seinen Hodensack auf das Kopfsteinpflaster des Roten Platzes. Einige Monate später schnitt er sich, nackt auf der Mauer des Serbski-Zentrums für Sozial- und Gerichtspsychiatrie sitzend, das rechte Ohrläppchen ab. Er fügt sich jedoch nicht immer selbst direkte Gewalt zu: Als Unterstützung der Protestbewegung auf dem Kiewer Maidan verbrannte er im Februar 2014 auf einer Brücke im Sankt Petersburger Stadtzentrum Autoreifen und Motorhauben. In seiner jüngsten Aktion Anfang November 2015 legte er Feuer vor der Eingangstür der Moskauer FSB-Zentrale an der Lubjanka. Stets lässt er sich bereitwillig von den herbeieilenden Sicherheitskräften festnehmen.

Foto © Pjotr Pawlenski/Kampnagel

Mit seinen Aktionen richtet Pawlenski sich gegen die Exekutive, gegen den Polizei- und den Geheimdienstapparat. Er schafft schlagende Bilder, um zu zeigen, wie jede Handlung des Menschen in einem autoritären gesetzgebenden System Reaktionen des Gesetzes hervorruft, die sich direkt in den Körper des Individuums einschreiben. Er schafft „Metaphern auf die Apathie, die politische Unentschiedenheit und den Fatalismus der gegenwärtigen russischen Gesellschaft“.4 Vor allem aber schafft er eines: Durch seine eigene Bewegungs- und Hilflosigkeit macht er auch die Beamten hilflos. Durch die Gewalt, die er (in offensichtlicher Tradition der Body-Art) seinem eigenen Körper antut, schaltet er die Gewalt des Exekutivapparates aus. Angesichts des nackten, vermutlich oft unterkühlten und geschundenen, mit Wunden übersäten Körpers werden die Beamten ganz behutsam, ja vorsichtig.

Pawlenski wird zuweilen in eine Traditionslinie mit den Performancekünstlern Avdej Ter-Oganjan und Oleg Mavromatti gestellt, die um die Jahrtausendwende wegen Verletzung der religiösen Gefühle anderer angeklagt (jedoch nicht verurteilt) worden waren. Manche sehen ihn auch als Nachfolger der Punk-Aktivistinnen von Pussy Riot, die wegen Störung der öffentlichen Ordnung (Rowdytum) aus religiösem und nationalem Hass verurteilt worden waren. Doch diese Traditionslinie ist nicht ganz zutreffend, denn Pawlenski verletzt nicht andere, sondern sich selbst.

Die Reaktionen der Polizisten als Vertreter der Exekutive oder eben auch des Gerichts als Judikative sind dabei ein wesentlicher, einkalkulierter Bestandteil seiner Aktionen. Schon mehrfach wurden im Anschluss an seine Aktionen psychologische Gutachten in Auftrag gegeben, die ihn bislang allerdings alle für zurechnungsfähig erklärten. Auch Klagen wegen Störung der öffentlichen Ordnung (Hooliganismus) oder Sachbeschädigung (Vandalismus) wurden bisher abgewiesen. Es scheint jedoch, dass Pawlenski mit seiner jüngsten Aktion Bedrohung (Ugroza), dem Anzünden der FSB-Pforte, die direkte Konfrontation mit dem Gericht herbeiführen wollte, um so seine sonst übliche Autoaggressivität in die Hände der Staatsgewalt zu legen. Am 8. Juni 2016 wurde er von einem Moskauer Gericht zu einer Geldstrafe in Höhe von 500.000 Rubel (rund 6800 Euro) verurteilt sowie zu 481.000 Rubel (rund 6500 Euro) Schadenersatz für die angezündete FSB-Tür und kam aus dem Gefängnis frei.

Da Pawlenskis Aktionen an neuralgischen Punkten im öffentlichen Raum – in den Zentren der Macht – stattfinden, ist seine Medienrezeption groß. Die staatlichen Fernsehsender berichten ebenso über ihn wie Zeitungen und Radiostationen. Über die Motivation und Ziele seiner Aktionen wird jedoch vor allem im engeren Kunstkontext diskutiert. Die staatliche Berichterstattung klammert diese weitgehend aus, um sich nicht mit deren kritischem Potential befassen zu müssen.

Im Januar 2017 verließ Pawlenski gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Oxana Schalygina Russland. Anastasia Slonina, eine Schauspielerin am bekannten Off-Theater teatr.doc, wirft dem Paar versuchte Vergewaltigung vor. In einem anderen Fall wird er außerdem der schweren Körperverletzung beschuldigt, Ermittlungen laufen. Pawlenski bestreitet die Vorwürfe und sieht sie politisch motiviert. Er und Oxana Schalygina erhielten im Mai 2017 politisches Asyl in Frankreich.5

Im Oktober 2017 wiederholte er seine Lubjanka-Performance: Diesmal setzte er in Paris den Eingangsbereich der französischen Zentralbank in Brand. Auch hier kann man die darauf folgende Verhaftung als Teil der Performance begreifen. Pawlenski nannte die Aktion, für die er wegen Sachbeschädigung elf Monate im französischen Gefängnis verbringen musste, Eclairage (franz. Beleuchtung) und kommentierte sie mit den Worten: „Die Wiedergeburt des revolutionären Frankreich wird das weltweite Feuer der Revolutionen entzünden. In diesem Feuer wird die Befreiung Russlands beginnen.“6


1.artguide.com: Top-20 samych vlijatelʼnych chudožnikov v russkom isskustve 2013 goda
2.Radio Svoboda: Revoljucionnyj ėtjud
3.artguide.com: Čto nado znatʼ: Petr Pavlenskij
4.grani.ru: Chudožnik Petr Pavlenskij pribil mošonku gvozdem k brusčatke na Krasnoj Ploščadi
5. 2020 veröffentlichte Schalygina, die mittlerweile von Pawlenski getrennt lebt, ein Buch, in dem sie ihn schwerer körperlicher und seelischer Misshandlungen während ihrer Beziehung beschuldigt und auch die fragliche Vergewaltigung schildert. Vgl.: Schalygina, Oxana (2020): Po licu on menja ne bil. Istorija o nasilii, abjuze i osvobozhdenii. Moskau 
6. graniru.org: V Pariže Pavlenski podžeg zdanie Banka

 

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