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Tag der Einbrecher

Die Wahrscheinlichkeit, am ersten Tag des Monats ausgeraubt zu werden, ist etwa anderthalb Mal höher als an jedem anderen Tag. Wladimir Kudrjawzew erklärt auf Vedomosti, warum. Spoiler: Es hängt womöglich mit den Besonderheiten russischer Kriminalstatistiken zusammen.

Quelle Vedomosti

Einige Tage sind gefährlicher als andere – zumindest laut Aberglaube und Populärkultur. So gilt beispielsweise der Dreizehnte eines Monats, wenn er auf einen Freitag fällt, als Unglückstag. Gibt es solch ominöse Unglückstage tatsächlich? Und sollte man sich vor ihnen in Acht nehmen?

Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, könnte man Statistiken von Diebstählen – eine der häufigsten Straftaten überhaupt – für die einzelnen Tage eines Monats analysieren. Glücklicherweise stellen wir dabei für Freitag, den 13. keinerlei Anomalien fest. Doch schlechte Neuigkeiten gibt es trotzdem: Glaubt man der russischen Kriminalstatistik, so ist die Wahrscheinlichkeit, am ersten Tag des Monats ausgeraubt zu werden, etwa anderthalb Mal höher als an jedem anderen Tag. 

Glauben russische Kriminelle an Zahlenmagie?

Jetzt könnte man annehmen, die russischen Kriminellen glaubten entweder an Zahlenmagie oder wären getrieben von einer mystischen Kraft, die sie zwingt, am Monatsersten besonders viel zu klauen. Heißt das dann, dass gerade am Ersten eines jeden Monats besondere Vorsicht geboten ist? Und wenn dem so ist, gibt es dafür auch eine vernünftige Erklärung?

Regelmäßige jahreszeitliche oder kurzfristige statistische Schwankungen bei verschiedenen Straftaten, darunter auch Diebstähle, sind der Kriminologie durchaus bekannt. Doch den „Monatsersten-Effekt“ kannte die moderne Wissenschaft bislang nicht: Tatsächlich haben wir es dabei mit einem sogenannten Artefakt der Kriminalstatistik zu tun, das heißt einer zufälligen oder absichtlichen systematischen Verzerrung der Zahlen. 

Wem nützt es?

Aber wem und wozu nützt die Verfälschung der Diebstahl-Statistik? Und dann auch noch diese spezifische Präzision? Die Antwort hängt womöglich mit den Besonderheiten in der Registrierung und Erfassung von Straftaten in Russland zusammen. Die Kriminalstatistik wird hier weniger als Аnalyse-Instrument für Verbrechen verwendet, sondern vor allem als individueller KPI (Key Performance Indicator) der Mitarbeiter in den Strafverfolgungsbehörden. Deshalb sehen sich diese gezwungen, ihre persönlichen Statistiken mit allen erdenklichen Mitteln zu schönen, ab und zu eben auch mit dem Fälschen offizieller Dokumente. Davon zeugen auch die Ergebnisse der Generalstaatsanwaltschaft, die in einer Prüfung des letzten halben Jahres von etwa 650.000 Verstößen in den Statistiken ausgeht.

Wenn man nun die Monatsersten-Anomalie betrachtet, so werden die Mitarbeiter allem Anschein nach von der berüchtigten „Palka“ und dem APPG +1 (das ist ein Index der gelösten Fälle, der sich aus den gelösten Fällen des Vorjahreszeitraumes plus einer weiteren aufgeklärten Straftat errechnet) zum Verfälschen der Statistiken motiviert.
Und schon ist es gar nicht mehr mysteriös und das Verhalten der Ordnungshüter rational und vollkommen nachvollziehbar, hängen doch Bonuszahlungen, Beförderungen und Abmahnungen direkt von der berüchtigten Aufklärungsrate ab. Die Korrelation zwischen den registrierten und den aufgeklärten Diebstählen sollte also von Jahr zu Jahr und Periode zu Periode praktisch unverändert bleiben, und sich – im Idealfall – sogar leicht verbessern.

Das Übertreffen der Norm birgt Gefahren

Dass die Verbrechen von einem in den nächsten Monat übertragen werden, hat zwei Gründe: Wenn eure Abteilung im vergangenen Oktober ungefähr 50 Prozent der erfassten Diebstähle aufgedeckt hat, so darf sie in diesem Oktober auf keinen Fall „nur“ eine 49-prozentige Aufklärungsrate vorweisen. Hier gilt es also, den nicht-aufgeklärten Überschuss vom Ende des letzten Monats auf den Anfang des nächsten zu übertragen. 

Theoretisch wäre auch ein anderes Szenario möglich, nämlich dann, wenn die Abteilung das Pensum übertrifft und ganze 55 Prozent der Straftaten aufdeckt. Auch dieser Mehrbetrag wäre auf den kommenden Monat zu übertragen. Erstens wäre das eine ausgezeichnete Vorleistung – quasi ein Airbag – für den kommenden Monat und zweitens weiß – mit einem Blick in die Geschichte der Stachanowzy – jeder, dass ein Übertreffen der Norm banale Gefahren birgt: Es gefällt den Kollegen in der Abteilung nicht, und außerdem hebt es den Gesamtwert, den es dann im nächsten Zeitraum wieder zu erfüllen gilt. 

Manipulieren kann man auf verschiedenste Art und Weise. Eine durchaus geeignete Fälschungsmethode war zum Beispiel in der bereits erwähnten Prüfung der Generalstaatsanwaltschaft zu lesen: Die Ordnungshüter verwendeten beim Ausfüllen der Statistiken in einzelnen Fällen selbstlöschende Tinte. 

Einstweilen dauert das Schattenboxen Monat um Monat und Quartal um Quartal an. Und die modifizierte Statistik des Vorjahres wird, so will es das Ritual, von seiner kontinuierlich verbesserten und nicht minder modifizierten diesjährigen Version überboten. Angst vor dem Monatsersten oder gar Freitag, dem 13. braucht deswegen niemand zu haben.

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Korruption in Russland – soziologische Aspekte

Korruption wird in Russland manchmal wie das Wetter gesehen: Etwas, was das Leben schwierig macht, worauf man selbst jedoch keinen Einfluss hat. Viele nehmen Korruption als unveränderlichen Teil des Lebens wahr. Weil alle, vor allem aber „die da oben“ korrupt seien, wundert oder echauffiert sich auch niemand mehr, wenn wieder ein neuer Korruptionsskandal ans Licht kommt. Korruption ist in vielen Bereichen allgegenwärtig: Sie vermindert die Leistungsfähigkeit staatlicher Institutionen und ist ein Hindernis für die Modernisierung des Landes.

International vergleichende Studien attestieren Russland regelmäßig ein sehr hohes Korruptionsniveau. Da Korruption im Verborgenen stattfindet, ist ihre genaue Bestimmung allerdings schwierig, die Dunkelziffer hoch. Das Nationale Antikorruptionskomitee schätzt die jährlichen Verluste auf 300 Millarden US-Dollar. Das entspricht 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.1 Allerdings findet Korruption nicht zwingend monetär statt (etwa in Form von Bestechungsgeldern), sondern auch als Gefallen und Gegengefallen, oft innerhalb persönlicher Netzwerke.

Wie konnte es so weit kommen?

Die Ursachen sind komplex und vielfältig: Sie reichen von tradierten historischen Praktiken wie dem Kormlenie über institutionelle Mängel wie einem schwachen Rechtsstaat bis hin zu ökonomischen Gründen wie niedrigen Gehältern, die dazu verleiten, Bestechungsgelder anzunehmen.

Korruption war bereits in der Sowjetunion verbreitet, zum Beispiel in Form von Gefälligkeiten innerhalb persönlicher Blat-Netzwerke, die vorrangig dazu dienten, Mangelwaren auszutauschen. Doch erst die Systemtransformation und die Monetarisierung in den 1990er Jahren ermöglichten den Anstieg der Korruption auf ein systemisches Ausmaß. Inzwischen gibt es keinen gesellschaftlichen Bereich, der nicht von Korruption durchdrungen ist: Politik, Justiz, Wirtschaft, Verwaltung, Militär, Kirche, Polizei bis hin zum Gesundheits- und Bildungswesen.

Korruption, der ständige Begleiter

In vielen Alltagsbereichen ist Korruption so fest verankert, dass sie von den Betroffenen nicht mehr als solche wahrgenommen wird – „Geschenke“ an Ärzte und Lehrer sind ebenso Normalität wie das Einberechnen von Bestechungszahlungen in unternehmerische Kostenkalkulationen: Laut Transparency International Russland liegt der Handelspreis für Milch 15 bis 20 Prozent höher, als er müsste: Die Hersteller kalkulieren den Mehrpreis ein, um Beamte für Lizenzen schmieren zu können.2 Dadurch ist letztlich jeder von Korruption betroffen, selbst Personen, die kein Schmiergeld annehmen oder zahlen.

Spätestens wenn es um die eigene Gesundheit oder um Kindergartenplätze für den Nachwuchs geht, sind viele Russen zu Korruption bereit (und gezwungen). So wird auch das meiste Schmiergeld in der Alltagskorruption im Gesundheits- und Bildungsbereich aufgewendet, und das Korruptionsrisiko gilt hier, neben der notorisch korrupten (Verkehrs-)Polizei, als besonders hoch.3

Und ein Ende nicht in Sicht

Rhetorisch wird der Korruption seit Jahren der Kampf angesagt. Besonders Dimitri Medwedew setzte die Korruptionsbekämpfung während seiner Präsidentschaft auf die Agenda. Doch obwohl regelmäßig neue Gesetze und Initiativen verabschiedet werden, verbessert sich in der Praxis nur wenig. In einer Lewada-Umfrage von 2014 gaben 39 Prozent der Russen an, Korruption in der Politik habe in den letzten 15 Jahren zugenommen; 33 Prozent sahen sie als unverändert an und nur 20 Prozent bemerkten einen Rückgang.4

Der Grund für die ineffektive Bekämpfung liegt nicht zuletzt im politischen System Putins, in dem Institutionen, die für die Korruptionsbekämpfung zentral sind, sukzessive geschwächt wurden: freie Medien, unabhängige Gerichte, die politische Opposition und die Zivilgesellschaft. Der korruptionsanfällige Bürokratieapparat hingegen wurde enorm ausgebaut.

Antikorruptionsinitiativen haben es immer schwerer: Der Fonds für Korruptionsbekämpfung von Alexej Nawalny ist ebenso staatlichen Repressalien ausgesetzt5 wie Transparency International und die INDEM-Stiftung, deren Arbeit durch das Agentengesetz behindert wird. Gleichzeitig haben zuletzt mehrere investigative Recherchen auf Korruption unter einigen Vertrauten von Präsident Putin hingewiesen – und darauf, dass solche Verwicklungen meist straffrei bleiben.6

Auch in der Bevölkerung ist das Vertrauen gering, dass die Korruption wirksam bekämpft werden kann: In einer kürzlich durchgeführten Umfrage7 geben 70 Prozent der Respondenten an, nicht an ihre wirksame Eindämmung zu glauben (immerhin 44 Prozent sehen allerdings Putin als einen Bekämpfer der Korruption). Nimmt man all diese Voraussetzungen zusammen, so scheint ein Rückgang der Korruption nicht absehbar.


1.Orttung, Robert (2014): Corruption in Russia, in: Russian Analytical Digest 144, 15. März 2014, S. 4
2.Slon.ru: «Transperensi»: korrupcija sʹʹedaet 15% moloka
3.INDEM Foundation: Rossijskaja korrupcija: urovenʹ, struktura, dinamika: Opyt sociologičeskogo analiza
4. Lewada.ru: Korrupcija v sisteme gosudarstvennoj vlasti
5.So wurden Anfang 2015 die Büroräume durchsucht und zuletzt im April 2016 die Wohnung eines Mitarbeiters der Stiftung.
6.So deckte zum Beispiel die Reuters-Serie Comrade Capitalism Korruption im direkten Umfeld von Präsident Putin auf. Nawalnys Stiftung wiederum machte Korruption und Verbindungen zur Mafia im Umfeld des Generalstaatsanwalts Juri Tschaika öffentlich.
7.Lewada-Zentrum: Predstawlenija o masštabach korrupcii i ličnyj opyt
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