Medien
Gnose

Russland und der Kolonialismus

Kolonialimperien – das sind immer die anderen. Und doch hat Russland über eine Vielzahl an Völkern geherrscht und sein Territorium seit dem 16. Jahrhundert auf das 22-Fache vergrößert. Von der Eroberung Sibiriens bis zur angeblichen „Brüderlichkeit der Sowjetvölker“ wird die Kontinuität des russischen Kolonialismus im Krieg gegen die Ukraine besonders deutlich. Die vor diesem Hintergrund erstarkende Idee einer Dekolonisierung Russlands versucht der Kreml mit allen Mitteln zu unterdrücken. 

Gnose

Olga Skabejewa

Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt. 

Gnose

Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

Gnosen
en

Modernisazija

Der Gedanke der Modernisierung hat in Russland eine lange Tradition. Viele Zaren, Generalsekretäre und zuletzt Präsidenten versuchten sich an der aufholenden Entwicklung zu einer stets im Westen liegenden Moderne. Als erfolgreichste unter ihnen würden die meisten Russen heute wohl Peter den Großen und Josef Stalin benennen. In der post-sowjetischen Geschichte Russlands ist das Schlagwort der Modernisierung vor allem mit der Präsidentschaft Medwedews verknüpft. Als Putin 2012 in den Kreml zurückkehrte, geriet Medwedews Vision eines modernen Russlands jedoch schnell in Vergessenheit.

Im September 2009 wurde ein Artikel des damaligen Präsidenten Dimitri Medwedew veröffentlicht, der unter der Überschrift „Rossija vperjod“ (Russland, vorwärts) eine grundlegende Modernisierung Russlands forderte.1 Er prangerte die Rückständigkeit der russischen Wirtschaft, aber auch der russischen Politik und Gesellschaft an und stellte tiefgreifende Reformen in Aussicht. Durch technologischen Fortschritt sollte Russlands Wirtschaft hochproduktiv und vom Ölexport unabhängig, aber auch gerechter und weniger korrupt werden. Mehr politische Freiheit fand sich ebenfalls unter den von Medwedew verkündeten Zielen.2

Für einige Jahre wurde die Modernisierung vor allem in der liberalen Elite Russlands intensiv diskutiert. Medwedew versuchte, seine Ideen in Vorzeigeprojekten zu manifestieren. In Skolkowo nahe Moskau sollte gemeinsam mit ausländischen Unternehmen ein Hightech-Industriepark ins Leben gerufen werden, um den Brain Drain der russischen Spitzenkräfte ins Ausland aufzuhalten.3 Auch im Ausland fanden die Pläne des dritten russischen Präsidenten Beachtung. Bereits im Jahr 2008, wenige Tage nach dem Amtsantritt Medwedews, sprach sich der deutsche Außenminister Steinmeier für eine „Modernisierungspartnerschaft“ zwischen Russland und Deutschland aus.4 Als Ziel dieser Modernisierungspartnerschaft nennt das Auswärtige Amt noch heute, die „demokratischen und marktwirtschaftlichen Institutionen mit der Unterstützung der Zivilgesellschaft zu stärken“5.

Mit der Rückkehr Putins in den Kreml endete der Modernisierungsdiskurs in Russland 2012 abrupt.6 „Modernisazija“ fand in den Reden des Präsidenten keine Erwähnung mehr und verschwand aus den Nachrichten (siehe Abb. 1). Über Skolkowo wurde nur noch in Zusammenhang mit Korruptionsskandalen berichtet. Die Modernisierungspartnerschaft zwischen Deutschland und Russland verwaiste zu einer leeren Worthülse. Zwar stiegen die deutsch-russischen Handelsumsätze, allerdings war die Folge nicht institutioneller Wandel sondern vielfach die Reproduktion des Status quo.7 Heute scheint Russland von Medwedews Modernisierungsambitionen weiter entfernt denn je.

Fraglos enthielten die Reformimpulse von Medwedew auch eine große Portion politischer PR. Allerdings zeigten sie auch, woran eine echte Modernisierung im heutigen Russland scheitert. Unter Stalin konnte die Produktivität durch erzwungene Industrialisierung noch mit Gewalt erhöht werden, ohne die Macht der Staatsführung zu gefährden. Heute wäre die ökonomische Modernisierung Russlands und der dafür notwendige Strukturwandel nur durch dezentrale unternehmerische Initiative zu erreichen.8 Dabei würde das ökonomische und politische Establishment unter Druck gesetzt. Für jede Form der politischen Reformen gilt dies umso mehr. Eine echte Modernisierung wäre für den Kreml mit einem Maß an Kontrollverlust verbunden, zu dem dieser zu keiner Zeit bereit war.


1.Kremlin.ru: Rossija wpered! 
2.Schröder, Hans-Henning (2009): Modernisierung “von oben”, in: Russland-Analysen 2009 (192), S. 2-6
3.Br.de: Russlands Modernisierung
4.Auswaertiges-amt.de: Rede des Außenministers Frank-Walter Steinmeier am Institut für internationale Beziehungen der Ural-Universität in Jekaterinburg
5.Auswaertiges-amt.de: Partner in Europa
6.Bpb.de: Analyse: Vorwärts Russland! Die Botschaft des Präsidenten an die Föderalversammlung
7.Burkhardt, Fabian (2013): Neopatrimonialisierung statt Modernisierung - Deutsche Russlandpolitik plus russischer Otkat, in: Osteuropa 2013 (8), Berlin, S. 95-106
8.Yakovlev, Andrej (2011): Modernisazija: Wsgljad snisu
dekoder unterstützen
Weitere Themen
Gnose

Dimitri Medwedew

Dimitri Medwedew ist seit Januar 2020 stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrates. Er war von 2012 bis 2020 Premierminister und bekleidete von 2008 bis 2012 das Amt des Präsidenten der Russischen Föderation. Medwedew gehört zu den engsten Vertrauten von Präsident Putin und nimmt, nicht zuletzt als Vorsitzender der Regierungspartei Einiges Russland, eine wichtige Rolle im politischen Systems Russlands ein.

Gnose

Präsidialadministration

Die Präsidialadministration (PA) ist ein Staatsorgan, das die Tätigkeit des Präsidenten sicherstellt und die Implementierung seiner Anweisungen kontrolliert. Sie ist mit beträchtlichen Ressourcen ausgestattet und macht ihren Steuerungs- und Kontrollanspruch in der politischen Praxis geltend.

Gnose

Ära der Stagnation

Der Begriff sastoi, zu Deutsch Stagnation, meint die Periode zwischen der Absetzung des Parteichefs Nikita Chruschtschow im Jahre 1964 bis zum Beginn der Reformpolitik unter Gorbatschow im Jahre 1985. Diese Phase zeichnete sich durch fehlende politische und wirtschaftliche Dynamik aus. In der engeren Deutung wird die Bezeichnung sastoi auf die Amtszeit von Leonid Breshnew (1964–1982) angewandt.

Gnose

Premierminister

Der Premierminister oder Ministerpräsident ist nach dem Präsidenten die zweite Amtsperson im russischen Staat. Er ist vor allem für Wirtschafts- und Finanzpolitik verantwortlich.

Gnose

Steuerpressing

Die Wirtschaftskrise in Russland könnte die russischen Steuereinnahmen schon bald sinken lassen und das Haushaltsdefizit weiter vergrößern. Der Fiskus sucht nach Wegen, dies zu verhindern, dazu gehört auch das Steuerpressing.

Gnose

Silowiki

Silowiki ist ein Sammelbegriff für Amtspersonen aus Sicherheitsorganen des Staates. Seit den späten 1990er Jahren hat ihr Einfluss stetig zugenommen. Unter Putin gehören sie zu den einflussreichsten Akteuren innerhalb der russischen Elite.

Gnose

Alexander Bastrykin

Alexander Bastrykin zählt zu den zentralen Figuren in Putins Machtapparat und ist als Leiter des mächtigen Ermittlungskomitees eine der einflussreichsten Personen in Russland.

Gnose

Moskauer Staatliche Lomonossow-Universität

Am 25. Januar 1755 wurde sie auf Initiative des Universalgelehrten Michail Lomonossow gegründet: Die Staatliche Universität Moskau ist nicht nur die älteste, sondern auch die wichtigste und renommierteste Hochschule Russlands. Das Gründungsdatum am Tatjanin Den (dt. Tatjana-Tag) wird bis heute in Russland als Feiertag der Studierenden begangen.

weitere Gnosen
Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)