Die Wirtschaftskrise in Russland könnte die russischen Steuereinnahmen schon bald sinken lassen und das Haushaltsdefizit weiter vergrößern. Der Fiskus sucht nach Wegen, dies zu verhindern, dazu gehört auch das Steuerpressing.
Steuerpressing ist eine von vielen Wortschöpfungen, mit denen die Russen eine alltagsbestimmende Tatsache beschreiben und für die sich in der Regel keine direkte Übersetzung findet. Das Wort ist eine Abwandlung der Nalogowy Press, der Steuerpresse, und hat damit deutsche Wurzeln1, auch wenn wir im Deutschen heute eher die Steuerschraube kennen. Mit Steuerpressing hat der deutsch-russische Begriff noch eine englische Endung bekommen und beschreibt einen Prozess: das Anziehen der Steuerschraube.
Ist von Steuerpressing die Rede, kann zum einen die Erhöhung von Steuersätzen gemeint sein. Meistens geht es jedoch um Maßnahmen der Steuerbehörden, die bei unveränderten Steuersätzen das Steueraufkommen vergrößern, etwa durch die strengere Auslegung von Regeln und zuweilen durch die Einschüchterung von Unternehmen mit schwerbewaffneten, maskierten Kontrolleuren (die sogenannte Maski-Show). Auf „Bürokraten-Russisch“ wird damit die Sobirajemost (Eintreibung) der Steuer verbessert, d. h. der Anteil der anfallenden Steuern, der letztlich auch in der Staatskasse ankommt.
Traditionell werden Steuern in Russland eher als Instrument zur Bereicherung der Machthaber, denn als notwendiger Beitrag zum Gemeinwesen wahrgenommen. Komplizierte Regeln und mangelnde Durchsetzung führten in den 1990ern zu weit verbreiteter Steuerhinterziehung.2 Unter Putin fielen die Steuersätze, und gewinnträchtige Unternehmen wurden verstaatlicht, was das Steueraufkommen steigerte. Heute bereiten den russischen Steuerbeamten vor allem Offshore-Holdings und versteckte Gehaltszahlungen „im Umschlag“ (ein Drittel aller in Russland gezahlten Gehälter werden schwarz gezahlt3) Kopfschmerzen.
Nicht zuletzt wegen des aktuellen, krisenbedingten Haushaltsdefizits werden derzeit verschiedene Formen des Steuerpressings diskutiert und durchgeführt. Eine zusätzliche, von den hoch verschuldeten Regionen4 erhobene Mehrwertsteuer wird es zwar vorerst nicht geben.5 Die Steuervermeidung über Offshore-Holdings soll aber mit einem neuen Gesetz zur Besteuerung im Ausland bekämpft werden (De-Offschorisazija).6 Außerdem konnten sich die Steuerbehörden zuletzt sehr auf die Unterstützung der Gerichte verlassen: Im Jahr 2015 wurde in 77 % der Steuerstreitigkeiten mit Unternehmern zugunsten der Behörde entschieden. Diese Urteile sind auch partiell dafür verantwortlich, dass die Steuereinnahmen der Krise zum Trotz zuletzt angestiegen sind.7
1.Akademik.ru: Nalogovyj press
2.zu den Methoden der Unternehmen in den 1990ern: Yakovlev, A. (2001): ‘Black Cash’ Tax Evasion in Russia: Its Forms, Incentives and Consequences at Firm Level, in: Europe-Asia Studies 1990 (1), Glasgow, S. 33–55
3.Gurvič, E. / Suslina, A. (2015): Dinamika sobiraemosti i nalogov v Rossii: makroėkonomičeskij podchod, in: Finansovyj žurnal 4 (26), S. 22-34
4.Slon.ru: Krizis v regionach: nastalo vremja platitʼ za «Krymnaš»
5.Interfax.ru: Pravitelʼstvo rešilo poka ne vnositʼ v Dumu zakonoproekt o naloge s prodaž
6.The Moscow Times: B2B: Practical Application of the New Russian Deoffshorization Legislation
7.Vedomosti: Počti četvertʼ posta postuplenij nalogov svjazana s povyšeniem ich sobiraemosti