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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Iwan Iljin

„Ich lebe nur für Russland“, so fasste der konservative Religionsphilosoph Iwan Iljin (1883–1954) den Sinn seiner entbehrungsreichen und abenteuerlichen Biographie zusammen. Nach einem Studium der Rechtswissenschaften und der Philosophie hatte er 1909 den Titel eines Privatdozenten der Rechtsphilosophie an der Moskauer Universität erlangt. Wie im zaristischen Universitätssystem üblich, begab sich Iljin anschließend auf eine ausgedehnte Reise nach Deutschland und debattierte mit den akademischen Größen seiner Zeit. Dazu gehörten Georg Jellinek in Heidelberg, Heinrich Rickert in Freiburg, Edmund Husserl in Göttingen und Georg Simmel in Berlin. In den Revolutionswirren verteidigte Iljin seine Dissertation über Die Philosophie Hegels als Lehre von der Konkretheit Gottes und des Menschen. Bereits der Titel signalisiert den Vektor von Iljins philosophischem Schaffen: Er versuchte, die westliche Wissenschaftsphilosophie mit der spekulativen Theologie zu verbinden. 

Iwan Iljin, gemalt von Nesterow im Jahr 1921 © GemeinfreiAls eingeschworener Gegner der Bolschewiki engagierte sich Iljin im Bürgerkrieg auf der Seite der Weißen. Er wurde sechs Mal verhaftet und schließlich zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde jedoch nicht vollstreckt. 1922 musste er Sowjetrussland auf einem der Philosophenschiffe verlassen (gemeinsam mit Nikolaj Berdjajew, Sergej Trubezkoj und Simon Frank). Im Berlin der Weimarer Republik arbeitete er als Professor am Russischen Wissenschaftlichen Institut. Zum Hitlerregime hatte Iljin ein ambivalentes Verhältnis. Einerseits begrüßte er den Widerstand gegen den Bolschewismus, andererseits lehnte er das totalitäre und antichristliche Gewaltregime der Nazis ab. Umgekehrt blickten auch die neuen Machthaber immer misstrauischer auf den russischen Patrioten. Nachdem Iljin sich geweigert hatte, antisemitische Propaganda zu betreiben, wurde er zweimal von der Gestapo verhört. Nach 1934 konnte er in Deutschland nicht mehr öffentlich auftreten und publizieren.1

Eingeschworener Gegner der Bolschewiki

Iljin löste mit seinem Buch Über den gewaltsamen Widerstand gegen das Böse aus dem Jahr 1925 eine intensive Debatte über das Verhältnis von Politik und Gewalt aus. Er setzte sich in diesem umfangreichen philosophischen Werk polemisch mit Lew Tolstois berühmtem moralischen Grundsatz „Widerstehe dem Bösen nicht mit Gewalt“ auseinander. Tolstoi hatte argumentiert, dass gewaltsamer Widerstand gegen das Böse nur neues Unrecht hervorbringe. Iljin verfasste sein Buch unter dem unmittelbaren Eindruck der bolschewistischen Machtergreifung und des russischen Bürgerkriegs. Er rief auf zum Mut „zu verhaften, zu verurteilen und zu erschießen“. In einer Reihe von Vorträgen vor russischen Exilanten in ganz Europa verwies Iljin auf das Vorbild des Erzengels Michael und des Drachentöters Georg und hielt fest: „Wir werden dann siegen, wenn unser Schwert wie Liebe und Gebet sein wird, unser Gebet und unsere Liebe aber das Schwert!“ Die gewaltsame Bekämpfung des Bösen stellt aus Iljins Sicht ein notwendiges Übel dar, durch das der Verteidiger des Guten aber Schuld auf sich lädt. Nur eine anschließende religiöse Askese könne den Gotteskämpfer wieder sittlich läutern. 

Diese prononcierte Position spaltete die Intellektuellen in der Emigration. In Sorrento regte sich Maxim Gorki über Iljins „Evangelium der Rache“ auf, das die Tötung von Kommunisten erlaube. In Paris kritisierte Nikolaj Berdjajew, dass Iljin die bolschewistischen Tscheka des Teufels mit einer Tscheka Gottes bekämpfen wolle. In Berlin ergriff der liberale Publizist Pjotr Struve jedoch Partei für Iljin und erklärte seinen Gegnern, dass die russischen Seelen keine doppelte Buchhaltung vertrügen: Religiöser Eifer müsse sich unbedingt mit Patriotismus verbinden.2

„Erzieherische Diktatur“ für Russland

Durch die Vermittlung des Komponisten Sergej Rachmaninow gelang es Iljin und seiner Frau 1938 in die Schweiz überzusiedeln und sich in Zollikon bei Zürich niederzulassen. Die Schweizer Aufenthaltsbewilligung verbot ihm aber jegliche politische Tätigkeit. Diese Beschränkung hinderte ihn jedoch nicht, im Stillen eine Verfassung für das postkommunistische Russland auszuarbeiten. 1938 gründete er in Locarno Monti die Geheimgesellschaft Weißer Kongress. Im Januar 1939 stellte er in dieser geschlossenen Organisation in Genf sein Projekt eines Grundgesetzes für das Russische Imperium vor.3 
Dabei mochte sich Iljin jedoch nicht am Vorbild der jungen europäischen Republiken orientieren, die er als Zerfallsprodukte der untergegangenen Imperien selbst dem Untergang geweiht sah. Iljin hielt eine Demokratie in Russland vorerst für schädlich. Nach dem Niedergang der russischen Kultur unter dem Bolschewismus müsse zunächst eine „erzieherische und wiedergebärende Diktatur“ eingerichtet werden.4 Sein Heimatland brauche eine autoritäre Staatsform, deren Legitimation sich aus der Religion und Geschichte speise. 
Ihm schwebte als Leitprinzip des erneuerten Russland ein „monarchisches Rechtsbewusstsein“ vor. Den Staat definierte er als positiv-rechtliche Erscheinungsform der Heimat. Er forderte, dass die Macht von einer geistigen Aristokratie ausgeübt werden muss. Nicht das westliche Misstrauensprinzip der „checks and balances“ soll dabei das Funktionieren des Staates gewährleisten, sondern das Vertrauen der Bürger in die politische Führung. 
Allerdings ist der Monarch in Iljins Deutung selbst an das höchste Naturrecht gebunden und muss die Fähigkeit seines Volkes zur Selbstverwaltung und zur Kreativität fördern. Die Monarchie wird in Iljins Konzeption zu wahrer, „innerer“ Freiheit führen. Die „äußere“ Freiheit betrifft die westliche Garantie der individuellen Handlungsoptionen und der politischen Partizipation, die „innere“ Freiheit hingegen gewährt dem Menschen in der nationalen Gemeinschaft die Möglichkeit des Schaffens. Der kreative Ausdruck war jedoch auf traditionelle Formen beschränkt – Iljin lehnte modernistische Kunst ab und nannte Picasso als abschreckendes Beispiel.5 Er forderte eine „nationale Erziehung“, in der die Sprache, Lieder, Gebete, Märchen, Heiligenlegenden, Dichtung, die Geschichte, die Armee, das Territorium und die Wirtschaft zum Gegenstand der Bewusstseinsbildung der jungen Generation werden müssten.6

Integration von Denken, Glauben und Leben

Iljin hatte seine Verfassungsarbeit bewusst für die Nachwelt geleistet. Er rechnete nicht damit, den Untergang des Sowjetkommunismus selbst noch zu erleben. Deshalb konzentrierte er sich auf eine philosophische Fundierung der menschlichen Lebenskunst.
Kurz vor seinem Tod konnte er seine Axiome der religiösen Erfahrung in Paris veröffentlichen. In diesem Hauptwerk vereinigte er Texte und Gedanken aus den Jahren 1919 bis 1951. Dabei griff er auf zentrale Gedanken der philosophischen Tradition von der griechischen Antike bis zum deutschen Idealismus zurück. Sokrates war für Iljin ein „Christ, der für Christus zu früh war“. Hegels Religionsphilosophie hingegen erschien ihm als zu rationalistisch, weil Hegels Gott durch Leiden erst zu dem werden müsse, was er sein soll. Allerdings könne sich nur ein unvollkommener Un-Gott einer solchen Dialektik unterwerfen. Iljin erhob die Evidenz des göttlichen Geistes zum höchsten Lebensprinzip. Dadurch geriet er auch in Konflikt mit der russisch-orthodoxen Kirche.
Denn Iljins Insistieren auf dem göttlichen „Logos“ in seiner Schrift Weg der geistigen Erneuerung erschien den Kirchenoberen in den 1930er Jahren als zu „johanneisch“. Gemeint war mit diesem Vorwurf das Abweichen vom orthodoxen Dogma des Gottmenschentums zugunsten des „göttlichen Wortes“, das am Beginn des Johannesevangeliums steht.
Allerdings ließ sich Iljin von solch dogmatischen Bedenken nicht beirren und verfolgte konsequent sein eigenes Projekt einer Integration von Denken, Glauben und Leben. Damit etablierte er eine Vernunftreligion, die sich klar gegen die loyalistische Position der orthodoxen Kirche abgrenzte und bis heute ein emanzipatorisches Potenzial aufweist. 

Neue Aktualität in der Ära Putin

Während der gesamten Sowjetzeit war Iljin in Russland eine Unperson. In keiner der drei Auflagen der Großen Sowjetischen Enzyklopädie taucht sein Name auf. Erst in den 1990er Jahren wurden seine Schriften wieder neu aufgelegt. Allerdings beschränkte sich die Rezeption zunächst auf einen engen Kreis von interessierten Philosophen.
Iljins religiös-philosophisch fundiertes Staatskonzept erhielt erst im neokonservativen Denken der Ära Putin eine neue Aktualität. Im Oktober 2005 wurden – auf Initiative des konservativen Regisseurs Nikita Michalkow – Iljins sterbliche Überreste aus der Schweiz nach Moskau überführt und im Donskoi-Kloster erneut beigesetzt. Präsident Putin war bei dieser Zeremonie persönlich zugegen. Iljins Nachlass wurde mit Mitteln des Oligarchen Viktor Wexelberg aufgekauft und der Moskauer Universität übergeben. Putin selbst berief sich publikumswirksam in den föderalen Ansprachen der Jahre 2005, 2006 und 2014 auf Iljin und zitierte ihn als Gewährsmann für eine genuin russische Gesellschaftsordnung, die auf religiösen Werten beruht.
Mittlerweile gehört Iljin zu den kanonischen Autoren der russischen Geistesgeschichte, deren Texte beim zentralen russischen Abitur eingesetzt werden.


1.Robinson, Paul (2019): Russian Conservatism, Ithaca, S. 135 
2.Il'in, Ivan (2018): Über den gewaltsamen Widerstand gegen das Böse, Wachtendonk 
3.Lisica, Jurij (1999, Hrsg.): Ivan Il’in i Rossija: Neopublikovannye fotografii i archivnye materialy, Moskva, S. 129 
4.Il’in, Ivan: O gosudarstvennoj forme 
5.Loukianov, Mikhail/Mjør, Kåre Johan/Rabow-Edling,Susanna/Suslov, Mikhail (2020): A History of Russian Conservatism, from the 18th Century to the End of the 20th Century, in: Suslov, Mikhail/Uzlaner, Dmitry (Hrsg.): Contemporary Russian Conservatism: Problems, Paradoxes, and Perspectives, Leiden/Boston, S. 36-76, hier S. 55 
6.Il’in,I.A (2001).: O vospitanii nacional’noj ėlity, Moskva, S. 420-426 
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