„Guten Morgen! Bei mir haben sich gestern einige Ereignisse denkbar ungünstigst verkettet (Polen, Boot gekentert, Schlüssel verloren, letzten Zug verpasst), sodass ich die Nacht fast gar nicht geschlafen habe, ich aktuell nicht in meine Wohnung komme und nun hier in Pankow mit einem geliehenen Computer sitze ... Mit den verbliebenen Energie-Reserven mache ich mich nun an Social-Teaser und die Texte für die Planerka.“ So fing mein Kollege Daniel, den ihr dank der dekoder-Sendung ja sicher gut kennt, um 09:37 Uhr am 11. August 2016 seinen Arbeitstag an.
„Oh weh! das klingt nach erzählenswert, mal abgesehen vom ungünstig-Faktor!“, antwortet dekoder-Gründer und damals-noch Herausgeber Martin eine Minute später.
„Großer Mist!“, kommentiert Alena das Ereignis.
Tamina war am vorangegangenen Tag zwar nicht in Polen, ihr geht es aber auch nicht so dolle. Um 09:59 Uhr schreibt sie: “Hallo! Leider auch hier kleines Fiasko: komme nicht ins Netz. Router kaputt. Habe mir nun Wlan-Asyl organisiert, von wo ich nachher auch in Ruhe planerken kann (geht im Cafe hier ums Eck nicht). Bin in voraussichtlich 20 Minuten endlich online!! Uffz.“
Trotz allem schreibt Alena gegen 11 Uhr: „Ich grätsche hier mal dazwischen, um zu verkünden, dass die Silowiki online sind: https://www.dekoder.org/de/article/krieg-der-silowiki-machtkampf-russland-kreml-putin“.
Wer dekoder-Abläufe von innen kennt, weiß: dieser Ankündigung folgt ein Emoji (:tada:) von allen. Das ist obligatorisch.
Worum geht es hier eigentlich? Es geht um unsere interne Kommunikation. Ihr wisst vielleicht, dass wir dezentral arbeiten. Wir haben zwar ein Redaktionsbüro in Hamburg, die Hälfte von uns wohnt aber in Berlin. Außerdem haben wir von so vielen verschiedenen Orten aus gearbeitet, dass wir dafür eine besondere Karte gebastelt haben. Je nachdem, wo man sich befindet, kommt es immer wieder zu solchen Dialogen wie: „Man hört dich gar nicht!“, „Sorry, das ist das Meer, ich mache das Fenster zu“ oder „Man hört nichts, nur irgendwelche exotischen Vögel“, „Ok, ich mache erstmal mein Mikro aus“.
Wir treffen uns regelmäßig offline, das wichtigste ereignet sich aber online, mit allen Vor- und Nachteilen der Internet-Kommunikation. Unser Kommunikationssystem ist in den letzten drei Jahren zu einer Sammlung toller Geschichten geworden, und wenn man diese durchforstet, stößt man hin und wieder auf wunderbare Erzählstücke, auf lustige, traurige, freudige, schreckliche, abenteuerliche, was-auch-immer Ereignisse, die inzwischen passierten.
In diesen drei Jahren haben wir auch eine spezielle dekoder-Sprache entwickelt, die wir hin und wieder auch woanders benutzen, dann aber in der Regel auf fragende Blicke stoßen. Planerkas (von russ. planjorka) sind die Redaktionssitzungen, bei denen wir ausführlich Texte besprechen und auswählen. Letutschken (von russ. letutschka) heißt bei uns, schnell über einen Text oder eine Sache zu voicen. Voicen (Verb, auch jemanden anvoicen) heißt online-sprechen. Als Blurbs bezeichnen wir kurze Erklärtexte, die als pop-up Kommentare erscheinen, wenn ihr mit dem Maus über die blau markierten Wörter geht. Gnosen … das wisst ihr schon (sonst, könnt ihr hier nachschlagen). Die Texte müssen verblurbt oder vergnost werden (es müssen also Blurbs geschrieben und Gnosen bestellt werden). Wissenschaftler, die für uns schreiben, werden Gnosenautoren (oder schlicht Gnosisten) genannt.
Ohne internes Trolling geht es auch nicht. Der hashtag #rikehathunger bezieht sich auf die angebliche Eigenschaft einer Kollegin von uns (höhö!). Daniel, der im Berliner Homeoffice arbeitet, lacht uns Hamburger ständig aus, wenn wir über unser Wetter hier erzählen und Fotos oder Videos aus dem Bürofenster posten. #alenabauteineneuetabelle ist auch ständig ein Thema. Sie hat eine besondere Beziehung zu Tabellen und nimmt sie sicher als lebendige Wesen wahr: „Meine Tabelle sagt nein“, kann man oft von ihr hören.
In diesen drei Jahren sind in der großen dekoder-Familie vier Kinder geboren, es wurden zwei Hochzeiten gefeiert (eine steht im September noch an!), zwei Fahrräder gestohlen, es sind etliche Smartphones zerbrochen, ertrunken, gewaschen worden, ein eingeschlafener Mitarbeiter (ich sage nicht, wer ;-)) wurde auf der Rückreise von einer dekoder-Präsentation nachts im leeren Zug ins Depot abtransportiert, aus dem er in einer echten Lokomotive zurück zum Bahnhof gefahren wurde; es gab Staus, Zugausfälle, Wlan-Zusammenbrüche, lustige Tippfehler, falsche Texte im Redaktionssystem, bedenkenswerte (und ebenso falsche) Autoverlinkungen der Gnosen (SchaFSBock, KRIMinelle)...
Das wichtigste bleibt aber weiterhin Alenas Ankündigung: Der Artikel/die Gnose/das Visual/die Debattenschau ist online. Alle im virtuellen Raum anwesenden setzen (:tada:), freuen sich ein paar Minuten, und es geht weiter: „Super, ich mach dann schnell social“, schreibt Daniel, die Gnose ist angekommen, schreibt Anton, die Übersetzung ist rausgegeben schreibt Rike, seid ihr bereit für die Planerka, schreibt Tamina.
Das Editorial ist fertig, schreibe ich,
Leonid