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„Für Putin ist die Ukraine eine existenzielle Bedrohung“

„Die Russen sind die neuen Deutschen.“ Unter liberalen russischen Stimmen kam diese Formel schon wenige Tage nach dem Kriegsbeginn auf. Sie verweist auf historische Parallelen zwischen Russland und Deutschland, vor allem auf Aspekte wie Kollektivschuld und „Banalität des Bösen“.

Bereits vor rund zwei Jahren schrieb der russische Soziologe Grigori Judin: „Für Putin ist mit Deutschland [unter Hitler – dek] überhaupt nichts Ungewöhnliches geschehen: Eine Nation wurde erniedrigt, Radikale übernahmen die Macht und entschieden sich zur Rache. Das gab es und wird es noch öfter geben.“  

Wie kommt eine solche Denkweise überhaupt zustande? Im ersten Teil seines jüngsten Interviews mit der Journalistin Katerina Gordejewa im Video-Podcast Skashi Gordejewoi (dt. Sag’s Gordejewa) argumentiert Judin, dass man über die tatsächliche Kriegsunterstützung im Land nur wenig sagen kann, dass der „überragende Teil der russischen Gesellschaft einfach sein privates, ruhiges Leben weiterleben will.“ Dass sie damit die Augen vor der Wahrheit und vor grundsätzlichen Sinnfragen verschließe, das entbinde sie nicht von der Verantwortung für das, was geschieht, so der Soziologe. Anders sei es bei Putin: Dieser übernehme ganz bewusst die Verantwortung für den Krieg, argumentiert Judin im zweiten Teil des Interviews – und folge dabei einer inneren Logik, wonach der Krieg ein Akt der Selbstverteidigung ist.

Источник Skashi Gordejewoi


Grigori Judin: Wenn du mich fragst, warum die Entscheidung getroffen wurde, die Ukraine zu zerstören, so sehe ich darin eine gewisse Logik.

Katerina Gordejewa: Inwiefern?

Für Wladimir Putin und seine Gefolgschaft ist die Ukraine eine existenzielle Bedrohung, sie bedroht buchstäblich ihr Leben. Und weil [Putin] offenbar irgendwann beschlossen hat, dass ihre Existenz gleichbedeutend ist mit der Existenz des ganzen Landes, schließen sie daraus, dass sie für das ganze Land sprechen können und das ganze Land in Gefahr ist.

Wie? Ganz einfach. Nehmen wir die Situation in Libyen zur Zeit des späten Gaddafi. Oberst Gaddafi sieht sich nach einer endlosen Herrschaft mit einem inneren Aufstand konfrontiert. Der Aufstand ist mehr oder weniger erfolgreich. Gaddafi weiß, dass seine einzige Chance darin besteht, den Aufstand mit Hilfe der Armee niederzuschlagen. Das tut er auch. Er rückt auf Bengasi vor, bereit, alles dem Erdboden gleichzumachen.

Wie Gaddafi beseitigt wurde hat bei Putin tiefen Eindruck hinterlassen

Dann greift die NATO ein und errichtet eine Flugverbotszone, was den Kämpfen eine Wendung gibt. Die ganze Armada, die aus Tripolis in Richtung Bengasi unterwegs ist, kehrt um, Tripolis wird eingenommen und Gaddafi auf die Ihnen bekannte Art und Weise beseitigt.

Wie wir wissen, hat das bei Wladimir Putin tiefen Eindruck hinterlassen. Ich bin mir übrigens ziemlich sicher, dass die Entscheidung, Medwedew abzusetzen, in genau dem Moment gefallen ist. Denn Medwedew war damals Präsident und hat sich nicht gegen die Flugverbotszone ausgesprochen.

Was heißt das für Putin? Das heißt, dass in dem Moment, in dem es in Russland einen Aufstand gibt, und es wird ihn geben, unweigerlich … Übrigens war ich geneigt zu glauben, dass der Moment nicht weit weg ist, weil Belarus, das Russland in seiner politischen Kultur sehr ähnlich ist, es gerade vorgemacht hatte. Folglich war Russland auch nicht weit davon entfernt. Alle vergleichbaren napoleonischen Regime haben eine Lebensdauer von etwas über zwanzig Jahren. Die Widersprüche im Inneren häufen sich, und ihm [Putin – dek] dürfte klar sein, dass ein Aufstand nicht weit entfernt ist.

Aber für ihn ist ein Aufstand nie Ausdruck einer aus der Bevölkerung erwachsenden Energie – es sind immer die Machenschaften eines äußeren Feindes, etwas anderes kommt gar nicht in Frage. Es gibt überhaupt kein Volk, es gibt nur einen äußeren Feind, der dich eliminieren will. Wenn dir eine solche Gefahr droht, musst du absolut sicher sein, dass dir im Unterschied zu Gaddafi jedes erdenkliche Mittel zur Verfügung steht, um diese Gefahr zu bekämpfen. Jedes. Egal, wie viele Menschen du dafür töten musst, du musst in der Lage sein, es zu tun.

Wenn es ein benachbartes Land gibt, das Russland kulturell sehr nahe steht – ein riesiges Land, das größte Land Europas –, in dem es ein anderes politisches Leben gibt, das Putin als „Anti-Russland“ bezeichnet, eine radikale Alternative zu Russland, und diese Form der politischen Organisation ist in militärischer Hinsicht, sagen wir, durch die USA garantiert, dann ist das eine nicht hinnehmbare Gefahr. Es bedeutet, dass er mit seinem Volk nicht alles tun kann, was er will. Über ihm hängt ein riesiges [Damokles-Schwert], das sein Schicksal jeden Moment in das von Gaddafi verwandeln kann.

Es war der letzte Moment für Putin, in dem er dieses Problem noch lösen konnte

Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass sich die Situation in genau diese Richtung entwickelt, weil die Ukraine, auch wenn sie kein Mitglied der NATO ist, ganz klar zu einem Militärbündnis mit den USA tendiert und das politische Regime in absehbarer Zeit durch die USA garantiert würde. Es war der letzte Moment für Putin, in dem er dieses Problem noch lösen konnte.

Wenn er also sagt, sie hätten uns angegriffen, hätten wir es nicht getan, dann glaubt er tatsächlich, was er sagt? 

Ohne jeglichen Zweifel. Mehr noch, in einem verrückten Sinn ist das sogar wahr, denn er hätte jedes Vorgehen gegen ihn als einen Angriff durch die NATO interpretiert, und weil das unweigerlich eingetreten wäre, entspricht das in seiner paranoiden Wahrnehmung der Wahrheit. Deshalb war für mich schon vor zwei Jahren klar, dass es Krieg geben würde. Und als er vor einem halben Jahr diesen Aufsatz veröffentlichte, in dem er der Ukraine die Daseinsberechtigung abspricht, war es dann völlig offensichtlich. In diesem Text steht schwarz auf weiß: Entweder wir unterwerfen sie friedlich und machen sie zu einem Anhängsel, oder wir erobern sie. Das sind die zwei Optionen.

Natürlich ist jetzt auch die Konjunktur vergleichsweise günstig: Putin denkt, er sei dank modernster Waffen militärisch überlegen, er hat enorme Ressourcen angehäuft (wo die alle hin sind, ist eine andere Frage), dann sind da die Rohstoffpreise, Europas Abhängigkeit von diesen Rohstoffen, Turbulenzen in diversen Ländern … Kurzum, die Entscheidung war in seinen Augen absolut unvermeidlich. 

Russland hat der Ukraine kulturell schon lange nichts mehr anzubieten – das ist nur ein Versuch, sich zu verteidigen

Und ja, er und sein Umfeld sprechen jetzt von einem Vabanque-Spiel, bei dem sich Russlands Zukunft entscheiden werde. Sie verstehen also durchaus, worauf sie sich eingelassen haben. Innerhalb dieser Logik müssen sie sich tatsächlich verteidigen. Ich möchte nur die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass das für sie ein Verteidigungskrieg ist. Aus ihrer Sicht ist das Ziel nicht, eine Hegemonie zu errichten oder kulturell zu expandieren. 

Wenn wir von der „Russischen Welt“ sprechen, meint das nicht, dass es etwas spezifisch Russisches gäbe, das die Ukrainer nicht hätten und das man ihnen bringen müsste. So etwas gibt es nicht. Russland hat der Ukraine kulturell schon lange nichts mehr anzubieten. Nein, das ist nur ein Versuch, sich zu verteidigen. Was natürlich noch gefährlicher ist, weil wir hier von Leuten reden, die glauben, dass man sie umbringt, wenn sie sich nicht verteidigen. Sie müssen sich verteidigen – um jeden Preis.

Welche Rolle spielt die so populär gewordene Theorie des „Russki Mir“, deren Vertreter mal als die Ideologen des Kreml galten, also Leute wie Dugin?

Einerseits sehe ich, dass einige von Dugins düsteren Ideen durchaus ihren Einfluss hatten auf die Clique, die in Russland die Entscheidungen trifft, und wahrscheinlich auch indirekt auf den Präsidenten, der sich in letzter Zeit offenbar komplett isoliert hat und die Entscheidungen nahezu im Alleingang zu treffen scheint. Auf der anderen Seite sehe ich auch, dass diese [weltanschauliche – dek] Suppe, die sich da zusammengebraut hat, sogar im Vergleich zu diesen Ideen sehr primitiv wirkt. Man könnte meinen, diese Leute seien intellektuell dafür verantwortlich, was sie ausgebrütet haben, aber das, was am Ende dabei herausgekommen ist – ich bin nicht sicher, ob sie selbst davon so begeistert sind.

Die ideologische Suppe des ‚Russki Mir‘ wirkt sehr primitiv

Das große Problem mit diesem ganzen „Russki Mir“ ist, dass es eine leere Idee ist. Ein Imperium muss etwas vermitteln. Die „Russische Welt“ vermittelt nichts. Sie bietet keine Visionen. Keinerlei Perspektiven für eine kulturelle Entwicklung. Da ist rein gar nichts. Jeder, der Interesse an einer Ausweitung des russischen Einflusses hat, versteht, dass man irgendeine Art von Hegemonie braucht, um als Land eine Position zu erlangen. Unter Hegemonie versteht man, dass ein Land etwas anzubieten hat, das für andere attraktiv ist. Dann beginnt man, sich mit dieser Idee zu identifizieren, an sie zu glauben und sie zu verbreiten.

Dass man die Menschen nicht mit Kanonen erobern, sondern ihnen etwas anbieten muss – diese Idee ist in Russland aus den Köpfen verschwunden

In Russland war das an einem gewissen Punkt einfach wie weggeblasen: Der simple Gedanke, dass man die Menschen nicht mit Kanonen erobern, sondern ihnen etwas anbieten muss. Diese Idee ist aus den Köpfen verschwunden. Wahrscheinlich, weil sie sich nicht vereinen lässt mit diesem fundamentalen Beleidigtsein auf die ganze Welt. Oder weil man dafür anfangen müsste, den Leuten zuzuhören. Man müsste versuchen, sie zu verstehen, Gemeinsamkeiten finden, hören, was sie wirklich bewegt, etwas anbieten, das darauf reagiert. Das scheint niemanden mehr zu interessieren, das einzige, was noch übrig ist, ist rohe Gewalt. Aber mit roher Gewalt kann man keine Welt errichten.

Das sagen selbst die Quellen, auf denen dieses zweifelhafte, widersprüchliche und natürlich auch gefährliche Projekt basiert. Immerhin impliziert es die Errichtung einer gewissen Einflusssphäre. Aber Russland schneidet sich gerade selbst für viele viele Jahre alle Einflussmöglichkeiten ab. Sehen wir uns zum Beispiel das Problem mit dem NATO-Block an, das ich für durchaus glaubhaft halte. Wozu wird das führen? Dazu, dass alle, die bisher nicht beitreten wollten, es jetzt tun. Russland steht nun einem Block gegenüber, der ihm tatsächlich feindlich gesinnt ist. Jetzt wollen alle rein. Finnland und Schweden bereiten schon Abstimmungen vor.

Alle, die bisher nicht der NATO beitreten wollten, tun es jetzt

Warum bringt man alle gegen sich auf? Nur, weil man keine andere Möglichkeit sieht, zusammenzuarbeiten, weil man ernsthaft glaubt, dass die einzig mögliche Interaktion Gewalt ist, dass man seine „Partner“ mit Waffengewalt zwingen muss. Das ist ein Fehler, der uns sehr teuer zu stehen kommen wird.

Was wird aus der Ukraine?

Angenommen, es endet nicht alles mit einem Atomkrieg …

Ja, lassen wir das Worst-Case-Szenario mal beiseite.

Was allerdings nicht ausgeschlossen ist und unter diesen Bedingungen durchaus realistisch. Abgesehen davon hat Russland natürlich überhaupt keine Chance mehr, irgendeine ideologische Kontrolle über die Ukraine auszuüben. Das ist für immer vorbei. Es hätte eine Möglichkeit gegeben, wenn man die Karte der jahrhundertealten gemeinsamen Geschichte ausgespielt und den Ukrainern etwas angeboten hätte, was sie einerseits respektiert und was andererseits attraktiv im Hinblick auf die Integration in eine gemeinsame Sphäre gewesen wäre. Jetzt ist diese Möglichkeit ausgeschlossen, ich schätze, für immer.

Die, die gesagt haben, dass von Russland immer eine Gefahr ausgehen wird, haben Recht behalten

Das mit der Ukraine ist eine Sache, aber was ist mit all den anderen slawischen Völkern? Sieh dir doch mal an, was die Leute in den slawischen Ländern sagen. Wir verlieren absolut alle. Die, die gesagt haben, dass von Russland immer eine Gefahr ausgehen wird, haben Recht behalten. Wir werden ihnen jahrzehntelang nichts entgegensetzen können. Sie werden sagen: „Dieses Land muss für immer kleingehalten werden, sonst wird es sich erheben und wieder auf uns losgehen.“ Und wir haben so gut wie keine Argumente dagegen. Wir können sagen, dass wir uns geändert haben, dass das unsere durchgeknallten Vorfahren waren, aber die Antwort wird sein: „Nein, die haben das im Blut. Die werden nie Ruhe geben.“ Und damit werden wir irgendwie umgehen müssen.

Natürlich betrifft das genauso die Ukraine und mit großer Wahrscheinlichkeit auch Belarus. Wie das konkret aussehen wird, das ist eine andere Frage, das hängt davon ab, wie die sich anbahnende Niederlage [für Russland – dek] aussehen wird, welchen Preis auch die Ukrainer dafür werden zahlen müssen. Aber es existiert nicht einmal theoretisch die Möglichkeit, dass Russland die Ukraine für immer besetzt und die Ukrainer irgendwie umformt, nach welchem Vorbild auch immer. Das ist unmöglich. Deshalb ist das eine Wunde, die für immer bleiben wird.

Und die Ukraine selbst, ihr Geist, die Menschen, der Präsident, der Staat?

Das hängt stark davon ab, wie weit sich dieser Krieg ausbreitet. Ich denke nicht, dass die Möglichkeit besteht, dass es bei der Ukraine bleiben wird. Es wird davon abhängen, wie weit er sich ausbreiten wird, wie die europäische Landkarte nach dem Krieg aussehen wird. Das ist noch völlig unklar.

Es wird davon abhängen, wie die europäische Landkarte nach dem Krieg aussehen wird

Klar ist jedoch, dass sich für die Ukraine jetzt viele Probleme lösen, die sie vorher gespalten hatten. Ich bin kein Experte für die Ukraine, aber ich schätze, dass sich das Ost-West-Problem für immer erledigt hat. Klar ist auch, dass Selensky jetzt auftritt, wie ein Präsident in Kriegszeiten auftreten muss, er hat unglaubliches rhetorisches Talent. Er ist zu einem der führenden Politiker unserer Zeit geworden. Ein Mann, über den man noch viele Filme drehen wird. Und jetzt ist er natürlich in der Lage, eine Menge für den Wiederaufbau der Ukraine tun zu können, sobald der Krieg vorbei ist. Aber dieser Moment muss erst noch kommen. Bis zu diesem Moment müssen sie noch ausharren, durchhalten, und dann wird sich zeigen, wie das aussehen wird.

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Russki Mir

Russki Mir (dt. „Russische Welt“) ist ursprünglich ein Kulturkonzept, das in seiner ideologisierten Form auch zur Legitimierung des russischen Einflusses im postsowjetischen Raum eingesetzt wird. Es betont die soziale Bindungskraft der russischen Sprache und Literatur, der russischen Orthodoxie und eine gemeinsame ostslawische Identität.
Eine wichtige Rolle spielt in dieser Ideologie auch der sowjetische Sieg im Zweiten Weltkrieg, der jeweils am 9. Mai in großen Paraden und darüber hinaus in zahlreichen Produkten der Populärkultur inszeniert wird. Die Russische Welt umfasst ihrem Anspruch nach alle Gebiete, in denen die russische Kultur präsent ist.1

Die Anfänge der Russischen Welt gehen mindestens zehn Jahre zurück. Präsident Putin definierte das Konzept programmatisch bei einem Treffen mit Kulturschaffenden im Jahr 2006: „Die russische Welt kann und muss alle vereinen, denen das russische Wort und die russische Kultur teuer sind, wo immer sie auch leben, in Russland oder außerhalb. Verwenden Sie diesen Ausdruck so oft wie möglich – Russische Welt.“2 Putin erklärte das Jahr 2007 offiziell zum „Jahr der russischen Sprache“ und verwies dabei auf die Wichtigkeit des Russischen als eines verbindenden Elements zwischen den Bürgern der Russischen Föderation und den „Landsleuten“ im nahen Ausland.
Neben der Sprache wurden aber auch eklektisch einzelne Elemente aus den Werken von Philosophen wie Wladimir Solowjow, Nikolaj Berdjajew oder Iwan Iljin zur Begründung der Ideologie der Russischen Welt herangezogen.
Inhaltlich ist die Ideologie der Russischen Welt weitgehend konturlos und unbestimmt. Immer wieder werden eigene „geistig-moralische Werte“ beschworen, die sich angeblich grundlegend von den Idealen eines als feindlich wahrgenommenen Westens unterscheiden.3

Vom kulturellen Projekt zur Ideologie

Aus einem zunächst nur kulturellen Projekt wurde aber bald eine politische Ideologie, die zur Rechtfertigung der russischen Intervention in Georgien (2008) und der Angliederung der Krim (2014) eingesetzt wurde. Die Militäraktion in Südossetien wurde vom damaligen Präsidenten Medwedew mit dem Schutz der „Landsleute“ begründet (die meisten Südosseten verfügen über russische Pässe).
Wladimir Putin verkündete bereits am Nationalfeiertag 2013, dass „die Russische Welt nicht auf dem Prinzip ethnischer Exklusivität“ beruhe, sondern offen für alle sei, die „sich selbst als Teil Russlands und Russland als ihre Heimat“ betrachteten.4 Ein Jahr später hob der Präsident hervor, Russland habe auf der Krim bewiesen, dass es seine „Landsleute“ beschützen und „Wahrheit und Gerechtigkeit“ verteidigen könne.5

Auch in den ostukrainischen Kriegsgebieten zeigt der Begriff der Russischen Welt seine Wirkmächtigkeit: In der Präambel der Verfassung der Donezker Volksrepublik wird er gleich vier Mal erwähnt.6

In der nationalen Sicherheitsstrategie, die am 31. Dezember 2015 in Kraft trat, taucht das Konzept der Russischen Welt zwar nicht explizit auf, es gibt aber ein ganzes Kapitel, das sich der Kultur widmet.
Artikel 81 hält explizit fest, dass die russische Sprache folgende Aufgaben erfülle: Sicherung der staatlichen Einheit des Landes, Kommunikation zwischen den einzelnen Nationen der Russischen Föderation, Integration im postsowjetischen Raum sowie Kulturleben der Landsleute im Ausland.7

Die Stiftung Russki Mir

Parallel zur politischen Instrumentalisierung des Kulturprojekts erfolgte eine Institutionalisierung der Russischen Welt. Seit 2007 existiert eine staatliche Stiftung mit dem Namen Russki Mir, die im Jahr 2015 aufgrund der Wirtschaftskrise allerdings nur etwa 60 Prozent der vorgesehenen 750 Millionen Rubel [etwa 10,5 Millionen Euro] erhielt.8 Auf ihrer Website legt die Stiftung offen, dass ihr Ziel in der „Förderung der Verbreitung objektiver Information über Russland, über die russischen Landsleute und Schaffung einer Russland wohlgesonnenen öffentlichen Meinung“ bestehe.9

Die Stiftung Russki Mir ist hauptsächlich im kulturpolitischen Bereich tätig. An ausgewählten ausländischen Universitäten werden Russische Zentren eingerichtet, die Sprachunterricht und Bibliotheksdienste anbieten.10
Bereits die hochkarätige Zusammensetzung des Stiftungsbeirats zeigt, welche Wichtigkeit dieser Organisation beigemessen wird: Aus dem Kabinett sind der Bildungsminister, der Kulturminister und der Außenminister vertreten.

Der Vorsitzende der Stiftung Russki Mir, Wjatscheslaw Nikonow, befindet sich ganz auf der Linie der patriotischen Staatsideologie. Die Ukraine hält er für einen „failed state“, der über „keine Regierung, keine Armee, keine Wirtschaft, keine innere Einheit, keine Demokratie und keine Ideologie“ verfüge.11 Russland sei demgegenüber eine starke Nation, die auf bedeutende historische Errungenschaften zurückblicken könne.

Nikonow beschreibt die russische Geschichte als fortwährende Expansion – von der sibirischen Landnahme über die Kolonisierung Amerikas bis zur Eroberung des Kosmos.12 In solchen Verlautbarungen zeigt sich auch der Unterschied zu ähnlichen Institutionen anderer Länder wie etwa der Goethe-Institute.

Die Reichweite des ideologischen Konzepts der Russischen Welt ist allerdings beschränkt. In einer Umfrage des staatlichen Meinungsforschungsinstituts WZIOM vom Dezember 2014 in Russland stellte sich heraus, dass 71 Prozent der Befragten noch nie von Russki Mir gehört hatten.13


1. Jilge, Wilfried (2014): Was treibt Russland? Zum Hintergrund der Ukraine-Krise, in: Andruchowytsch, Juri (Hrsg.): Euromaidan: Was in der Ukraine auf dem Spiel steht, Berlin, S. 183–194
2. Tztver.ru: Imperia postfaktum: Russkij mir
3. Eltchaninoff, Michel (2016): In Putins Kopf: Die Philosophie eines lupenreinen Demokraten, Stuttgart, S. 7
4. Kremlin.ru: Reception to mark National Unity Day (2013)
5. Kremlin.ru: Presidential Adress to the Federal Assembly (2014)
6. Zabirko, Oleksandr (2015): „Russkij Mir”: Literatrische Genealogie eines folgenreichen Konzepts, in: Russland-Analysen Nr. 289
7. RG.ru: Ukaz Prezidenta Rossijskoj Federatcii ot 31 dekabrja 2015 goda N 683 "O Strategii nacional'noj bezopasnosti Rossijskoj Federacii"
8. Kommersant.ru: Minobrnauki nužny den'gi na „Russkij mir“
9. Siehe die Website der Organisation. Die Übersetzung des Zitats folgt dem russischen Original, die deutsche Website von Russki Mir ist sprachlich mangelhaft.
10. Gasimov, Zaur (2012): Idee und Institution: Russkij Mir zwischen kultureller Mission und Geopolitik, in: Osteuropa 5, S. 69–80
11. Wjatscheslaw Nikonow auf RG.ru: Korotkaja telegramma: „Ne nadorvites'”
12. Duma.gov.ru: Wjatscheslaw Nikonow: Otnošeniye k strane vo mnogom zavisit ot togo, čto budet napisano v učebnike istorii
13. Wciom.ru: Press-vypusk №2728
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Zum ersten Mal treffen sich Wladimir Putin und sein ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selensky heute persönlich in Paris. Thema ist der Krieg im Osten der Ukraine, der trotz internationaler Friedensbemühungen seit April 2014 anhält. Er kostete bereits rund 13.000 Menschen das Leben. Steffen Halling zeichnet die Ereignisse nach.

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