Im Gegensatz zu russischen Vereinen und der russischen Nationalmannschaft dürfen Vertreter des Fußballs aus Belarus weiterhin an europäischen Wettbewerben teilnehmen. Belarussische Vereine und der Verband wurden im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der Verstrickung der belarussischen Staatsführung in die Großinvasion nicht sanktioniert. Während es ein Verein wie BATE Borissow in der Vergangenheit sogar in die Gruppenphase der Champions League schaffte und sich auch andere Vereine für die Gruppenphasen der europäischen Wettbewerbe qualifizieren konnte – mittlerweile befindet sich der belarussische Fußball in einer tiefen Krise. Ein entscheidender Grund dafür ist auch die enge Verstrickung des Fußballs mit dem politischen und staatswirtschaftlichen System von Alexander Lukaschenko. Die Führung über den Fußball übernehmen also keine Experten, sondern vor allem staatliche Funktionäre, die auch die politische Kontrolle sicherstellen sollen. Die organisierten Fanszenen des Landes wurden durch Repressionen und Verfolgung nahezu vollständig zerschlagen, sodass die Spiele der höchsten Klasse des Landes kaum noch Zuschauer anziehen.
Lukaschenko, der sich bekanntlich eher für Eishockey begeistert, zeigte sich bei einem kürzlich einberufenen Treffen mit Sportfunktionären wenig begeistert vom Zustand des Fußballs im Land. In einem Beitrag für das Online-Medium Reform.by erklärt Igor Lenkewitsch nicht nur dem Leser, sondern indirekt eben auch Lukaschenko, warum der Staatschef und sein Machtwahn das eigentliche Problem für den Fußball sind. Ein tiefer Einblick in die Machtspielchen des belarussischen Fußballs.
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Kürzlich lenkte Alexander Lukaschenko die Aufmerksamkeit wieder einmal auf „die beliebteste Sportart unserer Bevölkerung“. Die Ergebnisse seien mau, die Spielergehälter unangemessen hoch. Und noch dazu habe der neue Chef des Fußballverbands dem Sportminister irgendeine Information vorenthalten. Dabei ist es ausgerechnet das staatliche System mit seinen Entscheidungen, das den belarussischen Fußball immer tiefer und tiefer in den Abgrund reißt.
Keine der bisherigen Manöverkritiken Lukaschenkos hatten positive Auswirkungen auf den hiesigen Fußball. In Erinnerung geblieben ist eine Konferenz zur Entwicklung des Fußballs im Jahr 2018, an deren Beginn Lukaschenko den damaligen Vorsitzenden des Belarussischen Fußballverbandes Sergej Rumas sowie die anderen anwesenden Funktionäre und Trainer fragte: „Schämt ihr euch nicht für den Zustand des Fußballsports in unserem Land?“ Aus den Fotos dieser Veranstaltung kann man schließen, dass sie sich schämten. Sie sitzen mit gesenkten Köpfen da.
Im belarussischen Fußball stecken zu viel Staat und äußerst wenig Eigenständigkeit
Bei dieser Konferenz wurde beschlossen, eine einheitliche Trainingsmethodik für den Fußballnachwuchs einzuführen. Damit sollte, so die Idee, der Fußball aus seinem Tief geholt werden. Zudem erklärte Lukaschenko damals, der Belarussische Fußballverband müsse reorganisiert werden. „Es müssen kompetente Leute gefunden und ein guter Verband geschaffen werden, der die Trainer unterstützt, kontrolliert und steuert“, sagte er. Ein Jahr später legte Rumas sein Amt nieder. Als Nachfolger kam der ehemalige Militärkommissar der Oblast Brest, der Parlamentsabgeordnete Wladimir Basanow. Die im Land etablierte Tradition, ehemalige Sicherheitskräfte und Militärs an der Spitze von Sportverbänden zu installieren, ist schon zum Gegenstand allgemeinen Spotts geworden. Die jahrelange Praxis zeigt, dass es keinen Effekt hat, auf militärische Ordnung und harte Disziplin zu setzen, um eine bestimmte Sportart voranzubringen. Im Sport genügt es nicht, „Im Laufschritt Marsch“ zu rufen und das Wort „schnell“ zu ergänzen. Da müssen Profis ran. Das heißt auch, dass sie sich an der Arbeit beteiligen, auf Positionen unter dem jeweiligen Militärkommissar. Ab da greift die Theorie der negativen Auslese – diejenigen, die dem Militärkommissar widersprechen, leben sich im System nicht ein. An der Oberfläche schwimmen die, die noch das dümmste Unterfangen unterstützen. Wir ergänzen noch das dünne politische Eis, auf dem sich die vaterländischen Sportler und Funktionäre bewegen und erhalten die zwei Schlüsselprobleme des belarussischen Sports: In ihm steckt zu viel Staat und äußerst wenig Eigenständigkeit.
Bankier – Artillerist – Tierwirt
Der Bankier Rumas wurde gegen den Artilleristen Basanow ausgetauscht – und für den einheimischen Fußball schämte man sich immer mehr und mehr. Es gibt den Ausdruck „Fremdschämen“, bei uns müsste man dafür den Begriff „Fußballscham“ einführen. Die Ergebnisse der Nationalmannschaft und der anderen Ligen wurden immer schlechter. Zu dem Zeitpunkt, als die bereits erwähnte Konferenz stattfand, in der Spielzeit 2018/19, spielte BATE Borissow noch in der Europe League. Seitdem ist kein belarussischer Verein mehr über die Qualifikationsrunde hinausgekommen. Von der Nationalmannschaft ganz zu schweigen – die Anzahl der Spiele ohne Sieg droht als Errungenschaft ins Guinness-Buch der Rekorde einzugehen.
2021 machte Lukaschenko dem neuen Vorsitzenden des Belarussischen Fußballverbands (ABFF) Basanow bereits die Hölle heiß. Und wieder ging es um Scham. „Ich verstehe nicht, warum du die Spieler gestern aufs Feld gelassen hast. [...] Es war beschämend, zuzuschauen“, maßregelte er den Verbandschef. „Es ist erbärmlich, was der Fußball heute bietet, das geht gar nicht.“ Auch der Sportminister, Sergej Kowaltschuk, bekam da sein Fett weg. Und was brachte es? Nichts. Sie plauderten und gingen ihrer Wege. Umgehende organisatorische Konsequenzen folgten nicht. Bassanow blieb nur eine Amtszeit in seiner Funktion als Verbandschef. 2023 wurde schon der dritte Fachmann Vorsitzender des ABFF: Nikolaj Scherstnjow, ehemaliger Vorsitzender der Witebsker Gebietsverwaltung, Absolvent der tierwirtschaftlichen Fakultät der Witebsker Staatlichen Akademie für Veterinärmedizin.
Als Kommentar zu diesem Ringelspiel an der Spitze des Belarussischen Fußballverbands stellte ein Bekannter von mir eine interessante Hypothese auf. Zuerst wurde beschlossen, dass es dem Fußball an finanziellen Mitteln mangele, und man ernannte einen Bankier. Dann, dass man lernen müsse, zielgenau zu treffen. Da wurde ein Artillerist engagiert. Und dann begriffen sie, dass Selektion notwendig sei. Also holten sie einen zuchterfahrenen Tierwirt. Lustig? Nun ja. Obwohl es in dem beschriebenen Konstrukt, anders als in der Realität, wenigstens eine gewisse Logik gibt. Von Selektion hatte man ja schon 2018 gesprochen. Sogar ein entsprechendes Programm war ausgearbeitet, bestätigt und eingeführt worden. Und nun, sechs Jahre später, fordert Lukaschenko wieder ein, dass innerhalb von sechs Monaten Ordnung ins System des Fußballtrainings gebracht werden müsse.
Negative Selektion
Nach den Ereignissen von 2020 riefen viele belarussische Fußballer dazu auf, die Gewalt im Land zu stoppen. Wohlbemerkt – sie forderten keinen Machtwechsel oder eine Überprüfung der vom Regime verkündeten Wahlergebnisse. Sie hofften einfach nur, das Land könne in einen gewissen Gesetzesrahmen zurückkehren. Und schon das genügte, um auf „schwarze Listen“ zu gelangen. Die Spieler blieben faktisch arbeitslos zurück – ihnen wurde verboten, für die Klubs zu spielen, bei denen sie unter Vertrag standen.
Die Geschichte zieht sich nun schon längere Zeit hin. Ein gefragter Spieler hat das Land verlassen, um bei ausländischen Meisterschaften für eine zweit- oder drittklassige Mannschaft anzutreten. Ein anderer kehrte dem großen Sport gezwungenermaßen den Rücken. Ein dritter zeigte offen Reue, um sich von der Schuld freizukaufen.
Dem Vernehmen nach rührt aus dieser Gemengelage auch der Konflikt des neuen Verbandschefs Scherstnjow mit dem Sportministerium und dessen Oberhaupt Kowaltschuk, den Lukaschenko in seiner Ansprache erwähnte. Scherstnjow kann man zum Vertreter einer Politik des „eine neue Seite aufschlagen” zählen – er tritt dafür ein, dass alle Spieler, gegenüber denen politische Zweifel bestanden, ohne zusätzliche Auflagen eine Amnestie erhalten. Kowaltschuk wiederum forderte „aktive Buße“, beispielsweise sollen die Spieler eine Begnadigungskommission durchlaufen. Bislang steht es 1:0 für das Sportministerium: Die Rückkehrkommission der Republik Belarus entschied im Januar, sieben Fußballspieler wieder spielen zu lassen. Allerdings stehen auf der „schwarzen Liste“ bedeutend mehr Namen. Es ist anzunehmen, dass die unterschiedlichen Auffassungen dazu die Ursache des Konflikts zwischen Verbandschef und Sportminister sind.
Verlierer dieses verdeckten Machtgerangels ist der Fußball
Wobei es auch in der Vergangenheit Konflikte zwischen Ministerium und Verband gab: Es war ein Kampf um Einflusssphären. Tatsache ist, dass der Fußballverband einen Großteil der finanziellen Mittel für seine Tätigkeit und Projekte von der FIFA und dem Europäischen Fußballverband (UEFA) erhält. Dadurch ist der Verband weniger abhängig vom Staat und vom Sportministerium als andere unserer nationalen Sportverbände. Das ärgerte die Chefetage des Ministeriums. Zu Zeiten des einflussreichen Verbandschefs Sergej Rumas wurde dem Ministerium oft mit klaren Worten eine Abfuhr erteilt. Mit Basanow änderte sich die Situation deutlich, der Belarussische Fußballverband hob nun bei jeglichen Anordnungen des Ministers oder seiner Vertreter die Hand zum Mützenrand. Es ist anzunehmen, dass das Sportministerium jetzt, indem es mit Scherstnjow bricht, die Bewahrung eines für sich selbst günstigen Beziehungsmodells einfordert. Der Verbandsvorsitzende wiederum bemüht sich, nach Möglichkeit der Hyperaufsicht des lästigen Ministeriums zu entkommen. Zumal Scherstnjow größeres Gewicht hat als sein Vorgänger Basanow.
Es spielen nicht die Besten, sondern die politisch Verlässlichen
Verlierer dieses verdeckten Machtgerangels ist der Fußball. Die Spieler, darunter auch starke, gemessen an unserer Nationalliga, sitzen auf der Ersatzbank. Oder sie verlassen das Land. Letztlich sinkt dadurch das Niveau der Landesmeisterschaft. Und darin besteht die negative Selektion – es spielen nicht die Besten, sondern die politisch Verlässlichen. Die Fans ignorieren demonstrativ die Spiele und zeigen damit ihre Einstellung zu alldem. Das Regime sollte sich also zunächst selbst an die These der Trennung von Sport und Politik erinnern, bevor es sie auf internationaler Ebene einfordert.
Als weiteres Problem kommt die Begrenzung der Trainer- und Spielergehälter hinzu, die der Staat ab der Saison 2021 eingeführt hat und bis heute unablässig weiter herabsetzt. Das zieht starke Legionäre aus der Landesliga ab, die oft noch weitere Landsleute mitnehmen. Zudem sind die Möglichkeiten der Klubs zur Sponsorensuche durch die allgemeine wirtschaftliche Situation des Landes eingeschränkt. So verlor Naftan Nowopolozk beispielsweise vor Kurzem das Unternehmen als Sponsor, dessen Namen der Fußballklub trägt. Auch die Beschränkung des Einsatzes von Nachwuchsspielern auf dem Platz ist nicht förderlich, da es dazu zwingt, die Spieler abhängig vom Geburtstag und nicht von Fähigkeiten und Trainingsstand einzusetzen. Und das ist nur die Spitze des Eisberges. Die vom Staat ergriffenen Maßnahmen, die die Entwicklung des einheimischen Fußballs fördern sollten, gereichen ihm also in Wirklichkeit zum Nachteil.
Die Regierung soll den Fußball besser aus ihrem Interessenfeld streichen
Dennoch suggeriert man weiterhin lebhafte Geschäftigkeit. Heute wurde zum wiederholten Mal entschieden, die „Technologie zur Ausbildung des Fußballspielers“ zu ändern. Zum wievielten Mal? Auch der aktuelle Anlauf im Fußball wird also offensichtlich ohne Erfolg bleiben. Häkchen gemacht, geredet, weitergezogen. Mit weiteren Rücktritten, Umbesetzungen und Programmen ist der Sache auch nicht zu helfen. Denn die Praxis zeigt: Je mehr sich der Staat in eine Handlungssphäre einmischt, desto schlimmer wird die Situation in dem Bereich.
Die Regierung soll den Fußball besser endlich vergessen, aus ihrem Interessenfeld streichen, so als würde er überhaupt nicht existieren. Kein Geld geben, aber auch keine Ratschläge. Dann lernt die Fußballwelt entweder, selbständig zu schwimmen, oder sie geht unter. Wohin der Weg eben führt. Ein solch radikaler Ansatz wäre übrigens der Entwicklung des gesamten belarussischen Sports zuträglich, nicht nur im Fußball.
Der belarussische Fußball ist eng in das Machtsystem von Alexander Lukaschenko verstrickt. Diesen politischen Einfluss erklärt der Journalist Jegor Chawanski und zeigt auf, warum dieser den belarussischen Fußball in eine historische Krise manövriert hat.
Im Sommer 2020 protestierten die Belarussen für Neuwahlen und für ihre Grundrechte – friedlich, kreativ und äußerst wandlungsfähig. Wir lassen die Vielfalt und Höhepunkte der Protestkultur in diesem visuellen Rückblick Revue passieren.
Im Krieg gegen die Ukraine steht der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko an der Seite des russischen Präsidenten Putin. Doch bislang sind keine seiner Truppen beteiligt. Warum hilft er Putin? Was hat er zu gewinnen, was zu verlieren? Und was bedeutet das für seinen eigenen Machterhalt?
Der belarussische Fußballtrainer Oleg Dulub, aktuell beim ukrainischen Erstligisten FK Lwiw unter Vertrag, spricht in einem Interview über den Fußball in der Ukraine, über seine Eindrücke aus dem Krieg in seiner zweiten Heimat und über die gesellschaftspolitische und moralische Rolle des Sports.
Psychischer Druck, alltägliche Unterdrückung: die belarussische Basketball-Spielerin Jelena Lewtschenko über ihre Haft und den Aufbruch in der Gesellschaft.
Im Jahr 2024 feiert Alexander Lukaschenko zwei runde Jubiläen: Seinen 70. Geburtstag und 30 Jahre im Amt. Er wurde 1954 geboren. Über seinen Vater ist nichts bekannt, seine Mutter, Melkerin in einer Kolchose, hat ihn allein aufgezogen. Sie lebten in Armut. Auf die Frage eines Journalisten: „Wie lebten Sie als Kind?“ sagte Lukaschenko, damals bereits Präsident: „Bettelarm war ich!“1 Allem Anschein nach wurde die alleinstehende Mutter von den Dorfleuten gepiesackt. Uneheliche Kinder waren damals gesellschaftlich nicht akzeptiert. Der Publizist Alexander Feduta, nunmehr aus politischen Gründen inhaftiert, beschreibt Lukaschenko folgendermaßen: „Wir haben es mit einem typischen komplexbehafteten Dorfjungen zu tun, vaterlos oder, wie es auf dem belarussischen Land heißt, ein bajstruk.“2
Wie schaffte es dieser Dorfjunge aus dem Osten von Belarus an die Spitze der Macht in seinem Land, die er als Diktator schließlich an sich riss? Wie gelang es Lukaschenko, ein System zu errichten, das die belarussische Gesellschaft bis heute unter Kontrolle hat? Waleri Karbalewitsch, Autor einer Lukaschenko-Biographie, über das autoritäre Machtgefüge in Belarus.
Der Weg zur Macht
Anhand der Bruchstücke, die Lukaschenko über seine ersten Lebensjahre preisgibt, gewinnt man keineswegs den Eindruck einer glücklichen Kindheit, ganz im Gegenteil. Wir sehen Neid auf andere Kinder, die mit mehr Wohlstand gesegnet waren, den Komplex eines zu kurz gekommenen Menschen. „Die 1950er Jahre waren eine schwere Zeit, eine furchtbare Not. Ich weiß noch, was für ein Kampf bei uns im Dorf herrschte. Wer stärker war, überlebte, Familien mit kräftigen Männern und Vätern hatten es leichter. Ich hab meinen Teil wegbekommen …“, sagte Lukaschenko.3
Nach der Wahl zum Präsidenten im Jahr 1994 nahm Lukaschenko seine Frau bekanntlich nicht mit nach Minsk. Nach ein paar Monaten machte ein Witz die Runde, von dem böse Zungen behaupten, er sei die reine Wahrheit: Frau Lukaschenko habe auf die Frage von Nachbarn, warum sie ihm nicht hinterherfahre, geantwortet: „Ach, mein Saschka bleibt doch nie irgendwo länger als zwei Jahre.“
Tatsächlich beeindruckt sein Lebenslauf, bevor er Präsident wurde, durch häufige Arbeitsplatzwechsel. Paradoxerweise ist der einzige Posten, den er jemals länger innehatte, das Präsidentenamt.
Die häufigen Jobwechsel zeugen von Lukaschenkos Unverträglichkeit. Fast überall war seine Tätigkeit von Konflikten begleitet. Seine Frau erinnerte sich: „Wo auch immer er war, immer und überall schlug er sich mit seiner Sturheit und Direktheit die Nase an. Natürlich war das störend. Misserfolge und Kränkungen vertrug er ganz schlecht.“4 Der psychologische Begriff hierfür ist Fehlanpassung, also, die Unfähigkeit, sich an soziale Normen anzupassen, die es in jeder Gesellschaft gibt. Das hinderte ihn daran, Karriere zu machen und im sowjetischen System ein hohes Amt zu ergattern. Er wirkte eher wie ein Außenseiter, ein Loser.
Doch mit Beginn der Perestroika, mit Glasnost und Demokratisierung, waren diese Charakterzüge, die ihm früher so im Weg gestanden hatten (weil sie zu Konflikten mit der Obrigkeit führten), plötzlich von Vorteil. In dieser Zeit des Kampfes gegen die Parteinomenklatur, die sich mit Händen und Füßen gegen Reformen sträubte, erfreuten sich mutige Akteure, die sich entschlossen zeigten, immer größerer Beliebtheit. Und Lukaschenko passte reibungslos ins Bild eines Kämpfers für Gerechtigkeit, eines Siegers über das System. Außerdem entdeckte er sein Talent zum Politiker, der in der Öffentlichkeit steht, vor Publikum spricht, dessen Aufmerksamkeit er bannt. Also stürzte er sich Hals über Kopf in die Politik, eine für ihn ganz neue Sphäre, in der er sich bald zu Hause fühlte. 1990 machte er den Schritt vom Direktor einer Provinz-Sowchose zum Abgeordneten des Obersten Sowjets der BSSR. Die Sitzungen dieses Machtorgans wurden damals live im Fernsehen übertragen. Lukaschenko trat häufig auf, hatte zu allen Themen etwas zu sagen. Bald kannte ihn das ganze Volk.
Wie so oft in der Geschichte ging es auch hier nicht ohne Zufall. Um einen politischen Höhenflug zu schaffen, muss einer auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde der Oberste Sowjet zum Parlament des unabhängigen Belarus, und Lukaschenko wurde zum Vorsitzenden einer parlamentarischen Kommission zur Bekämpfung der Korruption gewählt. Diesen Posten wusste er höchst effektiv für sich zu nutzen, nannte sich gar den obersten Korruptionsbekämpfer des Landes. Unter anderem deswegen konnte er bei den Präsidentschaftswahlen 1994 einen triumphalen Sieg einfahren. Lukaschenko war der Inbegriff des „Volkskandidaten“. Seine ganze Erscheinung, seine Kultur, seine Sprache und seine Art zu sprechen, das war dem Volk alles sehr nah und vertraut. Viele Menschen konnten sich mit ihm identifizieren.
Natürlich war er nicht sofort ein Diktator. Anfangs waren seine Reden von Enthusiasmus und dem aufrichtigen Wunsch geprägt, dem Volk zu dienen und das Land so schnell wie möglich aus der Krise zu führen. Er sagte: „Schweißausbrüche bereitet mir nur der Gedanke, die Versprechen nicht einlösen zu können, die ich den Menschen bei den Wahlen gegeben habe.“5 Für den Fall seines Scheiterns zog er sogar einen freiwilligen Rücktritt in Betracht.
Lukaschenko bei seiner Inauguration am 20. Juli 1994 im Obersten Sowjet, noch neben der weiß-rot-weißen Fahne, der damaligen Staatsflagge, die heute verboten ist.
Machthunger und Gewaltenteilung
Bald nach seinem Amtsantritt stieß Lukaschenko auf das, was man Gewaltenteilung nennt. Völlig überraschend für ihn: Es gab ein Parlament und ein Verfassungsgericht, die ebenfalls einen Teil der Macht für sich beanspruchten. Für Lukaschenko war das inakzeptabel. In seiner Vorstellung ist wahre Macht nur absolute Macht. Der neue Präsident wies also ein allgemein anerkanntes Element der Demokratie wie die Gewaltenteilung, die Checks and Balances einer Regierung, entschieden von sich. 1996 verkündete er, das Prinzip der Gewaltenteilung sei „eine Bedrohung für unseren Staat“6 geworden. „Werft dieses Gleichgewicht, diese Balance und Kontrolle aus euren Köpfen!“; „Ich will, dass der Staat ein Monolith ist“7, sagte Lukaschenko.
Ganze zwei Jahre war er damit beschäftigt, andere Zentren der Macht zu beseitigen und zu zerstören. Das geschah unter anderem mithilfe eines gefälschten Referendums über eine neue Verfassung, das Politiker und Juristen einen Staatsstreich nannten. Ende 1996 hatte er ein personalistisches autoritäres Regime installiert, in dem nur eine einzige staatliche Institution tatsächlich Einfluss hat: Alexander Lukaschenko. Wahlen wurden zur Fiktion, die Opposition wurde aus allen staatlichen Einrichtungen geworfen, und der Staat erhielt das Monopol auf alle TV- und Rundfunksender.
Lukaschenkos dominanter Charakterzug, die Kernidee seiner Weltanschauung ist ein grenzenloser Machthunger, der vor nichts haltmacht. Allem Anschein nach ist dieses Streben nach Allmacht der Grund dafür, dass Lukaschenko sich strikt weigert, die Todesstrafe abzuschaffen oder ein Moratorium darüber zu verhängen. Denn das Recht, einen Menschen bis hin zur Tötung zu bestrafen oder auch zu begnadigen, galt schon in alten Zeiten als einer der wichtigsten Faktoren der Macht. Deswegen ist Belarus das einzige Land Europas, in dem die Todesstrafe zur Anwendung kommt.
An Lukaschenkos Äußerungen sieht man, dass für ihn die Frage nach der Macht eine Frage von Leben und Tod ist. Wenn er seinen Opponenten vorwirft, ihn seines Amtes entheben zu wollen, so ist das für ihn dasselbe wie ein Mordanschlag. Der Führer hat keinen Zweifel: Verliert er die Macht, rechnet er mit einem schrecklichen Gericht für sich. Ein Leben ohne Macht kann Lukaschenko sich nicht vorstellen: Es verliert seinen Sinn. Als er 2020 dem ukrainischen Talkmaster Dmytro Gordon ein Interview gab, sagte Lukaschenko auf die Frage, ob er nicht zurücktreten wolle: „Ich kenne ja nur diese Lebensart … Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Gut, also schön, ich bin nicht mehr Präsident – und was mach ich dann morgens nach dem Aufstehen?“8 An den kritischen Tagen der Massenproteste 2020 wiederholte Lukaschenko immer wieder, er werde an der Macht bleiben, solange er lebe. Bei einem Auftritt in der Radschlepperfabrik am 17. August 2020 verkündete er: „Solang ihr mich nicht umbringt, wird es keine anderen Wahlen geben.“9
Das Lukaschenko-Regime ist auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR das prosowjetischste. Lukaschenko betont immer wieder, dass seine Vorlage für den Aufbau eines Staats die sowjetische Gesellschaftsordnung sei, und Lenin und Stalin nennt er „Symbole unseres Volkes“10. Als Wappen und Fahne der Republik Belarus bestimmte er die Symbolik der zur Sowjetunion gehörigen BSSR in leicht abgeänderter Form. Die Namen von Straßen und Plätzen sowie die Denkmäler sind seit der Sowjetzeit unverändert geblieben. Belarus ist das einzige postkommunistische Land, in dem der KGB noch immer KGB heißt.
Lukaschenko lehnte von Anfang an die Ideologie des belarussischen ethnokulturellen Nationalismus ab. Mit Hilfe eines Referendums drängte er die belarussische Sprache an den Rand und tauschte die weiß-rot-weiße Flagge und das Wappen in Folge eines weiteren umstrittenen Referendums aus. Die staatliche Propaganda setzt belarussischen Nationalismus mit Nazismus gleich. Und das nicht nur, weil Lukaschenko Moskau nicht reizen will, dem jeglicher Nationalismus in seinen Nachbarländern ein Dorn im Auge ist. Lukaschenkos traditionelle Wählerschaft ist russischsprachig, für sie existiert ohnehin keine belarussische Identität. Sein wichtigster politischer Gegner war lange die Partei BNF mit ihren nationalistischen Losungen.
Der Hauptgrund für Lukaschenkos Aversion gegen Nationalismus ist aber, dass man damit eine Gesellschaft mobilisieren kann. Er formt eine Zivilgesellschaft, fördert horizontale Verbindungen, stimuliert die Solidarität. Lukaschenko aber braucht eine atomisierte Bevölkerung, die nur durch staatliche Institutionen zusammengehalten wird. Er braucht keine Gesellschaft als selbständiges Subjekt, das Verantwortung für das Schicksal ihres Landes übernimmt.
Insgesamt kann man wohl sagen, dass dieses System keine greifbare Ideologie zu bieten hat. Die Narrative der Propaganda sind eklektisch, da mischen sich Elemente der sowjetischen Vergangenheit mit Ideologemen von Russki Mir, mit der Ablehnung von Liberalismus und westlichen Werten und so weiter. In gewissem Sinne ist dieser Mangel an Ideologie dem Regime sogar zuträglich, denn so kann es seine politische Linie je nach Konjunktur verändern. In Belarus gibt es keine Regierungspartei, die eine faktische Macht ausübt. Denn Lukaschenko hatte immer die Sorge, sie könnte eine von ihm unabhängige Elite konsolidieren.
Gründe für die lange Herrschaft
Wie ist es Lukaschenko gelungen, so lange an der Macht zu bleiben? Hier sind mehrere Faktoren zu bedenken. Erstens entsprach das belarussische Gesellschaftsmodell lange Zeit den Bedürfnissen und Vorstellungen, die die Mehrheit der Bevölkerung in Bezug auf Politik hatte. Es basierte auf staatlicher Dominanz in Wirtschaft und Sozialwesen – ein wirksames Instrument zur Kontrolle über die Gesellschaft, zur Umgehung der Gewaltenteilung und zur Herrschaft eines Einzelnen –, auf einer Partnerschaft mit Russland und einem Konflikt mit dem Westen. Der Großteil der Bevölkerung (Staatsbedienstete, Angestellte staatlicher Betriebe, Rentner) war finanziell vom Staat abhängig. Die Hemmung marktwirtschaftlicher Reformen führte zur Konservierung sozialer Strukturen.
Zweitens spielte Lukaschenkos ausgeprägte politische Intuition eine Rolle, sein angeborenes Gespür, mit dem er das richtige Vorgehen oder eine Bedrohung erkennt, sein Charisma und auch sein Populismus, sein Talent, zum Volk in einer für sie verständlichen Sprache zu sprechen. Dem politischen Triumph des Diktators liegt in hohem Maße seine erstaunliche Fähigkeit, ja geradezu Kunstfertigkeit zugrunde, die Menschen zu manipulieren. Er ist ein begabter Schauspieler mit vielen Rollen im Repertoire, ein faszinierender Verwandlungskünstler. Je nachdem, wem er gerade gefallen will, kann er äußerst liebenswürdig sein. Seinen hauseigenen Stil macht aus, dass er bei ein und derselben Gelegenheit, oft sogar im selben Satz, widersprüchliche, manchmal sogar einander ausschließende Thesen formuliert. Und jeder Zuhörende hört das heraus, was ihm lieber ist, was ihm besser gefällt.
Drittens hat Lukaschenko alle Mechanismen zum Machtwechsel komplett ausgeschaltet. Die Wahlen sind zum reinen Dekor geworden, sie beeinflussen nichts, und ihr Ergebnis ist im Voraus bekannt. Auf legalem Weg kann es in Belarus keinen Machtwechsel mehr geben. Und zu einer Revolution war die belarussische Gesellschaft vor 2020 nicht bereit. Außerdem hat Lukaschenko jede politische Konkurrenz in den Machtorganen verunmöglicht. Sobald irgendein Beamter an politischer Bedeutung gewann, wurde er seines Amtes enthoben.
Lukaschenkos politische Stütze ist der Staatsapparat. Während der akuten politischen Krise im Jahr 2020 kam es nicht zu einer Spaltung der Eliten, was eine wichtige Bedingung für den Sieg der Revolution gewesen wäre. Und zwar deswegen, weil es in Belarus keine einzige staatliche Institution gibt, die vom Volk gewählt wird, dem Volk Rechenschaft schuldet, vom Volk kontrolliert wird.
Und natürlich verlässt sich Lukaschenko auf seine Silowiki. Daraus macht er auch keinen Hehl: „Die Vertikale ist stabil. Sie stützt sich auf den KGB und das MWD“11. „Der KGB ist die Basis für eine starke Präsidialmacht.“12
Viertens kann das wirtschaftlich ineffiziente belarussische Gesellschaftsmodell nur dank der Unterstützung aus Russland überleben. In manchen Jahren betrug die russische Wirtschaftshilfe rund 15 bis 20 Prozent des belarussischen BIP.
Der Ego-Kult
Lukaschenko hat ein Selbstbild, als verfügte er über übernatürliche Fähigkeiten. Er suhlt sich in Größenwahn und Überlegenheitsgefühl. Immer wieder erzählt er bei öffentlichen Auftritten Geschichten davon, wie jahrelang bettlägerige Kranke dank ihm, dem Führer, wieder gesund wurden. So erzählt er über Boris Jelzin, den ehemaligen Präsidenten Russlands: „In Jelzins Umfeld hieß es immer: Boris Nikolajewitsch fehlt irgendwie der Elan, wir sollten wieder mal den belarussischen Präsidenten einladen. Der verleiht dem russischen Präsidenten dann wieder für drei, vier Monate Flügel. Es hieß, Jelzin würde von mir eine ordentliche Ladung Energie bekommen.“13 Lukaschenko begann von sich zu sprechen wie von einem Heiligen: „Ich bin makellos“14; „Ich bin der (seelen)reinste Präsident der Welt!“15
Die bizarrsten Formen nimmt Lukaschenkos Drang zum Größenwahn an, wenn er an Sportwettkämpfen und Eishockeyspielen teilnimmt und immer den Sieg davonträgt. Sein Kindheitstraum, Sportstar zu werden, ein Idol für Tausende Fans, die ihn von den Tribünen herunter bejubeln, wird nun auf groteske Weise wahr. Dank der staatlichen Behörden sind diese Wettkämpfe Ereignisse von nationaler Bedeutung. Es werden Unsummen ausgegeben, um berühmte Sportler einzuladen. Und um den Präsidenten mit vollbesetzten Tribünen zu erfreuen, werden Schüler und Studenten vom Unterricht befreit und reihenweise unter Aufsicht ihrer Lehrer ins Stadion oder in die Eishalle gekarrt. Die ganze Führungsriege des Landes wohnt solchen Events bei. Und die staatlichen Medien berichten darüber mit einer Ernsthaftigkeit, als ginge es um wichtige politische Nachrichten.
Lukaschenkos Hang zum Populismus und der Wunsch, seiner anspruchslosen Wählerschaft zu gefallen, führen dazu, dass er nie ein Blatt vor den Mund nimmt und Sachen sagt, die so gar nicht zu einem Staatsoberhaupt passen. Sein politischer Stil lässt sich nicht ins Konzept von Political Correctness zwängen.
Zu Beginn seiner Präsidentschaft wurde Lukaschenko tatsächlich von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Doch während seiner 30-jährigen Amtszeit ist eine neue Generation herangewachsen. Die Massenproteste 2020 zeigten, dass das archaische sozioökonomische und politische System sowie die autoritären Regierungsmethoden bei den meisten Leuten Abscheu erregen. In Belarus haben wir heute auf der einen Seite eine immer moderner werdende Gesellschaft, die auf Veränderungen abzielt und sich vom staatlichen Paternalismus befreien will, und auf der anderen Seite die Staatsmacht, die am Status quo festhält. Die Gesellschaft wächst über den Staat hinaus, in dessen Rahmen es ihr zu eng geworden ist. Doch Lukaschenko merkt nicht einmal, dass er und sein Land in unterschiedlichen historischen Epochen leben.
Und auch hier ist passiert, was praktisch allen Diktatoren passiert, die zu lange an der Macht sind: Die Staatsmacht hat den Draht zur Gesellschaft verloren. Im Laufe dieser 30 Jahre hat Lukaschenko es nicht geschafft, mit seinem Volk und dessen Problemen wirklich in Berührung zu kommen. Begegnungen mit der Bevölkerung werden gründlich vorbereitet und durchinszeniert, die Teilnehmer sorgfältig ausgewählt. So verliert selbst ein talentierter Politiker das Gefühl für das Volk. Seine Wahrnehmung der Welt wird inadäquat. Und dann sind ihm in Krisenzeiten, sei es aufgrund der Covid-Pandemie oder im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen, ein Fehler nach dem anderen unterlaufen. In jenem denkwürdigen Jahr 2020 traf er die schlechtesten aller möglichen Entscheidungen. Zum Beispiel ließ er alle Präsidentschaftsanwärter, die ihm gefährlich werden konnten, verhaften, die vermeintlich „schwache“ Swetlana Tichanowskaja jedoch kandidieren, in der festen Überzeugung, es würde sowieso keiner eine Frau wählen, schon gar nicht eine Hausfrau. Der Protest wurde mit roher Gewalt niedergeschlagen. Lukaschenko erlitt selbst wohl ein psychisches Trauma: Zerstört war sein Image als „Volkspräsident“, das er jahrzehntelang so gepflegt hatte. Dabei hatte er ernsthaft an seine Mission geglaubt, das Volk zu vertreten. „Ich glaube, dass nichts und niemand in der Lage ist, einen Keil zwischen den Präsidenten und das Volk zu treiben, das ihn gewählt hat“16, sagte er mal zu Beginn einer neuen Amtszeit.
Wahrscheinlich dachte er, sein Volk hätte sich von ihm abgewandt. Hatte er doch in den letzten Jahrzehnten immer wieder seine enge Beziehung zum belarussischen Volk betont. Als die Proteste gegen ihn begannen, hatte Lukaschenko ein paar Wochen lang Angst, im Auto durchs Land zu fahren, und flog mit dem Hubschrauber. Als sich seiner Residenz eine Menschenmenge näherte, zog er sich eine kugelsichere Weste an, nahm ein Maschinengewehr, stieg mit Sohn Kolja in einen Hubschrauber und flog von dannen. Die Bilder des flüchtenden Präsidenten sah ganz Belarus.
Die erlittene seelische Verletzung drängte auf Revanche. Diese entlud sich in politischem Terror. In Belarus gibt es heute rund eineinhalb tausend politische Gefangene. Es gibt Folter. Im ganzen Land gibt es weiterhin Razzien, Verhaftungen und Strafverfahren. Die Menschen werden nicht wegen oppositioneller Tätigkeiten festgenommen, sondern weil sie eine andere Meinung haben und entsprechende Kommentare oder auch nur Likes in sozialen Netzwerken hinterlassen. Viele Oppositionelle werden zu Haftstrafen von über zehn Jahren verurteilt, wie es unter Stalin üblich war. Lukaschenko gibt offen zu, dass auf seinen Befehl hin Verwandte von Oppositionellen oder politischen Häftlingen verfolgt werden. Die Evolution eines autoritären hin zu einem totalitären System läuft. Um an der Macht zu bleiben, unterstützt Lukaschenko in vollem Umfang Russland im Krieg gegen die Ukraine und macht Belarus damit zum Beteiligten der Aggression. Für die Präsidentschaftswahlen 2025 hat Lukaschenko seine abermalige Kandidatur bereits angekündigt.
Im Sommer 2020 protestierten die Belarussen für Neuwahlen und für ihre Grundrechte – friedlich, kreativ und äußerst wandlungsfähig. Wir lassen die Vielfalt und Höhepunkte der Protestkultur in diesem visuellen Rückblick Revue passieren.
Die belarussischen Machthaber haben mittlerweile alle Oppositionsparteien verboten. Darunter auch die Belarussische Volksfront (BNF), eine der ältesten Parteien des Landes, die für die Geschichte des Landes eine wichtige Rolle gespielt hat. Das belarussische Medium Zerkalo hat die Geschichte der Bewegung und Partei aufgeschrieben.
Verleiht Alexander Lukaschenko seinem autoritären System immer mehr ein sowjetisches und totalitäres Antlitz? Darauf deutet vor allem die Radikalisierung des Machtapparats seit 2020 hin. Igor Lenkewitsch analysiert die machtstrukturelle Verpuppung.
Die Repressionen in Belarus werden immer wieder mit denen unter Putin in Russland verglichen. Artyom Shraibman erklärt detailliert, mit welchen Mitteln das System Lukaschenko gegen Opposition, Medien und Zivilgesellschaft vorgeht und was der russischen Gesellschaft noch bevorstehen könnte.
Ist der belarussische Protest tot? Hat Alexander Lukaschenko immer noch Angst vor Protesten? Welchen Einfluss hat die neue Diaspora? Waleri Karbalewitsch beleuchtete im August die aktuelle Lage zwei Jahre nach dem Beginn der historischen Proteste in Belarus – seine Analyse ist 2022 einer der meistgelesenen Texte im Belarus-dekoder (Platz 3).
Im Krieg gegen die Ukraine steht der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko an der Seite des russischen Präsidenten Putin. Doch bislang sind keine seiner Truppen beteiligt. Warum hilft er Putin? Was hat er zu gewinnen, was zu verlieren? Und was bedeutet das für seinen eigenen Machterhalt?
Nach 600 Tagen gab es das erste Lebenszeichen von Maria Kolesnikowa. Ihr Vater durfte sie besuchen. Sie war eines der Gesichter der Proteste in Belarus im Jahr 2020, sie wurde verschleppt, festgenommen und schließlich zu elf Jahren Haft verurteilt. Wer ist diese scheinbar unerschrockene Frau, und wie wurde sie zur Oppositionspolitikerin? Zerkalo zeichnet ihren Lebensweg nach.
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