Prochorow gilt als typischer Vertreter der politisch gut vernetzten russischen Superreichen, die in den 1990er Jahren mit zwielichtigen Firmenübernahmen ein Vermögen machten. Im Jahr 2011 betrat er überraschend die politische Bühne. Mit seiner Kandidatur für die Präsidentschaftswahl – von einigen als Projekt des Kreml betrachtet – erzielte er auf Anhieb ein Ergebnis von acht Prozent der Stimmen. Danach verschwand er aus der Politik genauso überraschend, wie er kam. Im Juli 2016 kündigte seine Mischholding ONEXIM zudem an, sich aus dem Russland-Geschäft komplett zurückziehen zu wollen.
Michail Prochorow (geboren 1965 in Moskau) studierte internationale Wirtschaftsbeziehungen – nach eigenen Angaben, weil er weder den Naturwissenschaften noch der Philosophie besonders zuneigte.1 Nach ersten Erfolgen während der Perestroika gründete er mit Wladimir Potanin 1992 die Interros-Holding. Interros und Potanins ONEXIM-Bank genossen privilegierten Zugang zur Privatisierung von Staatsbetrieben, da Potanin erstens als stellvertretender Regierungschef die Privatisierung selbst koordinierte und zweitens die ONEXIM-Bank ein wichtiger Kreditgeber des chronisch unterfinanzierten russischen Staatsbudgets war.
Interros und die ONEXIM-Bank, der Prochorow ab 1993 vorstand, konnten so in den 1990er Jahren mehrere Staatsbetriebe weit unter Marktwert erwerben. Prochorows breites Portfolio umfasste bis 2017 heute sowohl Medien (er kontrollierte unter anderem die Mediengruppe RBC2) als auch Anteile an Rohstoffkonzernen. Der Konzern Norilsk Nickel entwickelte sich unter seiner direkten Führung bis 2007 zu einem hochprofitablen Unternehmen, das heute überdurchschnittliche Löhne zahlt. Trotz dieser Erfolgsgeschichte hängt Prochorow noch immer das Image eines skrupellosen Oligarchen, eines Repräsentanten des Raubtier-Kapitalimus der 1990er Jahre an.
Der öffentlich wahrnehmbare Teil von Prochorows Lebensstil, dessen Vermögen laut Forbes etwa neun Milliarden US-Dollar beträgt3, stützt dieses Image zumindest teilweise. So wurde er im Jahr 2007 im französischen Nobel-Skiort Courchevel von der Polizei festgehalten, die ihm vorwarf, für seine Freunde Prostituierte eingeflogen zu haben. Das Verfahren wurde später eingestellt. Trotz seiner Vorlieben für teure Clubs und extravaganten Urlaub betont Prochorow oft, dass Reichtum zu sozialer Verantwortung verpflichte. Er engagiert sich mit einer Stiftung für die Stärkung von Kultur und Wissenschaft in den russischen Regionen und fördert als begeisterter Sportler mehrere russische Sportvereine.4
Prochorows Einstieg in die Entwicklung eines in Russland produzierten Hybrid-Kleinwagens (Yo-Mobil) galt als PR-Gag, der seine beginnenden politischen Ambitionen unterstützen sollte. Im Juni 2011 übernahm er unerwartet für wenige Monate den Vorsitz der marktliberalen Sammelpartei Rechte Sache – Experten zufolge ein vom Kreml-Strategen Wladislaw Surkow angestoßenes Projekt zur Diversifizierung des kontrollierten politischen Angebots.5 Infolge der Massenproteste gegen Einiges Russland erklärte Prochorow eine Woche nach den Parlamentswahlen im Dezember 2011 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2012 – etwa 35 Prozent der Bevölkerung waren jedoch überzeugt, er sei ein vom Kreml kontrollierter Scheinkandidat.6 Obwohl er im Wahlkampf massiven Anfeindungen bezüglich seiner Rolle in den 1990er Jahren ausgesetzt war, erreichte er acht Prozent der Stimmen.
Dieser Achtungserfolg ist möglicherweise auch seiner rhetorisch erheblich geschickteren Schwester Irina Prochorowa zu verdanken, einer bekannten Publizistin und Intellektuellen, die ihn während des Wahlkampfs unterstützte und die seine Kultur- und Wissenschaftsstiftung leitet. Sie stand auch der von Prochorow im Jahr 2012 gegründeten Partei Bürgerplattform bis 2014 vor. Die Partei ist weiter politisch aktiv, seit der Angliederung der Krim zählen sie aber immer mehr Experten zu der sogenannten Systemopposition.