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Alexander Dugin

Alexander Dugin (geb. 1962) gehört zu den bekanntesten und schillerndsten geostrategischen Intellektuellen in Russland. Nach einem kurzen Flirt mit Eduard Limonows Nationalbolschewismus etablierte sich Dugin zu Beginn der 2000er Jahre als Vordenker eines russisch dominierten Neo-Eurasismus. Obwohl Dugin immer wieder seine Nähe zum Kreml unterstreicht und wiederholt als Berater von Parlamentariern tätig war, ist das Ausmaß seines politischen Einflusses umstritten. Dugin ist aber mit einer Vielzahl von Websites, Büchern, Broschüren und Zeitschriftenartikeln im öffentlichen Diskurs Russlands präsent.

Dugins philosophische Anfänge in den 1980er Jahren liegen im Mystizismus. Er war Mitglied in einem ultrakonservativen Zirkel von Fans des okkulten Autors Juri Mamlejew, der selbst 1974 emigriert war.1 Die mystische Komponente wirkt auch in Dugins spätere politische Theorien hinein. So ist Dugin ein Anhänger der sogenannten hyperboräischen Theorie, nach der die Menschheit im arktischen Norden entstanden sei. Deshalb seien die Russen ein „arisches Volk“, das allerdings nicht durch die Rasse, sondern durch eine metaphysische Geschichtsmission definiert werde.

Die „neuen Magier“

Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus näherte sich Dugin dem sowjetnostalgischen Schriftsteller Alexander Prochanow an, in dessen patriotischer Zeitung er auch publizierte. 1995 veröffentlichte Dugin gemeinsam mit dem Rockmusiker Sergej Kurjochin ein Manifest der „neuen Magier“. Darin forderten die beiden Aktivisten eine ästhetisierende „Verzauberung“ von Politik und Kunst, um eine neue Gemeinschaft der Massen hervorzubringen.

1993 gründete Dugin mit dem Skandalautor Eduard Limonow die Nationalbolschewistische Partei. Beide träumten von einem russischen Imperium, das nicht nur alle ehemaligen Sowjetrepubliken, sondern auch ganz Westeuropa umfassen sollte. Bereits 1998 trennten sich Dugins und Limonows Wege jedoch wieder. Limonow setzte auf politische Provokation und radikale Opposition zum Herrschaftssystem. Dugin dagegen wandte sich einem Neo-Eurasismus zu, der sich als eklektischer Mix aus antidemokratischem Gedankengut von Theoretikern wie René Guénon, Julius Evola oder Carl Schmitt präsentiert. Generell verortet sich Dugin in der Denktradition einer konservativen Revolution, die er in Russland in den verschiedensten Quellen von den Freimaurern über die Slawophilen bis hin zu Lew Gumiljow angelegt sieht.

Der eurasische Großraum

Dugin knüpft in seinem politischen Programm an den Eurasismus aus den 1920er Jahren an. Damals versuchten russische Emigranten wie Nikolaj Trubezkoi oder Pjotr Sawizki, die bolschewistische Revolution nicht als Einbruch der asiatischen Barbarei in die europäische Zivilisation zu deuten, sondern umgekehrt das 300 Jahre währende Mongolenjoch als positive Kulturerscheinung zu verstehen. In dieser Tradition beschreibt Dugin Russland als im Raum verwurzelte Trockenkultur, die einen starken Staat, gesellschaftliche Solidarität und geistige Ideale hervorgebracht hat. Er verbindet damit ein hegemoniales Denken: Für den eurasischen Großraum beansprucht Dugin neben dem Territorium der Russländischen Föderation auch Belarus, die Ukraine, den gesamten Kaukasus, Zentralasien und die Mongolei. Dieser Raum wird vom Westen scharf getrennt, der als Wasserkultur auf dem Austausch von Waren und Ideen basiere und Egoismus und Materialismus hervorgebracht habe. Jede politische Macht ist nach Dugins Vorstellungen ihrem eigenen Raum zugeordnet und muss „raumfremde Mächte“ fernhalten.

In der Logik des Eurasismus ist Russland zur Größe nachgerade verpflichtet. Der Verzicht auf weitere Expansion würde die Existenz des russischen Volkes in Frage stellen. Dugin fordert, Russland müsse gegen die Globalisierung kämpfen. Dieser alles nivellierende Prozess gehe von den USA aus, die der ganzen Welt ihre kulturellen Normen aufzuzwingen versuchten. Es sei daher notwendig, dass die Völker Eurasiens sich unter der Führung der Russen vereinen.

In den 2010er Jahren hat Dugin eine „Vierte Politische Theorie“ entworfen, die er als neue leistungsfähige Ideologie nach dem Ende von Liberalismus, Sozialismus und Faschismus anpreist. Dugin will die traditionellen Systeme in einer neuen Synthese überwinden. Das historische Subjekt sei im Liberalismus das „Individuum“, im Sozialismus die „Klasse“ und im Faschismus die „Rasse“. Neu schlägt Dugin für seine Theorie das Heideggersche „Dasein“ als zentrale Kategorie vor. Damit will Dugin den Staat von seiner abstrakten Rolle als reines Vertragsgebilde erlösen und ihm eine eigene Ontologie verleihen: Der Staat soll eine eigene Zivilisation und Lebenswelt begründen. Der Nationalstaat stellt aus Dugins Optik die Institutionalisierung des Liberalismus dar. Deswegen lehnt er auch die nationalen Projekte im postsowjetischen Raum radikal ab.

Bereits während seiner ersten Auslandsreisen zu Beginn der 1990er Jahre hatte Dugin Kontakte zu rechtsextremen Kreisen in Frankreich, Italien und Spanien aufgebaut. Später dehnte er sein Netzwerk auch nach Ungarn, Griechenland und in die Türkei aus.2 Seit kurzem umwirbt Dugin auch die westeuropäische Linke, die er vor allem durch seinen rabiaten Antiamerikanismus in den Bann ziehen  kann. Damit geht  Dugin praktisch an, was er bei Vorträgen regelmäßig in  seiner „Vierten Politischen Theorie“ verkündet, mit der er die Zeit für eine  neue Synthese von Nationalismus und Sozialismus gekommen sieht. 

„Man muss töten, töten und töten“

Bereits im Georgienkrieg 2008 hatte Dugin sich als Scharfmacher hervorgetan und ultimativ gefordert, „Panzer nach Tbilissi“ zu schicken.3 Nach den dramatischen Ereignissen in Odessa im Mai 2014 rief er zum Mord an der Kiewer Regierung auf: „Ich glaube, man muss töten, töten und töten. Ich sage das als Professor.“4 Über 10.000 Unterzeichner forderten darauf in einer Petition erfolgreich die Entlassung Dugins als Professor der Staatlichen Moskauer Universität.

Dugin unterstützte nicht nur die Angliederung der Krim an Russland, sondern auch den großflächigen Krieg in der Ukraine, den er als einen weiteren Schritt in einer historisch bereits stufenweise erfolgten Ausdehnung des russischen Imperiums und der UdSSR Richtung Westen deutet. Die Ukraine als eigener Staat kommt in dieser Weltvorstellung nicht vor. Vielmehr besteht für die Ukraine in Dugins Augen eine Art historisches Schicksal, eine Grenzzone zwischen eurasischen und westeuropäischen Zivilisationen zu bilden, was einschließt, ihren verschiedenen ausgehandelten Einflusssphären unterworfen zu sein. Für Dugin erscheint es daher auch selbstverständlich, auf dem Reißbrett eine Teilung der Ukraine herbeizufantasieren: „Das Territorium zwischen Odessa und Charkiw werden wir befreien und so oder anders [an Russland] anschließen. Das steht nicht zur Diskussion. Die Westukraine als Teil von Polen ist auf den ersten Blick akzeptabel … Ein wahrer Sieg beginnt mit der Befreiung von Noworossija und weiter, wie es Gott will“.5

Am Abend des 20. August 2022 ist in der Oblast Moskau ein Sprengsatz an einem Auto explodiert, in dem Daria Dugina – Dugins Tochter und Mitstreiterin – saß. Sie starb noch am Tatort. In den Medien verbreiteten sich Mutmaßungen, wonach  das Attentat Dugin selbst gegolten habe, der sich jedoch kurzfristig entschieden haben soll, mit einem anderen Auto zu fahren.6 

aktualisiert am 22.08.2022


1.Diese Darstellung folgt Schmid, Ulrich (2015): Technologien der Seele: Vom Verfertigen der Wahrheit in der russischen Gegenwartskultur, Berlin, S. 136f., 212ff. 
2.Laruelle, Marlene (2015): Eurasianism and the European Far Right: Reshaping the Europe–Russia Relationship, Lexington, S. 11 
3.Shekhovtsov, Anton (2009): Aleksandr Dugin's Neo-Eurasianism: The New Right à la Russe, S. 698, in: Religion Compass 3-4, S. 697-716 
4.Die Welt: Putins Vordenker, ein rechtsradikaler Guru 
5.izborsk-club.ru: Aleksandr Dugin: Polʹskij vopros. Razdel Ukrainy? 
6.meduza.io: V Podmoskovʹe pogibla Darʹja Dugina. Ee džip vzorvali vo vremja dviženija 
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