Fotografische Perspektiven auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine:
BRENDAN HOFFMAN
Brendan Hoffman: Ich habe dieses Foto am 13. Juni dieses Jahres gemacht, also nur eine Woche nachdem russische Streitkräfte den Staudamm von Nowa Katschowka im Süden der Ukraine gesprengt hatten. Die Menschen waren (und sind) immer noch wütend und schockiert darüber. Es ist eine so sinnlose Katastrophe. Die Sprengung scheint keinen anderen Zweck zu haben, als die ukrainische Zivilbevölkerung zu bestrafen. Aber die Ukrainer sind darin geübt, schnell zu reagieren. Also fanden die Menschen Wege, um sich gegenseitig zu helfen und gelassen zu bleiben.
Den größten Teil des Tages habe ich in einem Tierheim verbracht, das Haustiere aufnahm, die bei der Überschwemmung von Cherson ausgesetzt worden waren. Den ganzen Tag von Hunden und Katzen umgeben zu sein – das ließ die Welt irgendwie in Ordnung erscheinen. Am Abend machte ich mich dann auf den Weg, um das Gebäude bei perfektem Licht einzufangen. Es ist immer noch schwer zu glauben, dass dies ein realer Ort ist. Es ist eines der wenigen Fotos, von dem ich schon im Vorhinein wusste, dass ich es machen wollte. Ich hatte allerdings keine Ahnung, dass dort ein Inlineskating-Kurs für Kinder stattfinden würde. Das war reines Glück. Für mich sind diese Kinder der Inbegriff von Freiheit.
Wie würdest du deine Erfahrungen als Fotograf während des Krieges gegen die Ukraine beschreiben?
Meine Erfahrungen sind insofern etwas ungewöhnlich, als dass ich ein dauerhaft in der Ukraine lebender Ausländer bin. Meine Frau ist Ukrainerin. Als die Invasion begann, konnte ich nicht einfach wieder nach Hause gehen. Zu allem Überfluss war meine Frau Ende Februar letzten Jahres im sechsten Monat mit unserem ersten Kind schwanger. Wir erlebten die erste Phase der Invasion zu Hause in unserem Schlafzimmer in Kyjiw. Dann verließen wir die Stadt. Etwa einen Monat lang arbeitete ich weiter, so gut es eben ging. Aber dann musste ich mich darauf konzentrieren, eine neue Wohnung in einem anderen Land zu finden und mich rechtzeitig dort einzuleben, um unseren Sohn auf der Welt willkommen zu heißen.
Vor einem Jahr kehrten wir schließlich in die Ukraine zurück. Ich gehe nicht oft an die Front, sondern bleibe meist in Kyjiw. Das ist zwar manchmal gefährlich, aber es gibt mir die Möglichkeit, zu erkunden, wie der Krieg alles berührt – auch abseits der Front. Und, wie alles trotzdem weitergeht.
Wie sollten Fotografen den Krieg deiner Meinung nach abbilden?
Ich denke, wir müssen über einzelne Fotos hinausdenken und uns auf den Gesamteindruck konzentrieren, den wir als Fotografen vermitteln. Es gibt visuelle Klischees. Wenn man die bedient, kann das dazu führen, dass fade, sich wiederholende und zu vereinfachte Bilder entstehen. Daran bin ich genauso schuld wie jeder andere auch. Soweit es möglich ist, müssen wir versuchen, ehrlich und klar zu zeigen, wie der Krieg ist: nicht nur für die Soldaten oder für die Opfer eines Raketenangriffs. Sondern für all die Millionen von Menschen, die ihn durchleben. Das kann kompliziert sein.
Gerätst du manchmal auch an den Rand deiner Möglichkeiten als Fotograf – insbesondere seit Beginn des Krieges?
Es gab Momente – zum Beispiel, als 2014 das Malaysia-Airlines-Flugzeug MH17 über dem Osten der Ukraine abgeschossen wurde –, in denen ich keine Fotos von dem machen wollte, was vor mir lag. Es war zu grausam, und solche grausamen Fotos würden mit hoher Wahrscheinlichkeit sowieso nicht veröffentlicht werden. Ich wollte das nicht tun und auch nicht dabei gesehen werden, wie ich solche Fotos mache. Es war, als ob die Leute eine falsche Vorstellung davon bekommen würden, was die Aufgabe eines Fotografen ist. Später bedauerte ich, dass ich die Bilder nicht gemacht hatte. Als historische Dokumente wären sie wichtig gewesen. Das ist es, was die Leute normalerweise meinen, wenn sie fragen, was auf einem Foto gezeigt werden kann oder sollte: Wie drastisch und blutig darf es sein, was ist akzeptabel? Krieg, das ist eine Frau, die von einer russischen Rakete aus ihrer Wohnung im 17. Stock in Kyjiw gesprengt wird und in Dutzenden von Teilen auf dem Parkplatz landet. Das war etwas, das ich letzten Monat gesehen habe. Die hässliche Realität zu vermeiden, fühlt sich an, als würde man die Wahrheit verbergen und einen Kreislauf des Tötens aufrechterhalten. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es wichtig ist, drastische Bilder zu machen, wenn man sie vor Augen hat – aber auch sehr genau darüber nachzudenken, wie sie, wenn überhaupt, gesehen werden.
Wie lässt sich deine Position als Fotograf in der Ukraine beschreiben?
Ich habe Glück, denn ich habe einen festen Arbeitsplatz und im Gegensatz zu vielen meiner ukrainischen Kollegen kann ich das Land verlassen, wann immer ich will. Ich bin zwar ziemlich eng mit der Ukraine verbunden, aber es ist trotzdem nicht mein Land. Ich werde nicht zum Kampf einberufen werden. Es ist ein schwieriger Balanceakt: Um gute Arbeit zu leisten, muss man einen Ort gut kennen, aber für mich ist auch eine gewisse Distanz erforderlich. Das war am Anfang am schwierigsten zu erreichen. Jetzt gibt es viele Momente, in denen ich weniger Beobachter sein möchte und stattdessen in irgendeiner Weise aktiver beteiligt sein möchte.
Brendan Hoffman: I took this picture on June 13 of this year, so it was only a week after Russian forces blew up the hydroelectric dam at Nova Kakhovka, in southern Ukraine. People were (and are) still angry and in shock about it - such a pointless catastrophe that didn't seem to have any function but to punish civilians and destroy infrastructure that supports some of the richest farmland in the world. Still, Ukrainians are practiced at leaping to action so people were finding ways to help and generally being stoic. I had spent most of the day at an animal shelter that was housing pets abandoned when Kherson flooded. Being surrounded by dogs and cats all day made the world feel kind of alright.
How does the photo make you feel when you now look at it?
It's still hard to believe this is a real place. It's so perfect for the age. This is a rare photo that I knew ahead of time I wanted to make, and I made a special trip one evening to catch it with the perfect light. I had no idea there would be a children's rollerblading class, however. That was pure luck, but to me those kids are freedom incarnate.
What were your experiences as a photographer during the war?
I'm slightly unusual as far as my experience, in that while I am a foreigner, I live permanently in Ukraine and my wife is Ukrainian. When the full-scale invasion began, I couldn't just do my assignment and then leave to go home again. To top it off, in late February of last year, my wife was nearly six months pregnant with our first child. We experienced the opening salvo of the invasion at home in our bedroom in Kyiv, and left the city the next day. I continued working as best I could for about a month but ultimately I had to focus on finding a new place to live in a different country and getting settled in time to welcome our son into the world.
We returned to Ukraine a year ago and I've been working pretty intensively since then, but again with a somewhat unusual role. I don't often go to the front lines and instead mostly stay in Kyiv, which is sometimes dangerous but more often gives me the opportunity to explore the fascinating and telling ways that the war touches everything, but everything still carries on.
In your opinion: How should photographers depict the war?
We have to think beyond individual frames to focus on the overall impression we give. There are deadline pressures and visual cliches that can conspire to produce bland, repetitive, and oversimplified imagery, and I'm as guilty as anyone of that. But to the extent possible, we really need to try to show with honesty and clarity of thinking what war is like, not just for soldiers or the victims of a missile attack, but for all the tens of millions of people living through it. It can be complicated.
Where do you feel your own limits? Could you reflect on your own photographic position, especially within the context of the on-going war?
There have been times - for example, when Malaysia Airlines flight MH17 was shot down over eastern Ukraine in 2014 - when I felt like a vulture and did not want to take pictures of what was in front of me. It was too graphic, and such graphic photos wouldn't be likely to be published anyway. I didn't want to do it and I didn't want to be seen doing it. It was like people would get the wrong idea about what a photographer's purpose is. Later, I had regrets that I hadn't made the pictures. I still think they were too graphic to be published, but they would be important as historical documents. This is normally what people mean when they ask about what can or should be shown in a photo: how graphic and bloody is acceptable? Of course, that's what war is, it's a woman blown out of her 17th floor apartment in Kyiv by a Russian missile and landing in the parking lot in dozens of pieces. That was something I saw last month. It's a dilemma because avoiding the ugly reality feels like hiding the truth and perpetuating a cycle of killing. I've come to the conclusion that it's important to make graphic pictures when presented with them but to be very thoughtful about how, if ever, they are seen.
As for my overall photographic position, I'm lucky. I have steady work and unlike many of my Ukrainian colleagues, I can leave the country when I want to and take a break, or I could pack up and move away entirely. While I'm pretty deeply enmeshed in Ukraine, it is still not my country and I'm not going to be called up to fight. It's a tricky balance: doing good work requires deep knowledge of a place but for me, it also requires a certain detachment. That was the hardest thing to achieve early on, and now there are a lot of times when I would like to be less of an observer and instead be more actively involved in some way.
BRENDAN HOFFMAN
geboren 1980 im US-Bundesstaat New York, lebt und arbeitet in Kyjiw. Er ist Mitbegründer des Prime Collectives, eine internationale Gruppierung aus Fotografen, Filmemachern und bildenden Künstlern, die sich in ihren Werken mit Fragen der sozialen und ökologischen Gerechtigkeit auseinandersetzen. Seit 2013 dokumentiert er vor allem die Geschehnisse in der Ukraine. Seine Arbeiten wurden weltweit vielfach veröffentlicht und ausgestellt.
Regelmäßig verfasst er Beiträge für Medienhäuser wie die New York Times und National Geographic.