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Russland und der Kolonialismus

Kolonialimperien – das sind immer die anderen. Und doch hat Russland über eine Vielzahl an Völkern geherrscht und sein Territorium seit dem 16. Jahrhundert auf das 22-Fache vergrößert. Von der Eroberung Sibiriens bis zur angeblichen „Brüderlichkeit der Sowjetvölker“ wird die Kontinuität des russischen Kolonialismus im Krieg gegen die Ukraine besonders deutlich. Die vor diesem Hintergrund erstarkende Idee einer Dekolonisierung Russlands versucht der Kreml mit allen Mitteln zu unterdrücken. 

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Olga Skabejewa

Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt. 

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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Souveräne Demokratie

Der Ausdruck geht auf den Kreml-Strategen Wladislaw Surkow zurück. Im Begriffspaar werden bewusst autoritäre Staatsvorstellungen mit demokratischen verbunden: es unterstreicht den russischen Anspruch auf Deutungshoheit bei der Auslegung von „Demokratie“ und auf Selbstbestimmung innerer Angelegenheiten. Das Konzept der „souveränen Demokratie“ war Teil der Reaktion der russischen Führung auf die unerwünschten Ereignisse der Orangen Revolution in der Ukraine, konnte sich aber  – auch aufgrund fehlender Unterstützung von Putin – nicht dauerhaft etablieren.

Die auf den ersten Blick ungewöhnliche Kombination von „Souveränität“ und „Demokratie“ entstammt Putins zweiter Amtszeit – einer Phase, die für die neue russische Geschichte von entscheidender Bedeutung ist. Die Wirtschaft wuchs rasant, die Lebensbedingungen verbesserten sich zusehends (s. a. Stabilisierung), und auch auf der internationalen Bühne begann Russland sich nach 15 Jahren weitgehender Bedeutungslosigkeit wieder zu etablieren – auch in Konkurrenz zum Westen.1 Gleichzeitig steht diese Phase für eine Festigung der autoritären Tendenzen des politischen Systems.2 Zwei Schlüsselereignisse sind mit dieser Entwicklung untrennbar verbunden: die Geiselnahme von Beslan im September 2004 und die Orange Revolution in der Ukraine im Winter 2004/5. Beide wiesen die russische Führung auf ihre eigene (potentielle) Verwundbarkeit hin und dienten zur Legitimierung verschärfter politischer Kontrolle. Die Entstehung des Begriffs „souveräne Demokratie“ muss in diesem Zusammenhang gesehen werden.

Der Begriff kursierte bereits 20053, öffentlich etablierte ihn Surkow jedoch erst bei einer Rede vor Aktivisten der Partei Einiges Russland am 7. Februar 2006. Der Souveränitätsaspekt bezeichnet dabei die Selbstbestimmung des russischen Staates nach außen: er dürfe nicht, wie angeblich in der Ukraine geschehen, durch äußere Kräfte unterwandert und ins Chaos gestürzt werden. Gleichzeitig sollte das Konzept der Demokratie aus der westlich-liberalen Deutungshoheit herausgelöst und mit eigenem Inhalt gefüllt werden.4 Kritiker setzten den Ausdruck sogleich in Beziehung zum Begriff der „gelenkten Demokratie“ und identifizierten ihn damit als Teil einer PR-Strategie zur Maskierung der schleichenden Autoritarisierung Russlands.5 Surkow versuchte zwar, ihn zur neuen Staatsideologie auszurufen. Er sollte jedoch vor allem als Symptom der Spannungen im russischen Selbstverständnis und weniger als Basis einer neuen Politik verstanden werden.6

Zwar versuchte die Führung der Partei Einiges Russland den Begriff als Schlüsselidee ihrer Wahlplattform zu etablieren7, gab ihn jedoch 2007 weitgehend auf (siehe Abb.1). Putin selbst vermied den Begriff und distanzierte sich bereits im September 2006 von ihm, als er andeutete, die beiden Teile gehörten zu unterschiedlichen konzeptuellen Sphären. Bevor die Konjuktur des Begriffs langsam abnahm, spielte er 2007 im Ringen um die Nachfolge Putins noch einmal eine Rolle: Sergej Iwanow, Verteidigungsminister und hochgehandelter Kandidat für das Präsidentenamt, erklärte ihn zu den wichtigsten Zielen des neuen Russlands, während der damalige stellvertretende Ministerpräsident Dimitri Medwedew ganz in der liberalen Tradition bemerkte, Demokratie brauche keine Attribute.8 Medwedew machte das Rennen, und spätestens mit dem „Reset“ der Beziehungen zu den USA und Medwedews rhetorischem Fokus auf die Modernisierung des Landes wurde der Begriff obsolet.9 Er hat bisher keine Renaissance erfahren.

Abb. 1: Anzahl der Beiträge in zentralen Medien mit Nennung des Begriffs "Souveräne Demokratie", 2004-2015. Quelle: Integrum10

1.Trenin, Dmitri (2011): Russia’s Foreign Policy Outlook, S. 46 in: Lipman, Maria / Petrov, Nikolay (Hrsg.): Russia in 2020, Washington, S. 45-65
2.Die Regierung baute die Vormachtstellung der Partei Einiges Russland durch Wahlrechtsreformen aus und beschränkte die Autonomie von Medien und Nichtregierungsorganisationen.
3.Hier ein Artikel des Publizisten Witalij Tretjakow, der „Souveräne Demokratie“ als Quintessenz der politischen Philosophie Putins verstehen will: rg.ru: Suverennaja Demokratija
4.Mommsen, Margareta (2006): Surkows „Souveräne Demokratie“ – Formel für einen russischen Sonderweg? In: Russlandanalyen Nr. 114
5.siehe beispielhaft Washington Post: Putin's 'Sovereign Democracy'
6.siehe dazu Morosow (2008): Sovereignty and democracy in contemporary Russia: a modern subject faces the post-modern world, in: Journal of International Relations and Development, 11(2), S. 152-180
7.Mommsen 2006, S. 2
8.ebd.
9.Trenin 2011
10.Anmerkung: Im Jahr 2015 wurde der Dezember nicht erfasst.
 
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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)