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Das toxische Wertpapier des Kreml

Das Treffen zwischen Putin und Lukaschenko in Sotschi am vergangenen Montag, 14. September, verlief leise. Nach rund vier Stunden Gespräch gab es keine offizielle Abschlusserklärung, fest stand nur, was man schon vorher wusste: Der Kreml gibt eine Geldspritze von 1,5 Milliarden Dollar.
In Sozialen Medien machten dagegen Fotos vom Treffen die Runde, auf denen Putin sich die Augen reibt und Lukaschenko in seinem Stuhl immer weiter Richtung Putin rutscht. In den Kommentaren lachten User über die Bildsprache.

Tatsächlich steht Lukaschenko mit dem Rücken zur Wand, sein einziger Verbündeter ist Russland. Doch auch der Kreml steht vor einem Dilemma, denn er hat viel zu verlieren: Kippt die prorussische Stimmung in Belarus, droht weitere Destabilisierung. Artyom Shraibman kommentiert auf Carnegie.ru.

Источник Carnegie

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte? – Putin und Lukaschenko bei ihrem Treffen in Sotschi / Foto ©  Screenshot RT

Von der Wahl in Belarus hatte man erwartet, dass nur einer als unanfechtbarer Sieger daraus hervorgehen würde: Russland. Alexander Lukaschenko hatte – als Reaktion auf die rasante Politisierung der Gesellschaft – im Laufe des Sommers die Repressionen gegen die belarussische Bevölkerung verschärft. Der Höhepunkt war das gewaltsame Vorgehen gegen Demonstranten unmittelbar nach der Wahl, was die Beziehungen zum Westen um viele Jahre zurückgeworfen hat.

Eine solche Entwicklung hätte Minsk allen Prognosen zufolge in die Arme des Kreml treiben müssen, der auf diese Weise einen Freibrief für Belarus erhält. Auf den ersten Blick ist auch genau das geschehen.

Doch tatsächlich erweist sich die politische Krise in Belarus als noch viel tiefer, als die kühnsten Prognosen vermuten ließen. Die internationale wie die innere Legitimität Lukaschenkos hat stärker gelitten, als es irgendeinem seiner verbliebenen Partner im Ausland lieb sein kann.

Lukaschenkos Legitimität hat stärker gelitten, als es Moskau lieb sein kann

Lukaschenko hat sich wochenlang auf das Treffen mit Putin [am Montag, 14. September 2020 – dek] vorbereitet. Der Westen ist wieder zum Hauptfeind avanciert; um das deutlich zu machen, wurden sogar belarussische Fallschirmjäger an die polnische Grenze verlegt. Lukaschenko beschuldigte die Opposition wieder, russophob zu sein und im Auftrag der USA zu handeln – obwohl noch Anfang August laut Lukaschenko russische Strippenzieher am Werk gewesen waren.

Die Regierung versucht die Proteste zu ersticken, indem sie den Grad der Repressionen Woche um Woche erhöht. Wieder hunderte Festnahmen, Wasserwerfer und Leuchtraketen. Die Gewalt macht auch nicht vor demonstrierenden Frauen halt. Lukaschenko wollte in Sotschi als Leader auftreten, der den Aufstand bei sich zu Hause bereits besiegt hat.

Doch das hat nicht funktioniert. Das Ausmaß der regionalen Proteste ist zwar nicht mehr dasselbe wie noch vor einem Monat – in etwa zehn Städten demonstrieren die Leute, nicht mehr in hundert. Aber zu den sonntäglichen Kundgebungen in Minsk, dem Hauptbarometer der Protestbewegung, kommen immer noch 100.000 bis 150.000 Menschen. Hochgerechnet auf die Bevölkerung Moskaus, wären das bis zu einer Million Menschen, die dort Woche für Woche auf die Straße gehen.

Lukaschenko wollte als Leader auftreten

Das Treffen in Sotschi fand ohne Delegationen statt, die Präsidenten sprachen mehr als vier Stunden unter vier Augen. Eine gemeinsame Abschlusserklärung gab es nicht. Das einzige konkrete Ergebnis blieb der Kredit von 1,5 Milliarden Dollar, den Putin Lukaschenko schon vor dem Gespräch zugesichert hatte.

Das ist eine erhebliche, wenn auch nicht überwältigende Unterstützung. Ungefähr die gleiche Summe hat die belarussische Nationalbank im August ausgegeben, um der Panik auf dem Währungsmarkt entgegenzuwirken.

Gleich zu Beginn sagte Putin, dass er die von Lukaschenko geplante Verfassungsreform unterstützt. Allen ist klar, dass sie den Auftakt zu einem Machttransfer bildet.

Wie schon bei früheren Treffen in Sotschi sprach Lukaschenko viel davon, dass man wahre Freunde in der Not erkennt und man in Wirtschaftsfragen „mit dem großen Bruder enger zusammenrücken“ müsse. Jetzt sind das allerdings mehr als höfliche Floskeln – die freundschaftlichen Brücken zum Westen hat die Regierung in Minsk niedergebrannt und damit den einstigen Balanceakt beendet.
Aus ersichtlichen Gründen sind sich der belarussische und der russische Präsident nie als gleichberechtigte politische Figuren begegnet. Jetzt wird die Ungleichheit noch dadurch verstärkt, dass beide wissen, wer die lahme Ente im Raum ist und wer das Futter in der Hand hält.
Doch sollte man nicht voreilig den Schluss ziehen, Putin hätte einen einfachen Partner bekommen, der alles tun wird, was Moskau von ihm verlangt. 

Beide wissen, wer die lahme Ente im Raum ist und wer das Futter in der Hand hält

Noch dazu macht es jetzt bei vielen Dingen gar keinen Sinn mehr, von Lukaschenko bestimmte Zugeständnisse einzufordern: Es wäre ein genauso riskantes Unterfangen, einen schwachen Lukaschenko zu einer engeren Integration zu zwingen wie einen starken Lukaschenko dazu zu überreden. So ist nach dem Vertrauen nun auch die Planungssicherheit in den Beziehungen zwischen Minsk und Moskau verschwunden. Beide Parteien können nicht mehr auf die Ewigkeit zählen, an die sie sich als lebenslange Autokraten gewöhnt hatten. Wenn Putin Lukaschenko zum Beispiel jetzt dazu nötigt, einen gemeinsamen Fahrplan zu unterzeichnen, würde er sich damit mehr Probleme als garantierte Vorteile verschaffen.

Wenn die Protestierenden sehen, dass Lukaschenko das Land verrät, bekommt die bislang prodemokratische Massenbewegung den Beigeschmack eines nationalen Befreiungskampfes. Die stabile prorussische Mehrheit unter den Belarussen wird man in dem Fall vergessen können. Denn wenn der durchschnittliche Belarusse zwischen Sympathien für Russland und der Abneigung gegen Lukaschenko wählen muss, wird er sich für die zweite, stärkere Emotion entscheiden. Und wenn sich Moskau hinter einen Herrscher stellt, den der überwiegende Teil der Bevölkerung offenbar satt hat, poliert er in Augen der Belarussen damit nicht dessen Image auf, sondern er ruiniert das eigene.

Vermutlich ist das der Grund, warum Dimitri Peskow den Effekt der Unterstützung für Lukaschenko abzumildern versuchte. Nach dem Treffen in Sotschi sagte er, Moskau liebe und schätze alle Belarussen – sowohl die, die mit dem Wahlergebnis einverstanden sind als auch alle anderen.

Wenn der Belarusse zwischen Sympathien für Russland und der Abneigung gegen Lukaschenko wählen muss, wird er sich für die zweite, stärkere Emotion entscheiden

Noch entscheidender ist die Tatsache, dass Lukaschenkos Unterschrift im Wert gesunken ist. Denn sollte Lukaschenko seine Position im Land festigen können, wird er von einer Vertiefung der Integration wieder Abstand nehmen, und zwar genauso schnell, wie er bei diesen Wahlen den äußeren Feind gewechselt hat: vom Westen zu Russland und wieder zurück. Sollte Lukaschenkos Position im Land dagegen weiter geschwächt werden, wird er schlicht keine Zeit haben, solch ambitionierte Pläne umzusetzen.

Auch mit der internationalen Legitimität würde es Probleme geben. Vermutlich wird kein Deal, der die belarussische Souveränität spürbar einschränkt, im Westen akzeptiert werden. Deswegen besteht das Risiko, dass das belarussische Protektorat zu einer großen Krim wird: von Investitionen und vom Weltmarkt durch Sanktionen abgeschnitten, wäre es ein noch viel größeres Gewicht am Hals des russischen Budgets als in den Jahren der Spitzensubventionen

Will Moskau also eine ordentliche Gegenleistung für die Unterstützung Lukaschenkos, dann müssen das handfeste Zugeständnisse sein, die nicht zerredet werden und die der belarussische Präsident auch tatsächlich schafft umzusetzen. Das können zum Beispiel Privatisierungen attraktiver belarussischer Vermögen sein, wie erdölverarbeitende und Rüstungsbetriebe oder das riesige Kali-Kombinat Belaruskali. 

Es besteht das Risiko, dass das belarussische Protektorat zu einer großen Krim wird

Bedenkt man, dass es in all diesen Firmen Streikversuche gab und Lukaschenko in einer davon – der Minsker Fabrik für Radschlepper – von den Arbeitern ein lautes „Hau ab!“ hörte, fühlt er sich diesen Aktiva möglicherweise sowieso nicht mehr so verbunden. 
Man kann wieder von Lukaschenko fordern, dass er einem russischen Militärstützpunkt im Land zustimmt, nachdem Minsk das Bild des neutralen Stabilitätsgaranten in der Region ja ohnehin begraben hat. Aber dieses Thema kann in solch emotionalen Momenten ähnliche innenpolitische Auswirkungen haben wie die Forcierung einer Integration: Der Verdacht, Lukaschenko könnte Grüne Männchen ins Land lassen, mobilisiert die Demonstranten.

Dass deren Befinden dem Kreml ein großes Anliegen wäre, kann man zwar nicht behaupten: Die russische Staatsmacht neigt genauso wie die belarussische dazu, demonstrierenden Menschenmengen jede Selbstbestimmtheit abzusprechen und stattdessen die wahren und fast immer ausländischen Drahtzieher und Ideengeber ausfindig machen zu wollen. 

Aber selbst in diesem Weltbild widerspricht eine noch stärkere Destabilisierung als bisher sowohl den Interessen Lukaschenkos als auch Putins. Sie wäre aber unausweichlich, wenn Moskau der Verführung erliegt, den Gesprächspartner bei den Hörnern zu packen.
Das hat man im Kreml verstanden, auch wenn man ihm sonst mitunter Realitätsverlust zuschreiben kann.

Der Verdacht, Lukaschenko könnte Grüne Männchen ins Land lassen, mobilisiert die Demonstranten

Das ideale Szenario für Moskau, an dem man dort sicher arbeitet, wäre eine unblutige Stabilisierung der Situation durch Lukaschenko selbst und anschließend ein fließender, mit dem Kreml abgestimmter Machttransfer hin zu einem horizontaleren Modell
So könnte Moskau, ohne sich auf Lukaschenko oder seinen potentiellen Nachfolge-Kandidaten einzuschießen, auf bekannte Art Einfluss auf die belarussische Politik nehmen: über loyale Parteien, einzelne Silowiki, Beamte und Politiker, indem es Bereiche der belarussischen Wirtschaft und Geldströme kontrolliert – ohne Vetorecht eines allmächtigen Präsidenten. 
   
Aber der Teufel steckt im Detail. Niemand weiß, was Lukaschenko von diesem Plan hält. Will er sich im Grunde schnell aus dem Staub machen? Oder sind die Gespräche über eine neue Verfassung und Neuwahlen ein Versuch, Zeit zu gewinnen und die Gegnerschaft zu spalten? Inwiefern werden sich seine Pläne ändern, wenn die Proteste aufhören? Ist er wirklich bereit, mit dem Kreml, dem er immer noch nicht vertraut, über die heikle Frage eines Machttransfers zu sprechen?

Moskaus ideales Szenario: ein unblutiger Machttransfer

Diese Dinge werden die beiden Parteien allem Anschein nach wie immer wirtschaftlich klären. Die westlichen Sanktionen und das Misstrauen der Belarussen in staatliche Institutionen verschlechtern das Investitionsklima der belarussischen Ökonomie empfindlich. Ohne flächendeckende und regelmäßige Finanzspritzen aus dem Ausland kann man Wirtschaftswachstum unter Lukaschenko vergessen. So wie früher ist das Land auf ein jährliches Zubrot in Höhe von drei bis fünf Milliarden Dollar angewiesen. Doch für Lukaschenko ist der Zugang zu den globalen Anleihemärkten gesperrt. Die einzige Hoffnung ist Russland.   

Aber Lukaschenko wird verhandeln, auch wenn er im Moment mit dem Rücken zur Wand steht. Anstatt dem Kreml Zugeständnisse zu versprechen, wird er beteuern, dass er das Land vor einem antirussischen Aufstand und den NATO-Panzern vor Smolensk rettet. Und allein diese Dienste seien eines Entgelts würdig. Als Antwort wird er weitere kränkende Anspielungen hören, dass er mal langsam abtreten soll.
  
Moskau muss diesen Dialog mit Bedacht führen. Wenn die belarussische Nomenklatura oder die Gesellschaft spüren, dass Lukaschenko den Rückhalt Russlands verliert, dann kann das sein Regime ganz schnell zu Fall bringen. Das kann der Kreml nicht zulassen, solange er keine anderen verlässlichen Partner in der belarussischen Regierungselite oder Opposition hat.  

Vom überreifen Apfel zum toxischen Wertpapier

Lukaschenko versteht, wie wichtig dieses Kontaktmonopol ist und blockiert weiterhin separate Gespräche der Nomenklatura mit Moskau, zerschlägt Strukturen und verhaftet Oppositionsführer, damit Russland nur ja keinen anderen Gesprächspartner findet.   

Von einem überreifen Apfel, der Moskau ganz von selbst hätte in die Hände fallen müssen, wird das belarussische Regime mehr und mehr zu einem toxischen Wertpapier: Man kann mit ihm weder Geschäfte machen, noch kann man es loswerden.    
Wenn es Lukaschenko gelingt, die Akutphase der Proteste in seinem Sessel zu überstehen, dann muss Moskau Zuckerbrot und Peitsche sorgfältig dosieren, um den belarussischen Präsidenten dorthin zu bekommen, wo es ihn haben will, ohne ihn aus Versehen zu schwach oder zu stark werden zu lassen. Von der Regierung in Moskau erfordert das permanente Aufmerksamkeit und ein tiefes Verständnis der Situation in Belarus.     

Nun ist die Kreml-Politik im postsowjetischen Raum allerdings nicht gerade reich an Beispielen für ein solches Fingerspitzengefühl. Konflikte anzetteln und einfrieren ist eine Sache. Eine ganz andere ist es, einen geordneten Transfer mitzugestalten – in einem Land, in dem Moskau trotz gemeinsamer Sprache über keine verlässlichen Stützpfeiler verfügt.

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Alexander Lukaschenko

Im Jahr 2024 feiert Alexander Lukaschenko zwei runde Jubiläen: Seinen 70. Geburtstag und 30 Jahre im Amt. Er wurde 1954 geboren. Über seinen Vater ist nichts bekannt, seine Mutter, Melkerin in einer Kolchose, hat ihn allein aufgezogen. Sie lebten in Armut. Auf die Frage eines Journalisten: „Wie lebten Sie als Kind?“ sagte Lukaschenko, damals bereits Präsident: „Bettelarm war ich!“1 Allem Anschein nach wurde die alleinstehende Mutter von den Dorfleuten gepiesackt. Uneheliche Kinder waren damals gesellschaftlich nicht akzeptiert. Der Publizist Alexander Feduta, nunmehr aus politischen Gründen inhaftiert, beschreibt Lukaschenko folgendermaßen: „Wir haben es mit einem typischen komplexbehafteten Dorfjungen zu tun, vaterlos oder, wie es auf dem belarussischen Land heißt, ein bajstruk.“2  

Wie schaffte es dieser Dorfjunge aus dem Osten von Belarus an die Spitze der Macht in seinem Land, die er als Diktator schließlich an sich riss? Wie gelang es Lukaschenko, ein System zu errichten, das die belarussische Gesellschaft bis heute unter Kontrolle hat? Waleri Karbalewitsch, Autor einer Lukaschenko-Biographie, über das autoritäre Machtgefüge in Belarus. 

Der Weg zur Macht 

Anhand der Bruchstücke, die Lukaschenko über seine ersten Lebensjahre preisgibt, gewinnt man keineswegs den Eindruck einer glücklichen Kindheit, ganz im Gegenteil. Wir sehen Neid auf andere Kinder, die mit mehr Wohlstand gesegnet waren, den Komplex eines zu kurz gekommenen Menschen. „Die 1950er Jahre waren eine schwere Zeit, eine furchtbare Not. Ich weiß noch, was für ein Kampf bei uns im Dorf herrschte. Wer stärker war, überlebte, Familien mit kräftigen Männern und Vätern hatten es leichter. Ich hab meinen Teil wegbekommen …“, sagte Lukaschenko.3 
 

„Die junge Generation wählt Alexander Lukaschenko.“ Wahlwerbung zu den Präsidentschaftswahlen im Jahr 1994 / Foto © Archiv/Tut.by 

Nach der Wahl zum Präsidenten im Jahr 1994 nahm Lukaschenko seine Frau bekanntlich nicht mit nach Minsk. Nach ein paar Monaten machte ein Witz die Runde, von dem böse Zungen behaupten, er sei die reine Wahrheit: Frau Lukaschenko habe auf die Frage von Nachbarn, warum sie ihm nicht hinterherfahre, geantwortet: „Ach, mein Saschka bleibt doch nie irgendwo länger als zwei Jahre.“ 

Tatsächlich beeindruckt sein Lebenslauf, bevor er Präsident wurde, durch häufige Arbeitsplatzwechsel. Paradoxerweise ist der einzige Posten, den er jemals länger innehatte, das Präsidentenamt.  

Die häufigen Jobwechsel zeugen von Lukaschenkos Unverträglichkeit. Fast überall war seine Tätigkeit von Konflikten begleitet. Seine Frau erinnerte sich: „Wo auch immer er war, immer und überall schlug er sich mit seiner Sturheit und Direktheit die Nase an. Natürlich war das störend. Misserfolge und Kränkungen vertrug er ganz schlecht.“4 Der psychologische Begriff hierfür ist Fehlanpassung, also, die Unfähigkeit, sich an soziale Normen anzupassen, die es in jeder Gesellschaft gibt. Das hinderte ihn daran, Karriere zu machen und im sowjetischen System ein hohes Amt zu ergattern. Er wirkte eher wie ein Außenseiter, ein Loser.  

Doch mit Beginn der Perestroika, mit Glasnost und Demokratisierung, waren diese Charakterzüge, die ihm früher so im Weg gestanden hatten (weil sie zu Konflikten mit der Obrigkeit führten), plötzlich von Vorteil. In dieser Zeit des Kampfes gegen die Parteinomenklatur, die sich mit Händen und Füßen gegen Reformen sträubte, erfreuten sich mutige Akteure, die sich entschlossen zeigten, immer größerer Beliebtheit. Und Lukaschenko passte reibungslos ins Bild eines Kämpfers für Gerechtigkeit, eines Siegers über das System. Außerdem entdeckte er sein Talent zum Politiker, der in der Öffentlichkeit steht, vor Publikum spricht, dessen Aufmerksamkeit er bannt. Also stürzte er sich Hals über Kopf in die Politik, eine für ihn ganz neue Sphäre, in der er sich bald zu Hause fühlte. 1990 machte er den Schritt vom Direktor einer Provinz-Sowchose zum Abgeordneten des Obersten Sowjets der BSSR. Die Sitzungen dieses Machtorgans wurden damals live im Fernsehen übertragen. Lukaschenko trat häufig auf, hatte zu allen Themen etwas zu sagen. Bald kannte ihn das ganze Volk.  

Wie so oft in der Geschichte ging es auch hier nicht ohne Zufall. Um einen politischen Höhenflug zu schaffen, muss einer auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde der Oberste Sowjet zum Parlament des unabhängigen Belarus, und Lukaschenko wurde zum Vorsitzenden einer parlamentarischen Kommission zur Bekämpfung der Korruption gewählt. Diesen Posten wusste er höchst effektiv für sich zu nutzen, nannte sich gar den obersten Korruptionsbekämpfer des Landes. Unter anderem deswegen konnte er bei den Präsidentschaftswahlen 1994 einen triumphalen Sieg einfahren. Lukaschenko war der Inbegriff des „Volkskandidaten“. Seine ganze Erscheinung, seine Kultur, seine Sprache und seine Art zu sprechen, das war dem Volk alles sehr nah und vertraut. Viele Menschen konnten sich mit ihm identifizieren. 

Natürlich war er nicht sofort ein Diktator. Anfangs waren seine Reden von Enthusiasmus und dem aufrichtigen Wunsch geprägt, dem Volk zu dienen und das Land so schnell wie möglich aus der Krise zu führen. Er sagte: „Schweißausbrüche bereitet mir nur der Gedanke, die Versprechen nicht einlösen zu können, die ich den Menschen bei den Wahlen gegeben habe.“5 Für den Fall seines Scheiterns zog er sogar einen freiwilligen Rücktritt in Betracht. 

 

Lukaschenko bei seiner Inauguration am 20. Juli 1994 im Obersten Sowjet, noch neben der weiß-rot-weißen Fahne, der damaligen Staatsflagge, die heute verboten ist.

Machthunger und Gewaltenteilung 

Bald nach seinem Amtsantritt stieß Lukaschenko auf das, was man Gewaltenteilung nennt. Völlig überraschend für ihn: Es gab ein Parlament und ein Verfassungsgericht, die ebenfalls einen Teil der Macht für sich beanspruchten. Für Lukaschenko war das inakzeptabel. In seiner Vorstellung ist wahre Macht nur absolute Macht. Der neue Präsident wies also ein allgemein anerkanntes Element der Demokratie wie die Gewaltenteilung, die Checks and Balances einer Regierung, entschieden von sich. 1996 verkündete er, das Prinzip der Gewaltenteilung sei „eine Bedrohung für unseren Staat“6 geworden. „Werft dieses Gleichgewicht, diese Balance und Kontrolle aus euren Köpfen!“; „Ich will, dass der Staat ein Monolith ist“7, sagte Lukaschenko. 

Ganze zwei Jahre war er damit beschäftigt, andere Zentren der Macht zu beseitigen und zu zerstören. Das geschah unter anderem mithilfe eines gefälschten Referendums über eine neue Verfassung, das Politiker und Juristen einen Staatsstreich nannten. Ende 1996 hatte er ein personalistisches autoritäres Regime installiert, in dem nur eine einzige staatliche Institution tatsächlich Einfluss hat: Alexander Lukaschenko. Wahlen wurden zur Fiktion, die Opposition wurde aus allen staatlichen Einrichtungen geworfen, und der Staat erhielt das Monopol auf alle TV- und Rundfunksender.        

Lukaschenkos dominanter Charakterzug, die Kernidee seiner Weltanschauung ist ein grenzenloser Machthunger, der vor nichts haltmacht. Allem Anschein nach ist dieses Streben nach Allmacht der Grund dafür, dass Lukaschenko sich strikt weigert, die Todesstrafe abzuschaffen oder ein Moratorium darüber zu verhängen. Denn das Recht, einen Menschen bis hin zur Tötung zu bestrafen oder auch zu begnadigen, galt schon in alten Zeiten als einer der wichtigsten Faktoren der Macht. Deswegen ist Belarus das einzige Land Europas, in dem die Todesstrafe zur Anwendung kommt. 

An Lukaschenkos Äußerungen sieht man, dass für ihn die Frage nach der Macht eine Frage von Leben und Tod ist. Wenn er seinen Opponenten vorwirft, ihn seines Amtes entheben zu wollen, so ist das für ihn dasselbe wie ein Mordanschlag. Der Führer hat keinen Zweifel: Verliert er die Macht, rechnet er mit einem schrecklichen Gericht für sich. Ein Leben ohne Macht kann Lukaschenko sich nicht vorstellen: Es verliert seinen Sinn. Als er 2020 dem ukrainischen Talkmaster Dmytro Gordon ein Interview gab, sagte Lukaschenko auf die Frage, ob er nicht zurücktreten wolle: „Ich kenne ja nur diese Lebensart … Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Gut, also schön, ich bin nicht mehr Präsident – und was mach ich dann morgens nach dem Aufstehen?“8 An den kritischen Tagen der Massenproteste 2020 wiederholte Lukaschenko immer wieder, er werde an der Macht bleiben, solange er lebe. Bei einem Auftritt in der Radschlepperfabrik am 17. August 2020 verkündete er: „Solang ihr mich nicht umbringt, wird es keine anderen Wahlen geben.“9     

Die Abgeordneten der BNF während des Hungerstreiks aus Protest gegen Lukaschenkos umstrittenes Referendum im Jahr 1996 / Foto © Archiv/Tut.by 

Die Ideologie des Systems 

Das Lukaschenko-Regime ist auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR das prosowjetischste. Lukaschenko betont immer wieder, dass seine Vorlage für den Aufbau eines Staats die sowjetische Gesellschaftsordnung sei, und Lenin und Stalin nennt er „Symbole unseres Volkes“10. Als Wappen und Fahne der Republik Belarus bestimmte er die Symbolik der zur Sowjetunion gehörigen BSSR in leicht abgeänderter Form. Die Namen von Straßen und Plätzen sowie die Denkmäler sind seit der Sowjetzeit unverändert geblieben. Belarus ist das einzige postkommunistische Land, in dem der KGB noch immer KGB heißt.  

Lukaschenko lehnte von Anfang an die Ideologie des belarussischen ethnokulturellen Nationalismus ab. Mit Hilfe eines Referendums drängte er die belarussische Sprache an den Rand und tauschte die weiß-rot-weiße Flagge und das Wappen in Folge eines weiteren umstrittenen Referendums aus. Die staatliche Propaganda setzt belarussischen Nationalismus mit Nazismus gleich. Und das nicht nur, weil Lukaschenko Moskau nicht reizen will, dem jeglicher Nationalismus in seinen Nachbarländern ein Dorn im Auge ist. Lukaschenkos traditionelle Wählerschaft ist russischsprachig, für sie existiert ohnehin keine belarussische Identität. Sein wichtigster politischer Gegner war lange die Partei BNF mit ihren nationalistischen Losungen.  

Der Hauptgrund für Lukaschenkos Aversion gegen Nationalismus ist aber, dass man damit eine Gesellschaft mobilisieren kann. Er formt eine Zivilgesellschaft, fördert horizontale Verbindungen, stimuliert die Solidarität. Lukaschenko aber braucht eine atomisierte Bevölkerung, die nur durch staatliche Institutionen zusammengehalten wird. Er braucht keine Gesellschaft als selbständiges Subjekt, das Verantwortung für das Schicksal ihres Landes übernimmt. 

Insgesamt kann man wohl sagen, dass dieses System keine greifbare Ideologie zu bieten hat. Die Narrative der Propaganda sind eklektisch, da mischen sich Elemente der sowjetischen Vergangenheit mit Ideologemen von Russki Mir, mit der Ablehnung von Liberalismus und westlichen Werten und so weiter. In gewissem Sinne ist dieser Mangel an Ideologie dem Regime sogar zuträglich, denn so kann es seine politische Linie je nach Konjunktur verändern. In Belarus gibt es keine Regierungspartei, die eine faktische Macht ausübt. Denn Lukaschenko hatte immer die Sorge, sie könnte eine von ihm unabhängige Elite konsolidieren. 

Gründe für die lange Herrschaft 

Wie ist es Lukaschenko gelungen, so lange an der Macht zu bleiben? Hier sind mehrere Faktoren zu bedenken. Erstens entsprach das belarussische Gesellschaftsmodell lange Zeit den Bedürfnissen und Vorstellungen, die die Mehrheit der Bevölkerung in Bezug auf Politik hatte. Es basierte auf staatlicher Dominanz in Wirtschaft und Sozialwesen – ein wirksames Instrument zur Kontrolle über die Gesellschaft, zur Umgehung der Gewaltenteilung und zur Herrschaft eines Einzelnen –, auf einer Partnerschaft mit Russland und einem Konflikt mit dem Westen. Der Großteil der Bevölkerung (Staatsbedienstete, Angestellte staatlicher Betriebe, Rentner) war finanziell vom Staat abhängig. Die Hemmung marktwirtschaftlicher Reformen führte zur Konservierung sozialer Strukturen.  

Zweitens spielte Lukaschenkos ausgeprägte politische Intuition eine Rolle, sein angeborenes Gespür, mit dem er das richtige Vorgehen oder eine Bedrohung erkennt, sein Charisma und auch sein Populismus, sein Talent, zum Volk in einer für sie verständlichen Sprache zu sprechen. Dem politischen Triumph des Diktators liegt in hohem Maße seine erstaunliche Fähigkeit, ja geradezu Kunstfertigkeit zugrunde, die Menschen zu manipulieren. Er ist ein begabter Schauspieler mit vielen Rollen im Repertoire, ein faszinierender Verwandlungskünstler. Je nachdem, wem er gerade gefallen will, kann er äußerst liebenswürdig sein. Seinen hauseigenen Stil macht aus, dass er bei ein und derselben Gelegenheit, oft sogar im selben Satz, widersprüchliche, manchmal sogar einander ausschließende Thesen formuliert. Und jeder Zuhörende hört das heraus, was ihm lieber ist, was ihm besser gefällt. 

Drittens hat Lukaschenko alle Mechanismen zum Machtwechsel komplett ausgeschaltet. Die Wahlen sind zum reinen Dekor geworden, sie beeinflussen nichts, und ihr Ergebnis ist im Voraus bekannt. Auf legalem Weg kann es in Belarus keinen Machtwechsel mehr geben. Und zu einer Revolution war die belarussische Gesellschaft vor 2020 nicht bereit. Außerdem hat Lukaschenko jede politische Konkurrenz in den Machtorganen verunmöglicht. Sobald irgendein Beamter an politischer Bedeutung gewann, wurde er seines Amtes enthoben.    

Lukaschenko hat alle Mechanismen zum Machtwechsel komplett ausgeschaltet. Die Wahlen sind zum reinen Dekor geworden /Foto © Natalya Talanova/Tass Publication/Imago

Lukaschenkos politische Stütze ist der Staatsapparat. Während der akuten politischen Krise im Jahr 2020 kam es nicht zu einer Spaltung der Eliten, was eine wichtige Bedingung für den Sieg der Revolution gewesen wäre. Und zwar deswegen, weil es in Belarus keine einzige staatliche Institution gibt, die vom Volk gewählt wird, dem Volk Rechenschaft schuldet, vom Volk kontrolliert wird.  

Und natürlich verlässt sich Lukaschenko auf seine Silowiki. Daraus macht er auch keinen Hehl: „Die Vertikale ist stabil. Sie stützt sich auf den KGB und das MWD11. „Der KGB ist die Basis für eine starke Präsidialmacht.“12 

Viertens kann das wirtschaftlich ineffiziente belarussische Gesellschaftsmodell nur dank der Unterstützung aus Russland überleben. In manchen Jahren betrug die russische Wirtschaftshilfe rund 15 bis 20 Prozent des belarussischen BIP.  

Der Ego-Kult 

Lukaschenko hat ein Selbstbild, als verfügte er über übernatürliche Fähigkeiten. Er suhlt sich in Größenwahn und Überlegenheitsgefühl. Immer wieder erzählt er bei öffentlichen Auftritten Geschichten davon, wie jahrelang bettlägerige Kranke dank ihm, dem Führer, wieder gesund wurden. So erzählt er über Boris Jelzin, den ehemaligen Präsidenten Russlands: „In Jelzins Umfeld hieß es immer: Boris Nikolajewitsch fehlt irgendwie der Elan, wir sollten wieder mal den belarussischen Präsidenten einladen. Der verleiht dem russischen Präsidenten dann wieder für drei, vier Monate Flügel. Es hieß, Jelzin würde von mir eine ordentliche Ladung Energie bekommen.“13 Lukaschenko begann von sich zu sprechen wie von einem Heiligen: „Ich bin makellos“14; „Ich bin der (seelen)reinste Präsident der Welt!“15 

Die bizarrsten Formen nimmt Lukaschenkos Drang zum Größenwahn an, wenn er an Sportwettkämpfen und Eishockeyspielen teilnimmt und immer den Sieg davonträgt. Sein Kindheitstraum, Sportstar zu werden, ein Idol für Tausende Fans, die ihn von den Tribünen herunter bejubeln, wird nun auf groteske Weise wahr. Dank der staatlichen Behörden sind diese Wettkämpfe Ereignisse von nationaler Bedeutung. Es werden Unsummen ausgegeben, um berühmte Sportler einzuladen. Und um den Präsidenten mit vollbesetzten Tribünen zu erfreuen, werden Schüler und Studenten vom Unterricht befreit und reihenweise unter Aufsicht ihrer Lehrer ins Stadion oder in die Eishalle gekarrt. Die ganze Führungsriege des Landes wohnt solchen Events bei. Und die staatlichen Medien berichten darüber mit einer Ernsthaftigkeit, als ginge es um wichtige politische Nachrichten.  

Lukaschenkos Hang zum Populismus und der Wunsch, seiner anspruchslosen Wählerschaft zu gefallen, führen dazu, dass er nie ein Blatt vor den Mund nimmt und Sachen sagt, die so gar nicht zu einem Staatsoberhaupt passen. Sein politischer Stil lässt sich nicht ins Konzept von Political Correctness zwängen.     

Ein Protestmarsch im August 2020 in der belarussischen Hauptstadt Minsk / Foto © Homoatrox/Wikimedia unter CC BY-SA 3.0

Das Jahr des Umbruchs  

Zu Beginn seiner Präsidentschaft wurde Lukaschenko tatsächlich von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Doch während seiner 30-jährigen Amtszeit ist eine neue Generation herangewachsen. Die Massenproteste 2020 zeigten, dass das archaische sozioökonomische und politische System sowie die autoritären Regierungsmethoden bei den meisten Leuten Abscheu erregen. In Belarus haben wir heute auf der einen Seite eine immer moderner werdende Gesellschaft, die auf Veränderungen abzielt und sich vom staatlichen Paternalismus befreien will, und auf der anderen Seite die Staatsmacht, die am Status quo festhält. Die Gesellschaft wächst über den Staat hinaus, in dessen Rahmen es ihr zu eng geworden ist. Doch Lukaschenko merkt nicht einmal, dass er und sein Land in unterschiedlichen historischen Epochen leben.

Und auch hier ist passiert, was praktisch allen Diktatoren passiert, die zu lange an der Macht sind: Die Staatsmacht hat den Draht zur Gesellschaft verloren. Im Laufe dieser 30 Jahre hat Lukaschenko es nicht geschafft, mit seinem Volk und dessen Problemen wirklich in Berührung zu kommen. Begegnungen mit der Bevölkerung werden gründlich vorbereitet und durchinszeniert, die Teilnehmer sorgfältig ausgewählt. So verliert selbst ein talentierter Politiker das Gefühl für das Volk. Seine Wahrnehmung der Welt wird inadäquat. Und dann sind ihm in Krisenzeiten, sei es aufgrund der Covid-Pandemie oder im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen, ein Fehler nach dem anderen unterlaufen. In jenem denkwürdigen Jahr 2020 traf er die schlechtesten aller möglichen Entscheidungen. Zum Beispiel ließ er alle Präsidentschaftsanwärter, die ihm gefährlich werden konnten, verhaften, die vermeintlich „schwache“ Swetlana Tichanowskaja jedoch kandidieren, in der festen Überzeugung, es würde sowieso keiner eine Frau wählen, schon gar nicht eine Hausfrau. Der Protest wurde mit roher Gewalt niedergeschlagen. Lukaschenko erlitt selbst wohl ein psychisches Trauma: Zerstört war sein Image als „Volkspräsident“, das er jahrzehntelang so gepflegt hatte. Dabei hatte er ernsthaft an seine Mission geglaubt, das Volk zu vertreten. „Ich glaube, dass nichts und niemand in der Lage ist, einen Keil zwischen den Präsidenten und das Volk zu treiben, das ihn gewählt hat“16, sagte er mal zu Beginn einer neuen Amtszeit.   

Wahrscheinlich dachte er, sein Volk hätte sich von ihm abgewandt. Hatte er doch in den letzten Jahrzehnten immer wieder seine enge Beziehung zum belarussischen Volk betont. Als die Proteste gegen ihn begannen, hatte Lukaschenko ein paar Wochen lang Angst, im Auto durchs Land zu fahren, und flog mit dem Hubschrauber. Als sich seiner Residenz eine Menschenmenge näherte, zog er sich eine kugelsichere Weste an, nahm ein Maschinengewehr, stieg mit Sohn Kolja in einen Hubschrauber und flog von dannen. Die Bilder des flüchtenden Präsidenten sah ganz Belarus. 
 

Lukaschenkos Rache: Oppositionelle wie Maxim Snak und Maria Kolesnikowa wurden zu drakonischen Haftstrafen verurteilt / Foto © Imago/Itar-Tass

Die erlittene seelische Verletzung drängte auf Revanche. Diese entlud sich in politischem Terror. In Belarus gibt es heute rund eineinhalb tausend politische Gefangene. Es gibt Folter. Im ganzen Land gibt es weiterhin Razzien, Verhaftungen und Strafverfahren. Die Menschen werden nicht wegen oppositioneller Tätigkeiten festgenommen, sondern weil sie eine andere Meinung haben und entsprechende Kommentare oder auch nur Likes in sozialen Netzwerken hinterlassen. Viele Oppositionelle werden zu Haftstrafen von über zehn Jahren verurteilt, wie es unter Stalin üblich war. Lukaschenko gibt offen zu, dass auf seinen Befehl hin Verwandte von Oppositionellen oder politischen Häftlingen verfolgt werden. Die Evolution eines autoritären hin zu einem totalitären System läuft. Um an der Macht zu bleiben, unterstützt Lukaschenko in vollem Umfang Russland im Krieg gegen die Ukraine und macht Belarus damit zum Beteiligten der Aggression. Für die Präsidentschaftswahlen 2025 hat Lukaschenko seine abermalige Kandidatur bereits angekündigt.


1.Imja, 6. November 1997 
2.Belorussija i Rossija: obschtschestwa i gossudardstwa, Moskau 1998, S. 260 
3.Sowerschenno sekretno, 1997, Nr 9 
4.Nemiga, 2000, Nr. 2, S. 35 
5.Sowetskaja Belorussija, 1. September 1994 
6.Femida, 22. Januar 1996 
7.Swaboda, 12. November 1996 
8.https://news.tut.by/economics/695690.htm 
9.Nasha Niva: Abstrukcyja, zroblenaja Lukašėnku rabotnikami MZKC, stala najmacnejšym psichalagičnym udaram 
10.Komsomolskaja prawda w Belorussiji, 20. Juni 2006 
11.Femida, 1995, Nr. 3 
12.Belorusskaja delowaja gaseta, 23. Dezember 1996 
13.Sowerschenno sekretno, 1997, Nr. 9 
14.Belorusskaja delowaja gaseta, 6. März 2002 
15.Fernsehauftritt am 17. September 2002 
16.Sowetskaja Belorussija, 20. Oktober 1996 
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