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Presseschau № 28: Tschernobyl

Zum 30. Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe wurden auch in Russland Umstände und Folgen des Unfalls heftig diskutiert. Das Thema ist gerade in diesem Jahr zu einem regelrechten Politikum geworden: In der Debatte geht es nicht nur um die humanitären, ökologischen und technischen Aspekte, sondern auch um das Bild, das man sich in Russland heute von der ehemaligen Sowjetrepublik Ukraine macht.

Einige Medien nehmen den Jahrestag zum Anlass, um der Ukraine alte wie neue Fehler zur Last zu legen, andere sehen bei der weiteren Bewältigung der Folgen auch den russischen Staat in der Pflicht.

Auch zur Einschätzung der Opferzahlen und zu den Langzeitfolgen des Unglücks gehen die Meinungen weit auseinander.

Einige der wichtigsten Stimmen haben wir hier mit Originalzitaten zusammengestellt.

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KOMMERSANT: OPFERZAHLEN SIND ÜBERTRIEBEN

Im weitgehend unabhängigen Kommersant erklärt Leonid Bolschow, Leiter eines Instituts für nukleare Sicherheit der russischen Akademie der Wissenschaften: Alles nicht so schlimm.

Deutsch
Original
In der wissenschaftlichen Literatur sind weltweit – und übrigens auch in der Sowjetunion – als direkte medizinische Folgen im ersten Jahr nach dem Unfall nur 134 bestätigte Fälle schwerer Strahlenkrankheit festgehalten. In den ersten 100 Tagen starben 28 Menschen. Alle anderen wurden geheilt und lebten und starben später entsprechend den landesweit durchschnittlichen medizinischen Kennziffern. Die Sterberate der Liquidatoren, zu denen auch ich gehöre, unterscheidet sich in nichts von Personen, die mit Tschernobyl nichts zu tun haben. Die Tausende und Millionen und Milliarden Opfer, über die einige Hitzköpfe sprachen, gibt es nicht.
Мировая наука, как, впрочем, и советская наука в первый же год после аварии, посчитала, что среди прямых медицинских последействий только 134 подтвержденных случая острой лучевой болезни. В первые 100 дней умерли 28 человек. Всех остальных вылечили, и дальше они жили и умирали в соответствии со средними по стране медицинскими показателями. А смертность среди ликвидаторов, к которым отношусь и я, ничем не отличается от смертности среди людей, не имевших никакого отношения к Чернобылю. Ни тысяч, ни миллионов, ни миллиардов жертв, о которых некоторые горячие головы говорили, нет.

KOMSOMOLSKAJA PRAWDA: ALLES MYTHEN

Ähnlich äußert sich die Boulevard-Zeitung Komsomolskaja Prawda: Opferzahlen würden aufgebläht – und heute blühe das Leben in der verlassenen Stadt Prypjat, vier Kilometer vom Reaktor von Tschernobyl entfernt.

Deutsch
Original
Mit den Jahren wurde Folgendes klar: Die sowjetische Staatsführung hat unter dem Druck der Öffentlichkeit eine extrem hohe Opferzahl des Unfalls eingestanden. Den vorteilhaften Status des „Tschernobylers“ wollte dann später niemand wieder abgeben. [...] Die fast vollständige Abwesenheit von Menschen hat den Wald um den Ort Prypjat in eine Oase für Tiere verwandelt. Die Zone um Tschernobyl gleicht einem Naturschutzgebiet, wo sich die Natur ganz urwüchsig zeigt: Schließlich stört der Mensch sie nicht. Hier ziehen Elche, Hirsche, Wölfe, Füchse und Bisons frei umher. Biologen untersuchen sie von Zeit zu Zeit – und finden weder Zweiköpfige noch Dreischwänzige. Also, auch alles Mythen.
С годами появилось понимание: руководство советской страны под давлением общественного мнения приняло решение об избыточном признании количества пострадавших от аварии людей. А потом уже не было желающих отказываться от выгодного статуса «чернобылец». [...] Почти полное отсутствие людей превратило леса вокруг Припяти в животный оазис. Зона вокруг Чернобыля больше напоминает природный заповедник, где природа существует в первозданном виде: ведь ей не мешает человек. Здесь свободно бродят лоси, олени, волки, лисицы, зубры. Биологи их периодически изучают: ни одного двухголового или трехвостого. Выходит, опять выдумки.

TAKIE DELA: BUDDELN IN RADIOAKTIVEN BEETEN

Das spendenfinanzierte Magazin für Sozialreportagen Takie Dela dagegen behandelt die Folgen des Unfalls sehr kritisch. In der Reportage geht es vor allem um die Gebiete, die heute in Russland liegen.

Deutsch
Original
[...] Die Beamten, die damals in Moskau über die Radioaktivität im Gebiet Tula berichteten, gingen später im demokratischen Russland in die Politik und sagten: „Wir haben die Errichtung einer Tschernobyl-Zone durchgesetzt.“ Obwohl – oh weh – außer ein paar kleinen Geldzuwendungen für die Bewohner nichts dabei herumkam. Aber nicht einmal das war einfach. Die Einwohner von Uslowa hatten weniger als ein Jahr das Recht, umzusiedeln. Es konnte einfach niemand zulassen, dass eine ganze Stadt umzieht. Deshalb blieben die Alten hier leben, und die Kinder buddelten in radioaktiven Beeten. [...]

Außerdem haben die Politiker vor, die Anzahl der Orte auf der Tschernobyl-Zonen-Liste auf die Hälfte kürzen. Nach ihrer Auffassung wird das Gebiet dadurch attraktiver für Investoren und die Landwirtschaft.

[...] чиновники, заявлявшие в Москве о радиоактивным положении в Тульской области, в демократической России пошли в депутаты и говорили: «Мы пробили чернобыльскую зону!». Хотя кроме небольших денежных подачек для жителей, увы, ничего добиться не удалось. Но и это было непросто. У жителей Узловой меньше года был статус с правом на отселение. Просто никто не мог позволить, чтобы целый город переехал. Поэтому здесь так и доживали старики, а дети росли, копаясь в радиоактивных клумбах. [...]

Кроме того, власти России собираются в два раза сократить список населенных пунктов, входящих в чернобыльскую зону. По мнению чиновников, это должно сделать территорию более привлекательной для инвестиций и ведения сельского хозяйства.

ERSTER KANAL: DIE FEHLER DER ANDEREN

Der Erste Kanal, der mehrheitlich in Staatsbesitz ist, sieht die Versäumnisse dagegen vor allem auf ukrainischer Seite. Im Artikel auf der Webseite des Senders heißt es, nicht nur die Ingenieure sondern auch die politische Führung der damaligen ukrainischen Sowjetrepublik seien für die Katastrophe verantwortlich gewesen. Heute setzten sich die Verfehlungen fort: Der Sarkophag zur Abdeckung des Reaktors sei immer noch nicht fertiggestellt, die von internationalen Geldgebern bereitgestellten Mittel versickerten in Korruptionsnetzwerken. Außerdem, so berichtet der hier zitierte Abschnitt, zeige Kiew auch im heutigen technischen Betrieb Verantwortungslosigkeit – indem es mit den USA statt mit Russland kooperiere, ohne die Folgen abzuschätzen.

Deutsch
Original
Indem sie alle Kontakte mit Russland abbrach – darunter auch in puncto Kernenergie – hat sich die Ukraine nach Ansicht von Experten selbst in eine gefährliche Falle manövriert. Die Regierung hat beschlossen, die ukrainischen Atomkraftwerke auf amerikanischen Kraftstoff umzurüsten. Die Gesetze der USA verbieten die Einfuhr von Atommüll. Daher bleibt der Ukraine nichts anderes übrig, als bei sich selbst Endlager zu bauen. Auf dem Baugelände wurden bereits feierlich [Informations-]Schilder aufgestellt – ungeachtet dessen, dass der amerikanische Kraftstoff noch nicht einmal die obligatorische Freigabe erhalten hat; er wird bisher nur experimentell eingesetzt. Außerdem sind ähnliche Experimente in Europa bereits gescheitert.
Разорвав все связи с Россией, в том числе по линии ядерной энергетики, Украина, по мнению экспертов, сама загнала себя в опасную ловушку. Правительство приняло решение перевести украинские АЭС на американское топливо. Законы США запрещают ввозить отходы в эту страну. Поэтому Украине ничего не остается, кроме как строить хранилище у себя. На месте строительства уже торжественно установили таблички, несмотря на то, что американское топливо еще даже не прошло обязательную сертификацию, его пока используют экспериментально. Причем в Европе подобные эксперименты закончились неудачно.

IZVESTIA: VOM WESTEN INSTRUMENTALISIERT

In der regierungsnahen Izvestia ist von einer wissenschaftlichen Konferenz am renommierten Kurtschatow-Institut zu lesen. Die Experten dort beklagten, so die Zeitung, dass westliche Medien den Unfall ausgeschlachtet und damit den Zerfall der Sowjetunion befördert hätten.

Deutsch
Original
Die Teilnehmer der wissenschaftlichen Konferenz bemerkten mehrfach, dass der Unfall in Tschernobyl einer der Gründe war, die zum Zerfall der UdSSR führten. Denn die Partner aus anderen Ländern hätten über die Tragödie ausschließlich ihrem Interesse entsprechend berichtet. Man kann die jüngste Tragödie im japanischen Fukushima in eine Reihe mit Tschernobyl stellen, die weltweite Berichterstattung zu ihr war allerdings viel zurückhaltender.
Участники научной конференции также неоднократно отмечали, что авария в Чернобыле стала одной из причин, способствовавших распаду СССР, поскольку зарубежные партнеры освещали эту трагедию исходя исключительно из своих интересов. Вместе с тем недавнюю трагедию на японской «Фукусиме» можно поставить в один ряд с Чернобылем, однако активность ее освещения в мировых СМИ была в разы меньше.

VEDOMOSTI: DIE INFORMATIONS-KATASTROPHE

Auch die regierungsunabhängigen Vedomosti behandeln die Rolle der Medien – allerdings der sowjetischen.

Deutsch
Original
Die Ereignisse von Tschernobyl lösten eine Informations-Katastrophe in der sowjetischen Politik aus. Um ihre Folgen zu mindern, wurde daraufhin die Zensur gelockert, was der Presse erlaubte, offen über Probleme zu sprechen, die zuvor hinter einem dichten Vorhang militärischer, staatlicher und behördlicher Geheimnisse verborgen waren.
События в Чернобыле вызвали информационную катастрофу в советской политике, ликвидация последствий которой привела к смягчению цензуры и позволила прессе открыто говорить о проблемах, находившихся прежде под плотной завесой военной, государственной и ведомственной тайны.

BIRD IN FLIGHT: GEHEIMNIS GELÜFTET

Dass die Medien auf Anweisung des KBG zentrale Informationen zu dem Unglück zurückhielten, davon zeugen die kürzlich in der Ukraine freigegebenen Geheimdokumente, die Bird in Flight veröffentlicht hat, das in der Ukraine auf Russisch erscheint. Der KGB befahl demnach ausdrücklich die Geheimhaltung wichtiger Informationen zu Hintergründen und unmittelbaren Auswirkungen der Katastrophe:

Deutsch
Original
1. Informationen, die die tatsächlichen Gründe des Unfalls im Reaktor 4 des Kernkraftwerks von Tschernobyl offenlegen.

3. Informationen über die Menge und Zusammensetzung des Gemischs, das während des Unfalls austrat.

11. Informationen über die radioaktive Verschmutzung der Umwelt und von Lebens- und Futtermitteln, die die höchstens zulässigen Konzentrationen überschreiten.

16. Informationen über Ergebnisse neuer Methoden und Mittel zur Behandlung von Strahlenschäden.

1. Сведения, раскрывающие истинные причины аварии на блоке Nr. 4 ЧАЭС.

3. Сведения о величинах и составе смеси, выброшенной во время аварии.

11. Сведения о радиоактивном загрязнении природных сред, пищевых продуктов и кормов, превышающим предельно допустимые концентрации.

16. Сведения о резултатах лечения новыми методами или средствами лучевой болезни.

Jan Matti Dollbaum, Leonid A. Klimov

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Auflösung der Sowjetunion

Der Zerfallsprozess der Sowjetunion begann Mitte der 1980er Jahre und dauerte mehrere Jahre an. Die Ursachen sind umstritten. Während einige hauptsächlich Gorbatschows Reformen für den Zerfall verantwortlich machen, sehen andere die Gründe vor allem in globalen Dynamiken. Eine zentrale Rolle spielte in jedem Fall die Politik der russischen Teilrepublik.

Bereits in den ausgehenden 1980er Jahren kündigten sich zentrifugale Tendenzen in der UdSSR an. Es gründeten sich zahlreiche protopolitische Vereinigungen, die das Machtmonopol der KPdSU herausforderten. Offenes Reden über Probleme wie das Warendefizit, die Bürokratie oder die ideologische Bevormundung entzogen der KPdSU zunehmend die Legitimation. Die Krise des Staates wurde noch verstärkt durch das unablässige Wettrüsten mit den USA, das die Ressourcen der UdSSR verschlang. Die Wirtschaft des Landes konnte mit den Ansprüchen der Bevölkerung nicht mehr mithalten. In dieser Zeit wurden auch die Forderungen nach mehr Selbständigkeit der Republiken zunehmend radikaler. Einigen Historikern zufolge war es diese Krise, die das Land zu Fall brachte. Andere Historiker widersprechen dieser These: Es war die Perestroika Gorbatschows – ein letzter, jedoch erfolgloser Versuch der Erneuerung – , die ihrer Ansicht nach dem Staat entscheidend zusetzte: Mit der Schwächung der Partei, die in der Politik der Perestroika angelegt war, griff Gorbatschow die Grundlage der eigenen Macht an.

Einen Präzedenzfall schuf Estland am 16. November 1988. Noch vor den ersten halbfreien Wahlen zum Volksdeputierten-Kongress der UdSSR, proklamierte der Oberste Rat der Estnischen SSR die Souveränität der Republik. Im nächsten Jahr folgten Litauen und Lettland. Diese Souveränitätserklärungen bedeuteten jedoch noch nicht den Austritt aus der Sowjetunion, sondern lediglich den Vorrang der eigenen Gesetze gegenüber der unionsweiten Gesetzgebung.

Im Laufe des Jahres 1990 erklärten alle Republiken außer Armenien ihre Souveränität. Den nächsten Schritt machten im selben Jahr die drei baltischen Republiken – Litauen, Lettland  und Estland – als ihre Obersten Räte den Austritt aus der Union beschlossen. Doch der schwerste Schlag traf die Sowjetunion am 12. Juni 1990, als Russland (RSFSR) seine Souveränität erklärte. Alle Gremien der Unionsebene befanden sich in Moskau, ohne Russland konnte die Union nicht existieren. Der Oberste Rat der UdSSR und die Unionsministerien verloren in der Folge rapide an Macht gegenüber den Organen der RSFSR.

Sowohl in der Bevölkerung als auch unter den Eliten bestand Uneinigkeit im Bezug auf die Zukunft der Sowjetunion. Nicht nur die „Demokraten“ um den ehemaligen Moskauer Parteichef Boris Jelzin, sondern auch die „konservativen“ Kritiker der Perestroika sahen in der Unabhängigkeit Russlands eine Möglichkeit, die unpopuläre Führung Gorbatschows abzuschütteln. Gorbatschow geriet so zwischen die politischen Fronten  der immer offener prowestlich-liberal auftretenden Opposition um Jelzin, die seine Reformen als zu halbherzig kritisierten, und den „Konservativen“, denen seine Reformen zu weit gingen. Begünstigend für den Zerfallsprozess wirkte auch die Tatsache, dass die Bevölkerung sowohl in Russland, als auch in den „nationalen“ Republiken jeweils ihre eigene Republik bei der Verteilung der Ressourcen im Nachteil sah.1 Für den Erhalt der Union plädierten vor allem Vertreter der russischen Minderheit in den nationalen Republiken, orthodoxe Kommunisten sowie einige Fraktionen innerhalb des demokratischen Lagers, wie zum Beispiel die Demokratische Partei Russlands.2 Innerhalb der nationalen Republiken begannen auch die KPdSU-Funktionäre, offen über die Unabhängigkeit zu diskutieren.

Am 17. März wurde auf Vorschlag von Gorbatschow ein Referendum über den Erhalt der UdSSR abgehalten, das jedoch von den drei baltischen Republiken sowie Georgien, Armenien und Moldawien boykottiert wurde. In den restlichen Republiken sprachen sich 77,8 Prozent für den Erhalt der Sowjetunion aus. Doch das Kräftemessen zwischen der sowjetischen und der russischen Regierung ging weiter. Jelzins nächster großer Sieg nach der Souveränität der RSFSR war die Einführung des Präsidentenamtes in Russland am 17. April 1991. Durch die Direktwahl mit 57,3 Prozent der Stimmen genoss Jelzin mehr Legitimität als Gorbatschow, der Präsident der UdSSR, der in sein Amt ein Jahr zuvor durch den Obersten Rat gewählt worden war.

Ab April 1991 verhandelten Gorbatschow und die Oberhäupter Russlands, der Ukraine, Belarus', Aserbaidschans sowie der zentralasiatischen Republiken über einen neuen Unionsvertrag. Im Sommer wurde der Text erarbeitet, für den 20. August war die Gründung der Union Souveräner Staaten geplant, eines föderativen Staatengebildes. In Russland appellierten einige Politiker des demokratischen Lagers an Jelzin, den neuen Vertrag nicht zu unterzeichnen, da Russland sich dann im ständigen Konflikt mit der Unionsregierung befinden würde.3 Der neue Unionsvertrag kam faktisch ohne Zustimmung der republikanischen Legislative zustande.

Einen Tag vor dem geplanten Vertragsabschluss begann am 19. August 1991 ein dreitägiger Putschversuch der Hardliner aus der Unionsregierung, der zwar den Erhalt der Union zum Ziel erklärte, nach Meinung der meisten Experten den endgültigen Zerfall jedoch noch beschleunigte. Nach der Niederlage der Putschisten stand Jelzin als unbestrittener Sieger gegenüber Gorbatschow da.

Nachdem der Staatsrat der UdSSR am 5. September die Unabhängigkeit der baltischen Staaten – ohne das vorgeschriebene Referendum – anerkannt hatte, drängte man auch in der Ukraine auf Autonomie. Nach der Proklamation der Unabhängigkeit am 24. August wurde am 1. Dezember 1991 ein neues Referendum durchgeführt, bei dem sich eine Mehrheit von 90,32 Prozent  für die Unabhängigkeit aussprach. Ohne die als zweitwichtigste geltende Republik konnte Gorbatschows Idee der als Konföderation umorganisierten UdSSR nicht aufrechterhalten werden. Gorbatschow drängte zwar weiterhin auf eine Einigung mit den Republiken. Doch ein Treffen Jelzins mit den Präsidenten der Ukraine und Belarus', Leonid Krawtschuk und Stanislau Schuschkewitsch, am 8. Dezember 1991 in Belawesschkaja Puschtscha durchkreuzte diese Versuche endgültig. Dort wurde die Auflösung der UdSSR für bereits geschehen erklärt und die Schaffung eines losen Zusammenschlusses, der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) vereinbart.

Am 12. Dezember ratifizierte der Oberste Rat der RSFSR das Abkommen von Belawesschkaja Puschtscha mit 188 Stimmen, bei nur sechs Gegenstimmen. Die russische Delegation wurde infolgedessen aus beiden Kammern des Obersten Rates der UdSSR abberufen. Der Rat der Union verlor dadurch sein Quorum und war so formal entscheidungsunfähig. Am 25. Dezember legte Gorbatschow sein Präsidentenamt nieder. Einen Tag darauf erklärte der Rat der Republiken, das Oberhaus des Obersten Rates der UdSSR, die Existenz der Union für beendet.

Zum damaligen Zeitpunkt befanden sich schon etliche Republiken im faktischen Kriegszustand. Die lokalen Konflikte an der Peripherie wurden jedoch in Russland zunächst aus der Wahrnehmung verdrängt. In globaler Perspektive galt nun die größte Sorge dem atomaren Erbe der sich auflösenden Weltmacht.


1.Nezavisimaja gazeta: Obraščenie k presidentu Rossii B. N. El'cinu , 08.08.1991 
2.Buldakov, Vladimir (1997): Krasnaja smuta: Priroda i posledstvija revoljucionnogo nasilija. Moskau, S. 367 
3.Hosking, Geoffrey (2006): Rulers and Victims – The Russians in the Soviet Union, Cambridge-London, S. 382-385 
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